52 000 Jahre überdauerten Chromosomen eines Wollhaarmammuts im sibirischen Permafrost. Nun verraten sie, welche Gene für die Behaarung der ausgestorbenen Eiszeitriesen sorgten.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

In 52 000 Jahre alten Überresten eines Wollhaarmammuts hat eine Forschungsgruppe fossile Chromosomen entdeckt, die wesentlich größer sind als alle bisher bekannten Formen uralter DNA. Dass sie erhalten blieben, ist wohl dem sibirischen Permafrost zu verdanken, in dem das Mammut lag. Dieser sorgte dafür, dass die Haut mit den Chromosomen gefriergetrocknet wurde.

 
Foto des aus dem Permafrost ausgegrabenen Mammutfusses. Foto: dpa/Love Dalén/Stockholm University

Uralte Chromosomen in Mammuthaut

Das Forscherteam entdeckte Fossilien uralter Chromosomen in der Haut eines Wollhaarmammuts, das bereits im Jahr 2018 in Sibirien gefunden wurde. Der Fund ist vor allem deswegen aufsehenerregend, weil Erbgut-Spuren meist nur in Form winziger DNA-Fragmente erhalten bleiben.

Die jetzt in der Fachzeitschrift „Cell“ beschriebenen fossilen Chromosomen sind wesentlich größer als bisher bekannte Formen uralter DNA.

Chromosome verraten mehr als DNA-Fragmente

„Wir wussten bereits, dass winzige Fragmente alter DNA über lange Zeiträume hinweg überdauern können“, erklärt Mitautorin Marcela Sandoval-Velasco von der Universität Kopenhagen in Dänemark. „Aber was wir hier gefunden haben, ist eine Probe, bei der die dreidimensionale Anordnung dieser DNA-Fragmente über Dutzende von Jahrtausenden eingefroren war, wodurch die Struktur des gesamten Chromosoms erhalten blieb.“

52 000 Jahre alte Haut eines Wollmammuts, nachdem sie aus dem Permafrost ausgegraben worden war. Foto: dpa/Love Dalén/Stockholm University

Ein solches Chromosom verrät wesentlich mehr über die Lebewesen, welche einst die Erde bevölkerten, als einzelne DNA-Fragmente, die selten länger als hundert Buchstaben des genetischen Codes sind und damit viel kleiner als die vollständige Erbgut-Sequenz von Organismen mit Milliarden von Buchstaben. Im Gegensatz dazu können fossile Chromosomen Hunderte Millionen genetischer Buchstaben umfassen.

Fossile Chromosomen sind ein Wendepunkt in der Forschung

Ein Vergleich jener fossilen Sequenzen mit der DNA moderner Spezies erlaubt es, die Veränderungen des genetischen Codes im Laufe der Evolution nachzuvollziehen.

„Fossile Chromosomen sind ein Wendepunkt, denn wenn man die Form der Chromosomen eines Organismus kennt, kann man die gesamte DNA-Sequenz ausgestorbener Lebewesen zusammensetzen. Dies ermöglicht Einblicke, die vorher nicht möglich gewesen wären“, betont Co-Autorin Olga Dudchenko.

Mammuts durchstreiften einst die eiszeitlichen Steppen. Foto: Imago/Gemini Collection

Zum ersten Mal Chromosomen eines Urzeitriesen analysiert

Zu den ausgestorbenen urzeitlichen Lebewesen gehört auch das Wollhaarmammut, dessen Chromosomen die Forschungsgruppe nun untersuchte. „Wir fanden heraus, dass sie 28 Chromosomenpaare hatten, was sehr logisch ist, da moderne Elefanten diese Anzahl haben, und sie die nächsten lebenden Verwandten des Wollhaarmammuts sind“, erläutert Mitautor Juan Antonio Rodríguez.

„Es war extrem aufregend, zum ersten Mal die Chromosomen eines ausgestorbenen Lebewesens zählen zu können.“ Die Analyse der Chromosomen verriet den Forschern auch, welche Gene für die Behaarung des Wollhaarmammuts sorgten. Und sich von denen moderner Elefanten unterschieden, die eben kein Fellkleid haben.

Entnahme der Gewebeprobe aus dem Ohr des Mammuts. Foto: © Love Dalén/Stockholm University

Viele Übereinstimmungen mit modernem Gen-Material

Zudem entdeckten die Wissenschaftler bei den fossilen Chromosomen viele strukturelle Merkmale moderner Chromosomen, darunter winzige sogenannte Chromatinschleifen, die wichtig für Organisation und Funktion des genetischen Materials in Zellen sind.

„Das Überleben der Schleifen in diesen alten Chromosomen ist vielleicht das Beeindruckendste“, kommentiert Mitautor Marc Marti-Renom. „DNA-Schleifen, die nur 50 Nanometer groß sind, sind wichtig, weil sie aktivierende DNA-Sequenzen in die Nähe ihrer Genziele bringen. Diese Fossilien zeigen uns also nicht nur, welche Gene aktiv waren - sie zeigen uns auch, warum.“

In glasähnlichem Zustand Jahrtausende überdauert

Dass die fossilen Chromosomen überhaupt Zehntausende von Jahren erhalten blieben, liegt der Forschergruppe zufolge daran, dass sie sich in einem „glasähnlichen“ Zustand befanden. Ein solcher Zustand werde auch dazu genutzt, um Lebensmittel haltbar zu machen, nämlich durch eine Kombination aus Kühlung und Austrocknung.

Das Ergebnis seien Lebensmittel wie Tortilla-Chips und Dörrfleisch, die brüchiger seien als das ursprüngliche Lebensmittel, sich aber viel länger hielten. Etwas flapsig formuliert das Forschungsteam, dass die Chromosomen im Grunde in gefriergetrocknetem Wollhaarmammut-Dörrfleisch eingeschlossen waren.

Die rekonstruierte Genaktivität in den Hautzellen des Mammuts erklärt auch, warum diese Tiere so viel haariger waren als heutige Elefanten. Foto: © Love Dalén/Stockholm University

Chromosomen können sogar Schuss mit Schrotflinte überstehen

Um ihre Theorie zum erstaunlichen Überdauern der Chromosomen zu testen, führte die Gruppe einige originelle Experimente mit gefriergetrockneter Rinderwurst durch, wie Co-Autorin Cynthia Pérez Estrada beschreibt. „Wir haben mit einer Schrotflinte darauf geschossen. Wir haben sie mit einem Auto überfahren. Ein ehemaliger Werfer der Houston Astros warf einen schnellen Ball darauf“, berichtet Pérez Estrada.

Jedes Mal sei die gefriergetrocknete Wurst wie Glas in winzige Stücke zersplittert. „Aber auf der Nanoskala waren die Chromosomen intakt, unverändert“, so die Wissenschaftlerin. „Das ist der Grund, warum diese Fossilien überleben, 52 000 Jahre da waren und nur darauf warteten, von uns gefunden zu werden.“