Virologen haben das Vogelgrippevirus H5N1 so verändert, dass es auch unter Säugetieren eine Epidemie auslösen kann. Der Fall hat eine weltweite Diskussion über die Risiken entfacht. Die Forscher haben bei einer Tagung in Deutschland ihre Experimente verteidigt.

Hannover - Die Virologen Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka haben Post bekommen. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health, die ihre Arbeit fördert, fordert sie auf, ihre Experimente zu unterbrechen. Fouchier und Kawaoka manipulieren Grippeviren, um herauszufinden, wie sich die Erreger wandeln können. Vor drei Jahren haben sie das Vogelgrippevirus H5N1 so verändert, dass es sich unter Säugetieren leicht ausbreitet. Das hatte der Erreger bisher nur bei Vögeln geschafft. In den Versuchen klappte die Luftübertragung auch bei Frettchen, so dass H5N1 vielleicht auch unter Menschen eine Pandemie auslösen könnte.

 

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind in den vergangenen Jahren rund 700 Menschen an H5N1 erkrankt, etwa 400 von ihnen starben. Wenn sich Menschen über Tröpfchen in der Luft infizieren könnten wie bei anderen Grippevarianten, könnte die Zahl der Betroffenen sprunghaft steigen. Allerdings ist gegenwärtig offen, ob das Virus dann noch so tödlich wäre wie bisher; von den Frettchen haben die meisten die Krankheit überstanden. Fouchier und Kawaoka argumentieren, dass ihre Arbeit zur Vorsorge wichtig sei: Man müsse wissen, was auf die Menschheit zukommen kann. Ihre Kritiker halten es hingegen für zu riskant, mit gefährlichen Viren zu experimentieren, die in der Natur gar nicht vorkommen.

Eine weltweite Debatte über die Risiken der Forschung

Der Fall hat eine weltweite Debatte ausgelöst. Der Ethikrat hat im Mai eine deutsche Biosicherheits-Kommission gefordert, um solche Experimente zu prüfen; die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben im Juni Empfehlungen vorgelegt.

Die Reaktionen in den USA sind schärfer. Als Ron Fouchier im September 2011 seine Ergebnisse ankündigte, wurde er zunächst aufgefordert, sie nicht zu publizieren, um Terroristen keine Anleitung für einen biologischen Angriff zu geben. Fouchier und Kawaoka veröffentlichten 2012 schließlich überarbeitete Fassungen ihrer Studien, die von Ethikkommissionen genehmigt worden waren. In aller Welt unterbrachen Virologen ihre Arbeit, um der ethischen Debatte nicht vorzugreifen, und trafen sich zu Kongressen.

Im August 2013 nahmen Fouchier und Kawaoka ihre Arbeit wieder auf. Doch nun das: Die US-Regierung will noch einmal debattieren und dreht diesmal die Beweislast um. Es geht nicht um die Frage, ob man die Experimente verbieten darf, sondern darum, ob man sie erlauben soll. Kommende Woche müssen die Virologen zur ersten Anhörung antreten und begründen, warum ihre Arbeit notwendig und ungefährlich ist. Diese Woche waren sie auf Einladung der Volkswagen-Stiftung in Hannover und haben sich dort ausgetauscht. Wir stellen die beiden Seiten der Debatte in einem Pro & Kontra dar: Ist es nötig, Grippeviren im Labor noch gefährlicher zu machen?

Pro: Es taugt nicht als Waffe

„Es gibt keinen anderen Weg“, sagt Ron Fouchier von der Universität Rotterdam immer wieder. Wer verstehen wolle, unter welchen Bedingungen sich ein Grippevirus unter Menschen ausbreite, der müsse den Erreger im Labor manipulieren. Wenn dabei eine gefährlichere Variante entstehe, könne man die Ursachen für die Gefährlichkeit im Erbgut ermitteln und ein Gegenmittel suchen oder Schutzmaßnahmen planen. Fouchier ist es gelungen, das Vogelgrippevirus H5N1 so zu verändern, dass es leicht von einem Frettchen zum anderen springt. Dass es sich unter Säugetieren ausbreiten könnte, hielten Forscher bis vor einigen Jahren für unmöglich.

„Diese Kollegen haben wir widerlegt“, sagt Fouchier. Zwar komme die mutierte H5N1-Variante nicht in der Natur vor, aber jede einzelne genetische Mutation sei in der Natur registriert worden. Fouchier hält es daher für möglich, dass die mutierte Variante auch auf natürlichem Weg entsteht. Wohl dem, der darauf vorbereitet ist. Dass er seine Arbeit unterbrechen muss, ärgert ihn: An den Fakten habe sich doch nichts geändert.

Peter Palese ist einer der Kollegen, die die Übertragbarkeit von H5N1 unter Säugetieren bezweifeln. Der Virologe erklärt in Hannover, warum er trotzdem nicht glaubt, dass sich das H5N1 unter Menschen ausbreitet: Frettchen seien keine optimalen Modelle für Menschen, die Ergebnisse ließen sich nicht ohne weiteres übertragen. Das nimmt Ron Fouchier gelassen hin: Er behaupte nicht, die Übertragbarkeit unter Menschen bewiesen zu haben, die Experimente mit Frettchen seien nur der erste Schritt. Nur: „Je gefährlicher ein Virus erscheint, umso gründlicher sollte man es erforschen.“

Fouchiers Risikoabwägung fällt klar aus. Sein Labor stehe in den Niederlanden, finanziert werde seine Arbeit aus den USA, daher sei er von Kommissionen beider Länder überprüft worden. Die Gutachter hielten das Risiko für vernachlässigbar und hätten die Versuche genehmigt. In diesem Fall werde das Risiko vom Nutzen aufgewogen – auch wenn der nur mittelmäßig ausfallen sollte. Palese verteidigt ihn gegen die Kritik, Terroristen könnten dank seiner Forschung eine biologische Waffe bauen: „Ich wüsste nicht, wie man es machen sollte, und ich arbeite schon sehr lange mit diesem Virus.“

Kontra: Das Risiko einer unabsichtlichen Epidemie ist groß

Auch in den besten Laboren werden Fehler gemacht. Im Juni tauchten in einem Abstellraum eines ehemaligen Labors der US-Regierung Fläschchen mit Pockenviren auf. Wie können so gefährliche Erreger vergessen werden, fragten sich Politiker. Zur gleichen Zeit mussten Laborarbeiter in den USA vorsorglich gegen Milzbrand behandelt werden, weil sie ohne ausreichende Schutzkleidung mit Bakterien gearbeitet hatten, von denen sie dachten, sie seien in einem anderen Labor inaktiviert worden. Solche Pannen veranlassen die US-Regierung, nun erneut über die Risiken der Forschung zu debattieren.

Laut Marc Lipsitch von der Harvard-Universität, einem Experten für Infektionskrankheiten, hat sich der Fokus der Debatte gewandelt. Diskutiert wird weniger darüber, ob Terroristen Grippeviren in Umlauf bringen, sondern vielmehr darüber, ob Labormitarbeiter unabsichtlich eine Epidemie auslösen können. Auf einer Tagung der Volkswagen-Stiftung in Hannover stellt Lipsitch Zahlen für eine Risikoabschätzung vor. Seiner Ansicht nach zeigt schon die vorsichtigste Schätzung, dass die Manipulation von Grippeviren untragbar ist, weil die Erreger durch Fehler in die Umwelt gelangen können.

In Labors der Sicherheitsstufe 3, in denen mit Erregern wie dem Vogelgrippevirus H5N1 gearbeitet werden darf, werden in den USA laut behördlicher Statistik pro Mitarbeiter und Jahr durchschnittlich 0,002 Erreger unabsichtlich freigesetzt. Wenn man das mit der Übertragbarkeit und Tödlichkeit der Viren verrechne, komme man auf mindestens 2000 Todesfälle pro Mitarbeiter und Jahr und vielleicht sogar viel mehr, sagt Lipsitch.

Yoshihiro Kawaoka verweist darauf, dass man nicht wisse, wie sich ein solcher Erreger unter Menschen ausbreiten würde – das wolle man doch gerade herausfinden. Deshalb fehle für die Rechnung ein entscheidender Wert. Dann wird Ron Fouchier deutlicher: „Die Zahlen sind offensichtlich völlig daneben“, sagt er. Mit gefährlichen Erregern aller Art arbeite man schon seit Jahrzehnten, ohne dass eine Epidemie ausgebrochen sei. Marc Lipsitch sagt: Auf die genaue Zahl komme es ihm nicht an. Selbst wenn man den Wert nach unten korrigiere, seien es noch zu viele Todesfälle, um den möglichen Nutzen der Forschung aufzuwiegen.

Grafik: Welche gefährlichen Grippeviren gibt es? (für eine größere Ansicht klicken Sie auf die Grafik)