Nur neun Tage nach der ersten Katastrophe hat ein weiteres schweres Beben Italien heimgesucht. Mindestens 15 Menschen sterben durch die Erdstöße. Dabei gilt die Region eigentlich gar nicht als erdbebengefährdet.

Bologna - Wir haben die Ärmel hochgekrempelt nach dem Beben vor neun Tagen. Es war so ein starker Wille da, bei allen von uns, gleich wieder loszulegen, uns wieder ins Spiel zu bringen.“ Alberto Silvestri, der Bürgermeister von San Felice, spricht mit dünner Stimme und trägt eine dunkle Sonnenbrille. Nur wegen der Sonne? Oder damit man seine geschwollenen Augen nicht sieht?

 

San Felice sul Panaro nämlich hat an diesem Dienstagmorgen schon wieder gebebt. Fast genauso stark wie beim ersten Mal. Und zu den Toten gehören ausgerechnet jene, die ein Fabrikgebäude auf seine Stabilität und seine möglichst schnelle Wiederverwendbarkeit untersuchen sollten: Just während dieser Prüfung stürzte das Gebäude zusammen. Es begrub einen Ingenieur und zwei Arbeiter unter sich.

Vier Arbeiter sind schon beim Erdbeben am 20. März gestorben; am Dienstagnachmittag zählte man 15 Tote, und man wusste, dass noch etliche Personen verschüttet waren. Um neun Uhr morgens hatte der Boden zwischen Modena und Ferrara wieder angefangen zu beben; doch es blieb nicht bei dem einen Stoß: In dichter Folge schüttelte sich die Erde weiter, den ganzen Tag lang, häufig genug mit Stärken von mehr als fünf auf der Richter-Skala.

Maserati, Ferrari und Ducati schlossen ihre Produktion

Diesmal waren die Beben in ganz Norditalien bis hinauf nach Österreich zu spüren. Im fernen Mailand stürmten die Leute aus Angst auf die Straßen. Noch in Venedig stürzte eine Statue um. In Padua, Mantua und Bologna wurden Kulturdenkmäler zur Vorsicht gesperrt oder evakuiert. Ferrari, Maserati und Ducati, alle nahe am Erdbebengebiet, schlossen ihre Produktion. Und direkt vor Ort war die Zerstörungskraft größer als beim ersten Mal.

Den mittelalterlichen Uhrturm in der Stadt Finale Emilia, dessen mittendurch gebrochenes Zifferblatt geradezu als Symbol für das erste Beben galt, den gibt es seit diesem Dienstag gar nicht mehr. In der Stadt Mirandola ist der Dom eingestürzt, in einer schon beschädigten anderen Kirche starb der Pfarrer, als er – begleitet von einem Feuerwehrmann – eine Marienstatue retten wollte. Aber nicht nur angeknackste Bauten haben nunmehr den letzten, vernichtenden Stoß abbekommen. Auch mindestens vier Angestellte in Europas größtem und modernstem Industriedistrikt für Biomedizin in der Umgebung von Mirandola wurden von den Trümmern ihres Fabrikgebäudes erschlagen.

Gut 5000 Arbeiter hatten nach dem ersten Beben ihre Beschäftigung verloren. Und viele, die seither angefangen hatten, ihre Werkstätten aufzuräumen und wieder in Schuss zu bringen, standen am Dienstag trauernd, weinend und sich umarmend vor ihren Fabrikgebäuden. Eigentlich, sagten die Arbeiter – unter ihnen viele Nordafrikaner – hätten sie den Gebäuden gar nicht mehr getraut: „Aber der Chef hat uns gebeten zu kommen, und viele von uns haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Wären wir daheim geblieben, hätten wir den Job sofort verloren.“

Eine ganze wohlhabende, bisher sorgenfreie Gegend nördlich von Bologna steht unter Schock. Mit mindestens 8000 neuen Obdachlosen rechnete Italiens Katastrophenschutz am Dienstag – vorläufig wenigstens. Zu den knapp fünftausend Personen, die nach dem ersten Beben nicht mehr in ihre Häuser zurückkonnten und seither in Zeltstädten oder Turnhallen leben, sind bereits im Verlauf der letzten neun Tage weitere zweitausend Menschen dazugekommen: Die Erde hörte einfach nicht auf zu wackeln, die Angst wuchs.

Das Beben scheint kein Nachbeben gewesen zu sein

Und es kam zu Phänomenen, die von vielen Leuten als geradezu gespenstisch empfunden wurden: Aus den Rissen im Boden quollen massenweise Sand und Schlamm. Mancherorts taten sie es sogar mit der Kraft von Geysiren, teilweise waren auch Muschelschalen drinnen, und sie hinterließen Häuser und Landschaften, die aussahen wie nach einer Überschwemmung.

Geologen können das erklären: Die Dörfer in der südöstlichen Po-Ebene liegen auf altem Fluss-Schwemmland. Der wassergesättigte Kies- und Sandboden verstärkt die Erdbebenwellen; die Verschiebungen im Boden drücken Wasser und Sand nach oben – doch im Untergrund bleiben die Hohlräume; damit könnten Häuser, die jetzt noch intakt scheinen, nach und nach ins Rutschen geraten.

Im Gegensatz zu anderen Erdbeben, die sich auf einen großen Knall und ein paar kleinere Nachbeben beschränken, wird die Katastrophe in der betroffenen Region Emilia, so sagen es zumindest die Experten, noch eine schleichende, unüberschaubare Langzeitwirkung entfalten. Manche Dörfer, überlegt man in der Zone bereits, lassen sich wohl gar nicht mehr sicher bewohnen. Und überhaupt: das Beben an diesem Dienstag scheint kein „Nachbeben“ gewesen zu sein, sondern ein eigenständiges, neues. Das beunruhigt besonders – gerade in einer Zone, die eigentlich überhaupt nicht erdbebengefährdet gilt.