Mit ihrer Übereinkunft auf eine demilitarisierte Zone in der syrischen Rebellenhochburg Idlib sorgen die Staatschefs Putin und Erdogan für eine Atempause. Das zeigt auch: Der Westen ist zu schwach, um den Fortgang des Kriegs zu beeinflussen, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Geht nur noch mit Alleingängen etwas voran in der auseinanderfallenden Weltpolitik? Da treffen sich zwei Autokraten und beschließen einen Schritt, den keine internationale Konferenz mehr zustande zu bringen scheint: eine entmilitarisierte Zone für die letzte syrische Rebellenhochburg Idlib. Das Abkommen birgt die Hoffnung, die Bombardierung von bis zu drei Millionen Menschen zu verhindern. Mehr kann man in der verfahrenen Lage nicht erwarten. Allerdings sind schon viele Verabredungen in diesem Krieg gebrochen worden. Gegenseitiges Misstrauen ist das Einzige, was alle Beteiligten eint. Von einem großen Durchbruch zu reden wäre daher verfrüht.

 

Radikale Rebellen sind der größte Unsicherheitsfaktor

Die syrische Regierung hat dem Dreistufenplan schon zugestimmt. Das kommt nicht überraschend, denn Diktator Assad ist nicht mehr als ein Vasall Moskaus. Auch die Iraner sind von Erdogan und Putin eingeweiht worden. Dass sie nicht mit am Tisch saßen, ist nicht zuletzt eine Folge ihrer Probleme mit den USA – Teheran ist gerade zu schwach, um sich als Regionalmacht zu erweisen.

Bleiben als größter Unsicherheitsfaktor die geschätzt 70 000 bewaffneten Rebellen in der Provinz Idlib: Die gemäßigten Regierungsgegner begrüßen die Pufferzone. Die Türkei zeigt sich aber auch bereit, mehr Einfluss auf die Radikalen auszuüben und sie entweder zur Abgabe schwerer Waffen oder zur Verlagerung in den nördlichen grenznahen Raum zu bewegen. Der harte terroristische Kern wird lieber im Kampf sterben wollen als aufzugeben. Wer Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt, der ist auch zu Giftgaseinsätzen gegen diese fähig, um neue Verwirrung zu stiften. Für die Verhandlungen mit den radikalen Gruppen wurde Zeit gewonnen – die Atempause für die Bevölkerung ist der vorrangige Gewinn des Deals von Sotschi.

Erdogan immer weiter in den Krieg verstrickt

Die gemeinsamen Pläne einer Deeskalationszone sind schon ein Jahr alt. Nun lässt sich Erdogan von Putin immer weiter in den Bürgerkrieg hineinziehen. Im Gegenzug setzt er darauf, eine Massenflucht in sein Land zu verhindern und die Beziehungen zu Russland zu stabilisieren. Vor dem Hintergrund der Krise zwischen Ankara und Washington könnte sich das Idlib-Abkommen als zukunftweisend herausstellen. Erdogan arbeitet sich aus der Isolation heraus und droht den Westbündnissen zu entgleiten. Wenn er an diesem Kurs festhält, werden EU und Nato mit seiner Unberechenbarkeit noch viel Mühe haben.

Fraglos hat die internationale Diplomatie, auch vonseiten Berlins, das Abkommen befördert. Ein Sieg der Diplomatie ist es dennoch nicht. Vielmehr deckt die Renaissance der autoritären Herrscher erneut die Schwäche des Westens auf, Krisen wie die in Syrien zu lösen. Für mehr Einflussnahme fehlt es an politischer Geschlossenheit, derweil die Vereinten Nationen völlig gelähmt sind. So bleibt nur noch ein Hebel: das Geld. Putin und Erdogan wissen, dass ein Wiederaufbau Syriens ohne die Unterstützung der Wirtschaftsmächte unmöglich ist. Sie selbst wären mit den Milliarden-Investitionen überfordert. Also sollen andere ihre Kassen öffnen.

Berlin ist offenbar zur Unterstützung bereit

Die Bundesregierung scheint zur Finanzhilfe bereit zu sein – bemerkenswerterweise ohne eine größere innenpolitische Debatte darüber. Die große Koalition lässt sich dabei einerseits von humanitären Motiven leiten – andererseits hofft sie auf eine Perspektive, Flüchtlinge nach Syrien zurückzuführen und der AfD Wind aus den Segeln zu nehmen. Ob es der Regierung und den europäischen Partnern mit Scheckbuchdiplomatie gelingt, die Nachkriegsordnung in Syrien mitzubestimmen – womöglich gar ohne den Kriegsverbrecher Assad, was zwingend wäre –, das erscheint sehr zweifelhaft. Man sollte sich endlich auf klare Bedingungen verständigen und diese vortragen, bevor die Autokraten wieder alles unter sich ausmachen.