Das Einrichtungen wie der World Wildlife Fund WWF und SOS-Kinderdorf sich als Begünstigte für Erbschaften ins Gespräch bringen, gehört inzwischen zum Standardrepertoire des Spendengeschäfts. Die Summen, um die es geht, sind gewaltig.

Stuttgart - Der Tod schreckt nicht nur ab, er zieht auch Publikum an: Kürzlich ist in einem Veranstaltungsraum des Hospitalhofs kein Platz mehr frei gewesen, als die Naturschutzorganisation Word Wildlife Fund (WWF) die Besucher darüber informiert hat, wie ein Testament korrekt geschrieben wird, ob ein Notarbesuch sinnvoll ist und wo ein Testament aufbewahrt werden sollte. Ein Fachanwalt für Erbrecht zeigte die Fallstricke auf, ein Mitarbeiter des WWF sprach über die neuesten Projekte. Die Informationsveranstaltung folgte einem strategischen Ziel der Organisation: Erbschaften spielen für die Refinanzierung von gemeinnützigen Einrichtungen eine wichtige Rolle.

 

„Viele Leute haben heutzutage keine Kinder“, sagt Jörn Ehlers, der Pressesprecher des WWF. „Unsere Einnahmen in diesem Bereich schwanken natürlich stark, weil ein Erbe nicht planbar ist, aber wir wurden auch schon einmal mit fünf Millionen Euro bedacht.“ In den vergangenen Jahren nahm der WWF bundesweit jährlich zwischen 3,5 und 7,3 Millionen Euro ein – die Summe macht im Schnitt knapp zehn Prozent des Budgets aus. In Stuttgart hat der WWF Förderer zum Infoabend eingeladen. „Wir bieten seit Jahren Veranstaltungen dieser Art an“, sagt Ehlers. „Aber uns ist es wichtig, seriös aufzutreten, Erbschleicherei ist ein heikles Thema – und wir wollen gar nicht erst in den Ruf kommen, in dieser Ecke zu stehen.“

Rund 62 Milliarden Euro werden jedes Jahr vererbt

Doch in der Erbenrepublik Deutschland kann es sich kaum eine größere Einrichtung mehr leisten, das Thema Nachlässe zu ignorieren. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden jährlich rund 62 Milliarden Euro im Land vererbt. „Ein größerer Teil davon gehört zu den Unternehmensvermögen“, sagt Karl Wolf, der Vorsitzende der Caritas-Gemeinschaftsstiftung in Stuttgart. Die Caritas erbt in der Stadt jährlich im Schnitt ein bis zwei Mal und bietet ebenfalls regelmäßig Veranstaltungen an, in denen sie über Patientenverfügungen oder Bestattungsvorsorge informiert. „Dafür gibt es eine hohe Nachfrage“, erzählt Wolf.

Das ganz große Geld machten jedoch andere soziale Träger: Wolf zählt die SOS-Kinderhilfsdörfer, die Björn-Steiger-Stiftung und andere zu den größten Profiteuren von Erbschaften. „In diesem Feld tummeln sich immer mehr Organisationen, das gehört inzwischen zum Fundraising selbstverständlich dazu“, sagt Kai Dörfner, der bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva) in Stuttgart den Bereich Kommunikation leitet. Manchmal kommt der Geldsegen aus einem Nachlass aus heiterem Himmel – von Verstorbenen, die die Einrichtung vorher gar nicht kannte. Meistens wägen Menschen jedoch lange ab, bevor sie sich entscheiden, wem sie etwas vererben, falls sie selbst keine direkten Nachfahren haben.

Die jährlichen Einkünfte schwanken erheblich

Auch bei der Eva schwanken die jährlichen Einkünfte, die sich aus Nachlässen ergeben – vor drei Jahren erhielt die Gesellschaft aus einem Einzelnachlass allein 1,5 Millionen Euro. Doch solche hohen Summen sind die Ausnahme. „Oft teilen Menschen ihren Nachlass auf, und es werden infolgedessen mehrere Organisationen bedacht“, erzählt Dörfner. Durchschnittlich nimmt die Eva als „Erbin“ jährlich zwischen 300 000 und 400 000 Euro ein. Dörfner rechnet in langfristiger Perspektive nicht damit, dass die Summe dessen, was vererbt wird, stark wächst: „Früher haben die Menschen sehr sparsam gelebt, das hat sich geändert: Viele Menschen geben schon zu Lebzeiten größere Teile ihres Vermögens für sich selbst aus.“

Dennoch: ohne die Testamente und zweckgebundenes Stiftungskapital könnten viele soziale Projekte und Zuwendungen nicht verwirklicht werden. Stuttgart selbst profitiert davon enorm: Die Stadtkämmerei managt inzwischen 30 Stiftungen und Fonds mit einem Wert von rund 75 Millionen Euro. Von den jährlich ausgeschütteten Mitteln profitieren unter anderem ältere Menschen, Jugendliche, Obdachlose und etliche Vereine.

In den meisten Todesfällen erben Angehörige Geld und Grundbesitz. Falls nahe Verwandte fehlen, werben soziale Einrichtungen für ihre Anliegen. Ihr Grundsatz: ein Vermögen kann den Tod überdauern.