Auf die Urteilsbegründung haben jetzt sieben Forscher vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanismus (INGV) mit einem offenen Brief reagiert (zu den Verurteilten zählt der damalige Präsident des Instituts, Enzo Boschi). Die Forscher empfinden den Prozess und das Urteil als ungerecht, wie sie im Brief schreiben. Es fehle eine Analyse der institutionellen, politischen und behördlichen Verantwortlichkeit. Auch sei während der besagten Sitzung der Kommission sehr wohl auf die bestehende Erdbebengefahr in der Region hingewiesen worden. „Das Urteil hat uns schockiert“, schreibt Daniela Pantosti, die zu den Autoren gehört, auf Anfrage der StZ.

 

Das Urteil von L’Aquila hat auch Erdbebenexperten in Deutschland überrascht. „Das Urteil kann dazu führen, dass manche Kollegen den Mund gar nicht mehr aufmachen – aus Angst, ihn sich zu verbrennen“, sagt Manfred Joswig vom Institut für Geophysik der Universität Stuttgart. Das wäre seiner Ansicht nach aber falsch: Wissenschaftler sollten sich dem Dialog mit der Bevölkerung nicht verweigern. Die Verantwortung für Schutzmaßnahmen müsse allerdings von Politikern getragen werden.

Die ohnehin große Nervosität ist weiter gestiegen

Stefano Parolai, Leiter des Zentrums für Frühwarnung am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam, hält es angesichts des Urteils von L’Aquila für wichtig, dass klar definiert ist, wofür beratende Wissenschaftler verantwortlich sind. Wenn Wissenschaftler, die als Teil einer Regierungskommission eine beratende Rolle einnehmen, befürchten müssten, dass ihre Äußerungen gegen sie verwendet werden könnten, zögerten sie womöglich, an einer solchen Beratung teilzunehmen. Dann würde die Effektivität des Risikomanagements unter dem Mangel an Expertenbeiträgen leiden.

Die Angeklagten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Angesichts der heftigen Kritik und der unklaren Rechtslage kann der Prozess in zweiter Instanz durchaus anders ausgehen. Der Vorgang hinterlässt aber bereits Spuren. Die Nervosität unter Wissenschaftlern, Politikern und Beamten im Zusammenhang mit Erdbeben – sie war in Italien ohnehin groß – ist weiter gestiegen. Zu einer Panikattacke kam es neulich wieder in der Toskana: Am 31. Januar twitterte die Verwaltung der Gemeinde Castelnuovo di Garfagnana, die Einwohner sollten die Nacht besser auf der Straße verbringen. Der Anlass waren leichte Erdbeben in der Region. Hunderte Einwohner folgten dem Rat, doch die Erde blieb ruhig. Anschließend entbrannte eine heftige Debatte – bei der auch der Hinweis aufkam, ohne den Prozess von L’Aquila hätte man wohl kaum so reagiert.

Zuvor gab einer der Verurteilten – Bernardo De Bernardinis, damals Vizepräsident des Katastrophenschutzes – ein später scharf kritisiertes Interview. Er sagte, es bestehe „keine Gefahr“; die wissenschaftliche Gemeinschaft versichere ihm, dass die Lage „günstig“ sei, weil es eine Entladung von Energie gebe – eine Einschätzung, die die beteiligten Seismologen gar nicht vertraten. Darüber hinaus belegt ein aufgezeichnetes Telefonat, dass die Veranstaltung in L’Aquila von Guido Bertolaso, dem damaligen Chef des Katastrophenschutzes, veranlasst worden war, um die Bevölkerung zu beruhigen. Dieses Gesamtbild hat den Richter offenbar zu seinem drakonischen Urteil bewogen.

Forscher fordern, die Verantwortlichkeiten zu klären

Auf die Urteilsbegründung haben jetzt sieben Forscher vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanismus (INGV) mit einem offenen Brief reagiert (zu den Verurteilten zählt der damalige Präsident des Instituts, Enzo Boschi). Die Forscher empfinden den Prozess und das Urteil als ungerecht, wie sie im Brief schreiben. Es fehle eine Analyse der institutionellen, politischen und behördlichen Verantwortlichkeit. Auch sei während der besagten Sitzung der Kommission sehr wohl auf die bestehende Erdbebengefahr in der Region hingewiesen worden. „Das Urteil hat uns schockiert“, schreibt Daniela Pantosti, die zu den Autoren gehört, auf Anfrage der StZ.

Das Urteil von L’Aquila hat auch Erdbebenexperten in Deutschland überrascht. „Das Urteil kann dazu führen, dass manche Kollegen den Mund gar nicht mehr aufmachen – aus Angst, ihn sich zu verbrennen“, sagt Manfred Joswig vom Institut für Geophysik der Universität Stuttgart. Das wäre seiner Ansicht nach aber falsch: Wissenschaftler sollten sich dem Dialog mit der Bevölkerung nicht verweigern. Die Verantwortung für Schutzmaßnahmen müsse allerdings von Politikern getragen werden.

Die ohnehin große Nervosität ist weiter gestiegen

Stefano Parolai, Leiter des Zentrums für Frühwarnung am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam, hält es angesichts des Urteils von L’Aquila für wichtig, dass klar definiert ist, wofür beratende Wissenschaftler verantwortlich sind. Wenn Wissenschaftler, die als Teil einer Regierungskommission eine beratende Rolle einnehmen, befürchten müssten, dass ihre Äußerungen gegen sie verwendet werden könnten, zögerten sie womöglich, an einer solchen Beratung teilzunehmen. Dann würde die Effektivität des Risikomanagements unter dem Mangel an Expertenbeiträgen leiden.

Die Angeklagten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Angesichts der heftigen Kritik und der unklaren Rechtslage kann der Prozess in zweiter Instanz durchaus anders ausgehen. Der Vorgang hinterlässt aber bereits Spuren. Die Nervosität unter Wissenschaftlern, Politikern und Beamten im Zusammenhang mit Erdbeben – sie war in Italien ohnehin groß – ist weiter gestiegen. Zu einer Panikattacke kam es neulich wieder in der Toskana: Am 31. Januar twitterte die Verwaltung der Gemeinde Castelnuovo di Garfagnana, die Einwohner sollten die Nacht besser auf der Straße verbringen. Der Anlass waren leichte Erdbeben in der Region. Hunderte Einwohner folgten dem Rat, doch die Erde blieb ruhig. Anschließend entbrannte eine heftige Debatte – bei der auch der Hinweis aufkam, ohne den Prozess von L’Aquila hätte man wohl kaum so reagiert.

Solche Ereignisse dürften von der eigentlichen Lehre des Bebens ablenken. Um die Opferzahl künftiger Erdstöße in Italien zu verringern, fordern die INGV-Autoren des offenen Briefes eine bessere Vorsorge. „Die Gegend um L’Aquila ist seit 1915 als Gebiet hoher seismischer Aktivität eingestuft“, so Pantosti. Hätte man sich bei allen Gebäuden, die seitdem gebaut oder umgebaut wurden, an die Vorschriften zur Erdbebensicherheit gehalten, wären viele Menschenleben gerettet worden. Ende vergangener Woche sind vier Techniker in erster Instanz zu Haftstrafen verurteilt worden. Sie sind nach Überzeugung des Gerichts für den Tod von acht Studenten verantwortlich; ihre Fehler bei Restaurierungsarbeiten hätten zum Einsturz eines Wohnheims am 6. April 2009 geführt.

Erdbeben und ihre unsicheren Vorboten

Vorboten
Vor dem Erdbeben vom 6. April 2009 gab es bei L’Aquila monatelang Erdstöße. Sie waren zwar schwach, aber spürbar und verängstigten die Einwohner. Warnungen eines Nichtwissenschaftlers, der Region stehe ein schweres Erdbeben bevor, verstärkten die Besorgnis noch.

Vorhersage
Die punktgenaue Vorhersage von Erdbeben ist allerdings prinzipiell unmöglich. Seismologen erstellen stattdessen Karten, in denen sie die generelle Erdbebengefährdung einer Region darstellen. L’Aquila liegt in einer besonders stark durch Erdbeben gefährdeten Region Italiens.

Risikoabwägung
Seismologen wissen heute auch, dass leichte Erdbeben die Wahrscheinlichkeit eines kräftigen Bebens in bestimmten Fällen erhöhen können. Doch diese Wahrscheinlichkeit ist dann immer noch so klein, dass sie nicht für eine Evakuierungsanordnung genügt. Ein Fehlalarm wäre im Fall von L’Aquila mehr als hundertmal so wahrscheinlich gewesen wie das Versäumen eines nötigen Alarms, sagt Thomas Jordan von der Universität von Südkalifornien.

Neue Beben
Am Wochenende haben zwei Erdbeben bei vielen Menschen in Mittelitalien schlimme Erinnerungen geweckt. Größere Schäden oder Verletzte wurden aber nicht bekannt. Eines der Erdbeben erschütterte in der Nacht zum Sonntag die Gegend um L’Aquila mit einer Magnitude von 3,7.