Die Freude über den Wahlsieg in Baden-Württemberg überwiegt das Bedauern, dass die SPD knapp hinter den Grünen liegt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Thomas Knapp ist einer der ersten SPD-Leute, die am frühen Abend im Landtag eintreffen. "Der Tag wird gut", frohlockt der Abgeordnete aus dem Enzkreis angesichts der Prognosen, die eine Niederlage für Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und seine schwarz-gelbe Koalition vorhersagen. Knapp weiß auch schon, wo die Gründe liegen: "Das hat er sich alles selbst zuzuschreiben." Mehrfach - zuletzt beim EnBW-Deal und mit der Reaktion auf Fukushima - habe der Pforzheimer gezeigt, dass er "dem Amt einfach nicht gewachsen ist". Dass die SPD hinter den Grünen liegt, bekümmert den Mappus-Kritiker wenig. Das Land erlebe nun so oder so einen "politischen Tsunami".

 

Eine gute Stunde später jubelt auch der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid. Im Stuttgarter Hotel Graf Zeppelin, wo die Partei zum Feiern zwei Salons gemietet hat, wird ihm ein stürmischer Empfang bereitet. Es dauert eine ganze Weile, bis sich der Applaus endlich legt und der 37-Jährige hinter einem Wall aus Fotografen und Kameraleuten zu sprechen beginnen kann. "20997 Tage - wir ham's geschafft", lautet sein erster Satz, dem gleich wieder Jubel folgt. Der "historische Wechsel nach 58 Jahren" sei gelungen, Schwarz-Gelb endlich abgewählt. Wieder Jubel. Schmid wird von seiner Frau Tülay begleitet, beide strahlen, aber als Triumphator tritt der Frontmann nicht auf. Dafür ist das SPD-Ergebnis - das schlechteste im Südwesten überhaupt - denn doch zu mager.

Den Umgang mit Bürgern ändern

Ein "Schönheitsfehler" sei der Negativrekord, hört man bei den Genossen an diesem Abend öfter, aber entscheidend sei, dass Rote und Grüne die Regierung übernehmen könnten. "Auf Augenhöhe" werde man miteinander umgehen, ist die Sprachregelung, die sich Schmid für das Verhältnis zu der mächtig erstarkten Ökopartei zurechtgelegt hat. Eine Weile herrscht noch Hoffnung, die Grünen auf den letzten Metern doch noch zu überrunden. Doch daraus wird nichts mehr.

"Der Wechsel beginnt morgen in Baden-Württemberg", verkündet Schmid den begeisterten Anhängern. "Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser", fügt er dann hinzu. Das soll vor allem für den Politikstil, für den Umgang mit den Bürgern gelten. "Im Dialog" solle das Land künftig regiert werden - anders als bisher bei Mappus & Co. Als eine Fernsehmoderatorin über die "Schockstarre" bei der CDU berichtet, geht ein höhnisches "Ohhh" durch den Saal.

Konkurrenz überwog

So freudig endet für die SPD ein Wahlkampf, der zeitweise einer Achterbahnfahrt glich: mal runter, dann rauf, dann wieder runter. Zum Schluss übten Nils Schmid und sein Grünen-Kollege Winfried Kretschmann zwar zunehmend den Paarlauf, doch in den Monaten davor überwog die Konkurrenz. Wer würde in der angestrebten Koalition die Führungsrolle übernehmen, wer als Koch und wer als Kellner? Die Aufregerthemen im Wahlkampf - Stuttgart 21 und Atomkraft - halfen der SPD deutlich weniger als den Grünen. Als die Auseinandersetzung über das Bahnprojekt eskalierte, schoss die Ökopartei mit ihrem klaren Nein in den Umfragen nach oben. Die SPD mit ihrer differenzierten Haltung - Ja zu dem Vorhaben, aber trotzdem eine Volksabstimmung - geriet dagegen in den Windschatten der öffentlichen Wahrnehmung.

Als sich die Wogen um Stuttgart 21 geglättet hatten, legte die SPD in den Umfragen wieder zu und überrundete die Grünen - ganz so, wie es nach Meinung der Sozialdemokraten sein musste. Alles andere, meinte Schmid einmal, wäre eine "historische Ungerechtigkeit". Doch dann dominierte mit der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima ein ganz neues Thema den Wahlkampf, das Wasser auf die Mühlen der Grünen lenkte.

Schmid hat an Statur gewonnen

Während die SPD so ein Auf und Ab erlebte, nahm die Anerkennung für ihren Spitzenkandidaten stetig zu. Schmid, hieß es allenthalben, habe im Lauf des Wahlkampfs deutlich an Statur gewonnen. Im direkten Vergleich mit Mappus bekam er sogar die höheren Sympathiewerte. Mit seiner nüchternen, sachlichen Art unterschied er sich in den Augen vieler Bürger wohltuend von dem polarisierenden, kraftmeierischen Ministerpräsidenten. "Es gibt nichts Seriöseres als mich", witzelte der 37-jährige Jurist gelegentlich selbstironisch - wohl wissend, dass ihm sein leiser, intellektueller Auftritt auch als Schwäche ausgelegt worden war.

Auch wenn es mit einem Sitz Rückstand hinter den Grünen nun "nur" zum Vizepremier reicht, kann Schmid hochzufrieden sein. Als er 2009 den Vorsitz der darniederliegenden Südwest-SPD übernahm, schien das der Beginn einer mühsamen Aufbauarbeit zu sein. Schneller als einst erhofft ziehen die Genossen nun in die Regierung ein - und der Finanzexperte Schmid aller Voraussicht nach ins Finanzministerium.