Der dänische Tänzer Johan Kobborg hat Eric Gauthier um ein Solo gebeten. Eine Woche haben die Stars in Stuttgart geprobt – und sich ein verrücktes Ballett-ABC ausgedacht.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Manchen Noverre-Stücken gelingt von Stuttgart aus eine steile Karriere, Eric Gauthiers „Ballet 101“ zum Beispiel. Das 2006 uraufgeführte Solo für Jason Reilly hat es zum internationalen Gala-Hit gebracht, demnächst exportiert es das von Filip Barankiewicz geleitete Prager Ballett auf einer Tournee nach China. Gauthiers amüsante Einführung ins klassische Ballett, die sich zur rasanten, ihren Interpreten aufreibenden Leistungsschau steigert, ist bei Stars beliebt: Roberto Bolle von der Mailänder Scala und Xander Parish vom Mariinsky-Ballett tanzen das Gala-Stück, Kompanien von Australien bis Zürich haben es im Repertoire.

 

Der dänische Tänzer Johan Kobborg, viele Jahre Solist des Royal Ballets in London und als Partner seiner Frau Alina Cojocaru weltweit gefeiert, hat als gefragter Gala-Star Bekanntschaft mit Eric Gauthiers „Ballet 101“ gemacht. „Ich habe das Stück öfters gesehen und war jedes Mal verblüfft, dass es so persönlich wirkt, selbst wenn es nicht für den jeweiligen Tänzer entstanden ist“, sagt Johan Kobborg. Und so reifte in ihm der Wunsch, einmal selbst mit Eric Gauthier zusammenzuarbeiten. Vor einem Jahr rief er ihn an, in der letzten Septemberwoche fanden die beiden Vielbeschäftigten eine Lücke im Kalender, um in den Proberäumen von Gauthier Dance am Löwentor gemeinsam ein Solo auszuhecken, das wie „Ballet 101“ mit liebevoller Komik auf diese Kunst blickt, ohne in Klamauk zu verfallen.

Uraufführung in St. Petersburg

„ABC“ soll das Werk heißen, Uraufführung ist am 13. Oktober bei einer Gala in St. Petersburg. Und schon ein kleiner Einblick bei den Proben in Stuttgart macht klar: Auch dieses Stück hat das Zeug zum Hit! Doch um seine volle Wirkung zu entfalten, braucht das Ballett-ABC nicht nur einen virtuosen Tanzakrobaten, sondern vor allem einen gereiften, ausdrucksstarken Darsteller, wie es Kobborg ist. Der 47-Jährige springt und dreht auf Hochtouren, der Däne hat aber vor allem ein feines Gespür fürs Pantomimische, das Gesten präzise, ohne exaltiertes Getue setzt.

Ballettbegriffe von A bis Z hat das Duo Gauthier-Kobborg gesammelt, im Studio klopfen sie das Vokabular auf seine Bühnen- und Tanztauglichkeit ab, auch daraufhin, ob ein Begriff Einblick in das komplizierte Dasein als Tänzer geben kann. „Es war uns klar, dass wir das Solo mit dem Wort ,available‘ eröffnen wollten“, sagt Eric Gauthier, offen für alles – so wünscht sich ein Choreograf seinen Tänzer, so muss ein Künstler heute sein, um Erfolg zu haben. Zwischen Fachbegriffen wie Allongé, Assemblé und Arabesque wird das Wörtchen „alcoholic“ im Publikum sicher für Heiterkeit sorgen. „Wir lachen“, sagt Eric Gauthier, „aber viele Tänzer sind’s.“

Wie überrascht man das Publikum?

Klar will ein Tänzer vom Format eines Johan Kobborg mit einer solchen Nummer zeigen, was er noch immer kann. Beim Stichwort „Jetée“ wird er zum Flugkünstler, er geht ans Limit. Doch letztlich geht es Kobborg gerade nicht um die üblichen Tänzertricks. „Da bin ich durch, ich muss nichts mehr beweisen“, sagt der dänische Star. „Auf der Ballettbühne hat man alles schon gesehen. Heute kann man das Publikum nur noch überraschen, wenn man etwas völlig Unerwartetes tut.“

Eine Fülle solch verrückter Ideen gehen Choreograf und Tänzer durch, im besten Fall fügen sich ihre Einfälle am Ende, angetrieben von Gauthiers Stimme aus dem Off zu heiteren Miniaturen wie beim Buchstaben „L“, wenn „lift“ auf „loud“ trifft und Kobborg eine unsichtbare Partnerin unsanft landen lässt. Es ist schön zu beobachten, wie für dieses „ABC“ zwei Künstler einander gefunden haben und sich gegenseitig inspirieren. „Tanzen, Komik, Charaktere ausloten: Dieses Stück gibt mir all diese Möglichkeiten“, freut sich Johan Kobborg auf die Uraufführung in St. Petersburg. Und vielleicht findet das Werk ja auch seinen Weg auf eine Stuttgarter Bühne.

Vorerst heißt es bei Gauthier Dance aber „Classy Classics“: Am 24. Oktober startet die Theaterhaus-Kompanie mit modernen Lieblingsstücken in die neue Saison.