Die La Marras sind wegen der Schäden nun aus ihrem Böblinger Eigenheim ausgezogen. Die Risse sind vermutlich nach Erdwärmebohrungen entstanden.

Böblingen - Sorgfältig kehrt Antonio La Marra das Laub vor seiner Garage weg. Um sein Haus herum soll es ordentlich aussehen. Die Quarzsteine in der Einfahrt hat er selbst verlegt, nachdem er im Jahr 1992 in das Haus in der Feldbergstraße 9 in Böblingen eingezogen war. Jetzt kommt er alle zwei Tage vorbei, leert den Briefkasten und kontrolliert die Risse in seinem ehemaligen Zuhause. Am 2. Dezember ist er ausgezogen, weil sich seine Familie nicht mehr sicher fühlte und nachts nicht mehr ruhig schlafen konnte. Denn die Risse durchziehen das gesamte Gebäude, vom Keller bis unters Dach. Und sie werden größer.

 

Sind Geothermiebohrungen Schuld?

Der 52-Jährige ist einer von rund 100 Hauseigentümern in Böblingen, die von den Schäden betroffen sind. Vermutlich rühren diese von Geothermiebohrungen her. Gestern hat das Landratsamt damit begonnen, zwei Bohrlöcher südlich der Stuttgarter Straße zu untersuchen. Möglicherweise sei nicht behutsam genug gebohrt worden, sagt der Leiter des Böblinger Wasserwirtschaftsamts, Jochen Weinbrecht. Dadurch könnte Wasser in Gipskeuperschichten eingedrungen sein, die daraufhin aufgequollen sind und die Erde in zwei Wohngebieten angehoben haben. „Mein Haus neigt sich bereits ein bisschen nach Osten“, sagt La Marra. Das habe er an den Randsteinen im Garten feststellen können, die er vor etlichen Jahren kerzengerade in die Erde gelegt habe.

Feine Haarrisse im Putz hat La Marra erstmals im Jahr 2009 bemerkt. Vorher habe die Stadt Böblingen Kanalarbeiten in der Straße durchführen lassen, so La Marra. Er habe die Schäden bei der Stadt gemeldet, doch sei er nicht ernst genommen worden. Daraufhin schaltete er einen Rechtsanwalt ein, um gegen die Stadt zu prozessieren. Jetzt ruhe die Angelegenheit, schließlich könne die Ursache eine ganz andere sein. Dass es überhaupt Erdwärmebohrungen in der Nähe seines Hauses gegeben hatte, erfuhr La Marra erst in einem Schreiben der Böblinger CDU-Stadträtin Daniela Braun, der heutigen Sprecherin der Interessengemeinschaft betroffener Hausbesitzer. Ob die Bohrfirma Schuld an dem Drama ist, wird sich erst noch zeigen. Es handelt es sich aber um dasselbe Unternehmen, das für schadhafte Bohrungen vor zwei Jahren in Leonberg-Eltingen verantwortlich gemacht wird. Dort waren 20 Häuser abgesunken.

Seit 2002 hat sich die Erde um bis zu 35 Zentimeter gehoben

In Böblingen dagegen hat sich die Erde seit dem Jahr 2002 um bis zu 35 Zentimeter gehoben. Das ergab eine Messung aus der Luft mit einem Laser-Scan-Flugzeug des Landesamtes für Geologie. Das Mehrfamilienhaus der La Marras ist laut dem Böblinger Wasserwirtschaftsamt am schlimmsten betroffen. Die Haustür klemmt, das Erdgeschoss muss statisch gesichert werden, durch die Risse zieht es überall herein. Im Obergeschoss wohnt eine 84 Jahre alte Frau, die nicht ausziehen möchte. Ihr Enkel komme täglich, um nach ihr zu sehen. „Ich möchte hier nicht weg, dazu bin ich zu alt“, sagt sie.

La Marra stehen die Tränen in den Augen, als er den Flur im Erdgeschoss betritt. Dort hängt noch das etwa zehn Jahre alte Foto seiner damals dreijährigen Tochter in einem venezianischen Faschingskostüm. Das Wohn-, das Ess- und das Schlafzimmer sind weitgehend ausgeräumt. Der Hausbesitzer heizt die Räume trotzdem: „Damit die Leitungen nicht zufrieren.“ 120 Euro koste ihn das im Monat.

Wird das Haus jemals saniert werden können?

In den 21 Jahren, in denen er mit seiner Familie hier wohnte, hat La Marra – als Dreher in einem Metall verarbeitenden Betrieb beschäftigt – alles zur Verfügung stehende Geld in sein Eigenheim gesteckt, um es gemütlich herzurichten. Jetzt stellt sich ihm die bange Frage, ob er jemals wieder einziehen kann. Ob es jemals saniert werden kann. In einem schief stehenden Haus will er auf alle Fälle nicht wohnen.

Wie die anderen Hausbesitzer wird er jetzt erst einmal das Ergebnis der ersten Untersuchung des Bohrloches unweit der Stuttgarter Straße abwarten. Bis Ende des nächsten Jahres kann er in einer Vier-Zimmer-Wohnung in der Sindelfinger Straße in Böblingen bleiben. Für ein halbes Jahr zahlt die Stadt einen Mietzuschuss. Auch beim Umzug ist ihm geholfen worden. Die Umzugsfirma stellte keine Rechnung.

Die La Marras sind zwar froh, dass sie eine neue Bleibe haben, in der sie gut über den Winter kommen. Bilder haben sie noch keine aufgehängt. Nach einem richtigen Weihnachtsfest ist ihnen auch nicht zumute. Ob sie sich etwas schenken werden? Antonio La Marra zuckt mit den Achseln. „Meine Frau wird wohl etwas Gutes kochen“, sagt er mit einem bitteren Lächeln.