Die Stadt Eppingen im Landkreis Heilbronn hat ihren Bahnhof gekauft und für viel Geld saniert. Jetzt verkauft sie dort sogar wieder Fahrkarten. Die Bahn selbst hatte das schon lange nicht mehr für nötig gehalten

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Eppingen - Der Fahrkartenschalter im Bahnhof von Eppingen (Kreis Heilbronn) besteht aus einem Tisch, einem Stuhl und einem Laptop samt Drucker. Davor liegen ein paar Faltblätter der Deutschen Bahn, dahinter sitzt Renate Stephan. Eine Uniform hat die 68-jährige ehemalige Rathausbedienstete nicht an. Aber die Fahrkarte für Frau Boujong, die jetzt vor ihr steht, hat sie trotzdem in Nullkommanix ausgedruckt. Gottseidank, die Zugfahrt nach Schweinfurt am Wochenende sei gerettet, sagt Heide Boujong. Das mit dem Fahrkartenschalter sei wirklich ein Segen, findet die 69-jährige Rentnerin.

 

Der Eppinger Bahnhof ist ein Schmuckstück mit einer Wartehalle und zwei Türmen. Die verdankt Eppingen seiner historischen Grenzlage. Im einen Türmle fertigte der herzöglich-badische Bahnhofsvorsteher die Züge nach Westen ab, im anderen kümmerte sich sein königlich-württembergischer Kollege um die Züge gen Osten. Das ist lange her. Doch im Grunde ist die Konstellation noch heute kompliziert. „Wir sind ein Drehkreuz“, sagt der Oberbürgermeister Klaus Holaschke (Freie Wähler) stolz. Es fahren S-Bahnen nach Heilbronn, Karlsruhe und Heidelberg. Das bedeutet auch, dass die Stadt mit 21 000 Einwohnern zu drei verschiedenen Verkehrsverbünden gehört: unterschiedliche Zonen, unterschiedliche Preise, unterschiedliche Tickets. Ratlose Gesichter und lange Schlangen vor dem einzigen Ticketautomaten sind die Regel.

Fast hätte der Hausschwamm das Gebäude erledigt

Die 20 000 Euro im Jahr, mit denen die Stadt neuerdings den Fahrkartenverkauf bezuschusst, seien daher gut angelegtes Geld, obwohl natürlich eine solche versteckte Subvention zu Gunsten des Schienenkonzerns fragwürdig sei, gibt Holaschke zu. „Aber politisch ist uns das etwas wert“, sagt der OB. Die Bahn selbst hatte die Schalter schon vor Jahrzehnten geschlossen und auch sonst den vom Karlsruher Architekten Ludwig Diemer im Jahr 1879 aus feinem Sandstein erbauten und im Innern mit gusseisernen Säulen ausstaffierten Bahnhofsbau verkommen lassen.

Fast hätte der Hausschwamm das ehrwürdige Gemäuer ganz erledigt. Das wurde klar, als sie Stadt das Gebäude kaufte und für 2,7 Millionen Euro drei Jahre lang sanieren ließ. Jetzt residiert die Zentralverwaltung der Diakonischen Jugendhilfe Heilbronn (DJHN) als Pächter in den beiden Türmen und betreibt in der Bahnhofshalle einen Eine-Welt-Laden, ein Café, den Fahrkartenverkauf und das wahrscheinlich sauberste Bahnhofs-WC Deutschlands.

Es mag nicht zu den kommunalen Kernaufgaben gehören, einen Bahnhof zu retten. Und doch versuchen immer mehr Städte und Gemeinden mit der Bahn ins Geschäft zu kommen. Der Staatskonzern hat auch anderswo sein Interesse an den Repräsentativbauten verloren. Doch es ist nicht immer einfach, mit der Bahn ins Geschäft zu kommen. Schon früh hatte die Stadt Eppingen erkannt, dass es auf Dauer sinnlos ist, der Bahn immer wieder Pächter für den Bahnhof anzudienen, die früher oder später wieder entnervt das Weite suchten. Im Jahr 2000 legte das Rathaus deshalb erstmals ein Angebot vor. Doch 500 000 Mark (256 000 Euro) waren der Bahn zu wenig. In den Folgejahren habe man immer wieder aussichtsreich verhandelt, erinnert sich der Baubürgermeister Peter Thalmann. „Aber immer wenn wir einen guten Ansprechpartner hatten, wurde er kurz darauf ausgewechselt.“

Die Gemeinde kauft das Gebäude schließlich für 450 000 Euro

Später hatte die Bahn plötzlich eigene Pläne. Der Bahnhof sollte für viel Geld verpachtet werden. Ein großes Kaffeehaus wollte sie einrichten. Doch letztlich reichte es nur dazu, die verbliebenen Pächter, unter anderem ein Reisebüro, zu vertreiben. „Es gab keine Perspektive“, sagt Oberbürgermeister Holaschke. Und abermals scheiterten die Verkaufsverhandlungen an den überzogenen Forderungen des Staatskonzerns, der 900 000 Euro verlangte.

Doch plötzlich ging alles schnell. Die Bahn bot den Eppinger Bahnhof in einer Zeitungsanzeige an. „Ein halbes Jahr später gehörte er endlich uns“, sagt Holaschke – für 450 000 Euro. Im Anbetracht des maroden Zustands sei das gewiss ein stolzer Preis, andererseits habe der Kauf politisch nie in Frage gestanden. „Der Bahnhof ist so etwas wie die Visitenkarte einer Stadt“, sagt Holaschke. Für die Eppinger ist er aber vielleicht auch ein bisschen mehr. Als 1977 die Stilllegung der Bahnstrecke drohte, organisierten sie sich Sonderzüge. „Eppingen fliegt aus“, hieß die Aktion, bei der jeweils 1500 Eppinger sonntags gemeinsam auf große Fahrt gingen. Die Strecke blieb erhalten. Heute steigen täglich 8500 Fahrgäste in Eppingen ein und aus.

Sogar eine Bahnbrücke findet Interessenten

Von 136 Empfangsgebäuden hat sich die Bahn in den vergangenen zehn Jahren getrennt. Weitere zwölf bis 15 kommen jährlich neu in den Verkauf, sagt Werner Graf, der Sprecher der Bahn in Stuttgart. Gegenwärtig laufe bei der DB-Immobilientochter das so genannte 600er Programm, bei dem bundesweit 600 Empfangsgebäude in den Verkauf gehen sollen. Interessenten fänden sich unter Gastronomen oder Ärzten, die dort größere Gemeinschaftspraxen einrichteten. In 40 bis 50 Prozent der Fälle gingen die Gebäude an Kommunen, schätzt die Bahn.

Unter www.bahnliegenschaften.de lässt sich einsehen, welche Gebäude der Konzern gerade los werden möchte. Darunter befinden sich das „idyllisch gelegene Schrankenwärterhäuschen“ in Königsbronn-Itzelberg im Kreis Heidenheim (9999 Euro), ein „großzügig geschnittenes Grundstück mit einem Ensemble aus Bahnhofsgebäude und Güterhalle am Tor zum Westallgäu“ bei Wolfegg (199 000 Euro) und der renovierungsbedürftige Bahnhof von Mochenwangen (250 000 Euro), beide im Kreis Ravensburg. Früher oder später komme alles weg, sagt der DB-Sprecher Graf. Das galt im vorigen Jahr sogar für die auf freiem Feld bei Rottweil gelegene Priemtalbrücke.