Eine besondere Idee geht im Rems-Murr-Kreis in die Testphase – als bundesweit wohl einziges Projekt dieser Art. Sie soll Streetworker bei der Bürokratie entlasten. Wie funktioniert das?

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Fellbach - Eine Idee aus Fellbach soll in der Mobilen Jugendarbeit die lästige Dokumentation am Schreibtisch vereinfachen – und den Streetworkern mehr Zeit geben, sich tatsächlich um ihre jugendliche Klientel zu kümmern. Nach einer sechsjährigen Entwicklungsarbeit ist die sogenannte Streetwork-App des Kreisjugendamts nun an Rems und Murr in der Testphase. Sie soll den Betreuern künftig nicht nur helfen, ihre Arbeit besser als bisher zu dokumentieren. Erwartet wird von der digitalen Software auch, dass sie genauere Aussagen über die Sozialstrukturen und realen Lebenswelten der Jugendlichen ermöglicht.

 

„Unseren Recherchen nach ist die Streetwork-App das einzige Tool dieser Art im deutschsprachigen Raum“, sagt Benedikt Seybel, der Projektverantwortliche im Waiblinger Kreisjugendamt. Zwar gebe es diverse Apps, um die Jugendlichen als Nutzer zu erreichen. Eine Software zur Auswertung von Streetwork-Rundgängen hatte aber noch niemand wirklich im Blick. „Dokumentationstools für Fachkräfte gibt es bisher kaum“, räumt Seybel ein. Erfreulich ist aus seiner Sicht, dass alle Träger für Mobile Jugendarbeit im Rems-Murr-Kreis an Bord sind. Bis Juni sollen Streetworker die neue App nun im Einsatz testen – und Vorschläge machen, wie das Programm noch optimiert werden kann. Dann wird überlegt, wie es die Software in den Regelbetrieb schaffen kann.

Die gesparte Zeit kommt Jugendlichen zugute

Die Initialzündung zu dem Projekt kam bereits vor sechs Jahren aus der Praxis: Markus Klemisch, ein Streetworker der Stadt Fellbach, erkannte den Bedarf. Er machte einen ersten konzeptionellen Aufschlag. Nachdem es mehrere Planungs- und vor allem Finanzierungsanläufe gegeben hatte, entschied das Kreisjugendreferat im Jahr 2019, das Projekt der Mobilen Jugendarbeit Fellbach zu unterstützen und die App zu entwickeln. „Ich freue mich riesig, dass wir die App nun im Alltag testen können. Die lange Vorarbeit hat sich wirklich gelohnt“, sagt Klemisch. Er hofft auf eine dauerhafte Nutzung der Software, die Streetwork-App soll sich als Hilfsmittel durchsetzen. „Endlich nicht mehr müh-selig von Hand dokumentieren zu müssen – das ist eine echte Erleichterung. Zudem kommt die gesparte Zeit den Jugendlichen zugute, was die App zu einem doppelten Gewinn macht“, sagt Klemisch. Eine dauerhafte Nutzung könnte in Reichweite liegen: Christiane Bollig leitet bei der Landesarbeitsgemeinschaft für Mobile Jugendarbeit seit 2017 den Bereich Digitalisierung und ist für die fachliche Begleitung des Projekts verantwortlich. Sie spricht von einem „einzigartigen Modellvorhaben“, das aus Mitteln des Landeshaushalts gefördert wird.

Rund 1000 Streetworker könnten profitieren

Die Kosten in Höhe von rund 9000 Euro werden auf diese Weise je ungefähr zur Hälfte vom Kreisjugendamt und der Arbeitsgemeinschaft getragen. In der Tat blickt mancher Dachverband gespannt auf den Rems-Murr-Kreis: So gibt es rund 1000 Streetworkerinnen und Streetworker in Deutschland, die von einer solchen App profitieren könnten – wenn sie wirklich für den Alltagseinsatz taugt.

Im Rems-Murr-Kreis arbeiten aktuell 22 Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen an elf Standorten als Streetworker im aufsuchenden Bereich, der als zentraler und wichtiger Bestandteil der Mobilen Jugendarbeit gilt. Ihre Arbeit soll benachteiligte junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren erreichen.