Kimberley Alt arbeitet seit Februar für die Hilfsorganisation Shanti in Kathmandu. Jetzt versucht die 18-Jährige, den Kindern nach der Katastrophe Mut zu machen, obwohl sie selbst viel Schlimmes bei dem Erdbeben gesehen und erlebt hat.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Seit Ende Februar arbeitet Kimberley Alt aus Kirchberg an der Jagst (Kreis Schwäbisch Hall) als Volontärin für die Shanti-Leprahilfe in Kathmandu und bringt Taubstummen Englisch bei. Mit ihrer Tante Inga Ritter, die in Sillenbuch wohnt, hat die 18-Jährige kurz vor ihrem fünfmonatigen Einsatz in Nepal bei einem Hausflohmarkt Geld für die Menschen in Kathmandu gesammelt. Obwohl die Situation vor Ort schwierig ist, will die junge Frau bis Ende Juli in Nepal bleiben, wie sie am Telefon berichtet.

 
Frau Alt, wie geht es Ihnen und den Menschen bei Shanti?
Nachdem wir vier Tage lang auf einem Riesen-Verkehrskreisel in einem Zelt geschlafen haben, sind wir jetzt ins Haus zurückgekehrt. Unser Hauptgebäude in Kathmandu ist zum Glück in Ordnung. Komplett zerstört wurde jedoch unser Lepra-Dorf außerhalb von Kathmandu. Zum Glück wurden keine Patienten, Ärzte oder Volontäre verletzt – zumindest äußerlich. Psychisch sieht das natürlich anders aus. Traumapsychologen sollen sich jetzt bei Shanti um die Menschen kümmern.
Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Bebens, was haben Sie erlebt?
Ich habe mit den Taubstummen gerade einen Ausflug in die Hügel – so nennen die Nepali die grünen Berge – außerhalb von Kathmandu gemacht. Wir aßen und wollten uns noch einen Tempel anschauen. Als wir oben waren, fiel die etwa 30 Meter lange Tempelmauer einfach um. Nachdem wir realisiert hatten, dass es sich um ein Erdbeben handelte, sind wir auf die nächste unbebaute Anhöhe gerannt. Die Erde bebte so stark, dass wir nicht mehr stehen konnten und auf dem Boden lagen.
Wie groß war die Zerstörung um Sie herum?
Wir haben erst später gemerkt, dass aus dem Berg, auf dem wir uns befanden, ein Riesenstück wie ein Halbmond herausgebrochen war. Und da gab es ein Dorf mit etwa 30 Häusern in der Nähe. Das war nach dem Beben eine einzige große Staubwolke. Überall stiegen diese Staubwolken auf. Die Taubstummen haben geschrien, schreckliche Schreie. Auch im Dorf haben die Leute nur noch geschrien und geweint. Ich selbst hatte unglaubliche Angst, musste aber versuchen, meine taubstummen Freunde zu beruhigen. Wir haben viele Verletzte, Sterbende und Tote gesehen und wollten helfen. Aber das ging gar nicht, weil es alle 15 Minuten Nachbeben gab. Das zu verarbeiten, ist schwierig. Auf dem Rückweg nach Kathmandu sah ich dann das Motorrad eines Freundes in den Trümmern. Nach langer Suche haben wir ihn in einem Krankenhaus gefunden. Ein Wirbel und eine Bandscheibe sind zersplittert. Aber er wird wieder gehen können.
Wollen Sie jetzt nur noch raus aus dem zerstörten Kathmandu?
Ich will auf jeden Fall regulär bis Ende Juli bleiben. Bei mir ist etwas zerbrochen, als ich all die Sterbenden gesehen habe. Man will gar nicht mehr in die Trümmer schauen, weil überall Tote liegen. Ich will erleben, wie Nepal sich wieder aufrichtet. Ich möchte den Kindern Mut machen. In dem Zeltcamp auf dem Kreisel haben wir Volontäre mit den Kindern gespielt und musiziert. Sie sollen abends mit einem fröhlichen Gefühl schlafen gehen. Und mir tut es gut, wenn ich mit einem Lächeln belohnt werde. Bei Shanti sind wir alle zusammengerückt. Das Erlebte hat uns zusammengeschweißt, wie eine große Familie. Zum Glück verstehen meine Eltern, dass ich bleiben möchte.
Woran fehlt es im Moment am meisten?
Die Menschen brauchen Essen, Trinken und eine Plane über dem Kopf. Viele Menschen können sich kein Trinkwasser leisten. Sie sind so verzweifelt, dass sie Wasser aus dem Fluss Bagmati trinken, der völlig verschmutzt ist. Dadurch werden viele Menschen krank. Auch an Planen mangelt es. Wir haben aus Tischdecken Planen hergestellt. Wenn nichts mehr da ist, wird man kreativ. Manchmal regnet es den ganzen Tag lang. Weil Kathmandu kein Abwassersystem hat, kann einem das Wasser dann bis zu den Knien stehen. Damit steigt natürlich die Seuchengefahr. Leider sind auch viele Menschen aus Unwissenheit zu früh in ihre Häuser zurückgekehrt. Wir versuchen nun, ihnen beizubringen, dass sie bei Erdbeben auf freien Flächen am sichersten schlafen.
Sind genügend internationale Helfer da?
Es war unglaublich schnell Hilfe da. Anders sieht es immer noch in den Bergen aus. Die Flugzeuge können ja nur bei klarer Sicht starten. Es ist auch erstaunlich, wie schnell die Menschen hier mit den Aufräumarbeiten begonnen haben, trotz der Angst und Trauer in ihren Augen.
Am 24. Juli fliegen Sie nach Deutschland zurück. Was haben Sie dann vor?
Ich bin mir noch nicht sicher. Diese Zeit in Nepal prägt einen sehr. Wir Volontäre wollen uns alle weiter für Nepal einsetzen, die Aufbauarbeiten dauern sicher lange. Dabei kostet es nur 100 Euro, ein zerstörtes Haus wieder aufzubauen. Dann hat eine Familie wieder ein Zuhause. Das reiche Europa könnte so viel tun. Auf jeden Fall werde ich nach Nepal zurückkehren.