Im syrischen Krieg verletzen beide Seiten, das Assad-Regime und die Rebellen, ununterbrochen das humanitäre Völkerrecht. Nach dem Scheitern der Friedensgespräche in Genf ist jetzt eine weitere Eskalation wahrscheinlich.

Damaskus - Viele konnten sich kaum noch auf den Beinen halten, ihre Gesichter gezeichnet von Hunger, Todesangst und schlaflosen Nächten. Einige der 1400 Evakuierten aus Homs waren so benommen, dass sie zunächst am Eingang der provisorischen Versorgungsstelle des Roten Halbmonds vorbeitaumelten, wo Helfer die Ausgemergelten mit einer ersten Mahlzeit aus Obst, Brot und Biskuit versorgten. „Solch ein Ausmaß an Horror habe ich noch nie zuvor gesehen“, erklärte Matthew Hollingworth, Chef des Welternährungsprogramms für Syrien, gegenüber der BBC: „Menschen hausen in unterirdischen Tunneln, suchen die Ruinen ab nach Wurzeln oder irgendetwas anderem Essbaren. Seit Monaten haben sie nichts Richtiges mehr in den Magen bekommen.“ 15 Monate bereits dauert die Totalblockade von Homs, wo vor drei Jahren der Volksaufstand gegen Diktator Baschar al-Assad begann.Dabei ist das Leiden der 4000 Eingeschlossenen in der total ausgebombten Altstadt nur ein winziger Bruchteil der menschlichen Katastrophe, die das gesamte Land erfasst hat. Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind mehr als 250 000 Menschen in derartigen Hungerenklaven gefangen – vor allem in Aleppo, Deir Ezzor im Osten sowie im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus. Seit dem vergangenem Juni haben die Regierungstruppen das zwei Quadratkilometer große Areal hermetisch abgeriegelt, wo einst 110 000 Palästinenser lebten. Mittlerweile vegetieren dort noch 18 000 Bewohner zwischen Müll und Trümmern, schmelzen Schnee zu Wasser, essen Kaktusblätter und Unkraut, schlachten Katzen oder streunende Hunde. „Die Hölle wäre besser“ – mit diesen Worten empfing eine 29-jährige Mutter mit Baby auf dem Arm die UN-Helfer, die vorletzte Woche rund 1000 Lebensmittelpakete nach Yarmouk durchbringen konnten. „Wir haben Kräuter in Wasser gekocht und das dann getrunken“, sagte sie: „Wir haben Gras gegessen, bis kein Gras mehr da war.“

 

Ein Krieg ohne Regeln

Die Genfer Verhandlungen sind am Wochenende nach der zweiten Runde vorerst gescheitert, die Kontrahenten ohne jedes Ergebnis abgereist. „Es tut mir sehr, sehr leid. Ich entschuldige mich bei der syrischen Bevölkerung, dass diese beiden Verhandlungsrunden ihr nicht viel geholfen haben“, erklärte UN-Vermittler Lakhdar Brahimi, denn die menschliche Tragödie in Syrien hat längst apokalyptische Ausmaße angenommen. Mindestens 140 000 Menschen haben ihr Leben verloren, Zehntausende werden vermisst. Allein seit dem 22. Januar, als die Bürgerkriegsparteien erstmals in der Schweiz an einem Tisch saßen, wurden 5800 Menschen getötet, die meisten durch teuflische Fässerbomben, gefüllt mit Sprengstoff und Eisenteilen, die von Kampfhubschraubern auf Wohngebiete abgeworfen werden. In den Gefängnissen des Regimes wird „in industriellem Ausmaß“ gefoltert und gemordet, wie 55 000 kürzlich aus dem Land geschmuggelte Fotos belegen. Hunderte Menschen starben im letzten August, als Assads Artillerie von Rebellen kontrollierte Außenbezirke von Damaskus mit Giftgasgranaten beschoss. „Wir sind nicht nur pessimistisch, wir sind extrem frustriert“, klagte Valerie Amos, UN-Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten. Beide Seiten, Regime und Rebellen, würden das humanitäre Völkerrecht „ununterbrochen und schamlos“ verletzen und ihre Pflicht missachten, die Zivilisten zu schonen. „Wir wissen, dass dies ein Krieg ist, aber selbst Kriege haben Regeln.“