Erik Sturm hat Stuttgarts älteste Litfaßsäule zersägt und aus ihrem Wanst eine Bank fürs Stadtpalais gebaut.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Sie hat ihren Dienst getan und schwer daran getragen. Als die älteste Litfaßsäule Stuttgarts vor neun Jahren ihren Dienst quittierte, war sie ordentlich dick und fett und rund. Ihr Wanst bestand aus tausend Papierschichten und stattlichen 8000 Plakaten, die seit 1979 auf sie geklebt worden waren. Im Nachhinein staunt man, wofür in Stuttgart vor allem geworben wurde: vor allem für Zigaretten und Bier. An sich wäre die Litfaßsäule wie viele ihrer Gesellen auf der Deponie gelandet, Erik Sturm dagegen interessiert sich besonders für jene Dinge, die andere entsorgen. Als die Säule aus Feuerbach in Rente geschickte werden sollte, ließ der Stuttgarter Künstler sie mit Lastwagen und Kran abholen und nutzt die Einzelteile seither für Kunstprojekte.

 

Vor dem Stadtpalais hat Erik Sturm nun seine „Datenbank“ aufgebaut – eine mehrere Meter lange Bank, die aus den zersägten Einzelteilen der Bank besteht: dem Betonkorpus und den darauf geklebten Plakaten. Fast zehn Zentimeter ist diese Plakatschicht dick, die Sturm satt mit Bootslack bestrichen und versiegelt hat, sodass die Bank nun Wind und Wetter trotzt und bedenkenlos genutzt werden kann. Zugleich hat er damit die Historie sozusagen konserviert – und eine analoge Datenbank geschaffen, in der ein Stück Kulturgeschichte gespeichert ist.

Sturm macht Farbe aus Stuttgarter Feinstaub

Erik Sturm hat eine besondere Leidenschaft für die Hinterlassenschaften der Großstadt Stuttgart. Mal hat er ein Schachtgitter ausgestellt, das er am Königin Katharina Gymnasium gefunden hatte, mal einen verbogenen Stahlträger vom S-21-Areal. Seit seinem Studium an der Stuttgarter Akademie bei Christian Jankowski beschäftigt er sich aber auch mit Staub oder besser Feinstaub, den er von Fensterbänken und Mauervorsprüngen abkratzt , um daraus Farbe herzustellen. Die schlechte Luft in der Stadt hat ihn quasi bekannt gemacht. Seine Papierarbeiten „Neckarschwarz“, die wie verkohlt wirken, sind inzwischen beliebte Ausstellungsobjekte.

Im Stadtpalais zeigt er in einer kleinen Ausstellung noch die Hintergründe zu seiner Datenbank. In einem Video hat Sturm den Abbau und Transport des schweren Kolosses dokumentiert, in einer Installation außerdem seine Hilfsmittel versammelt, den Mixer, mit dem er den Lack angerührt hat, Literatur über Ernst Litfaß, den Erfinder der Litfaßsäule, und Informationen zur Konservierung von Kunstwerken auf Papier. Denn durch den Transfer vom öffentlichen Raum in den Kunstbetrieb sind die Plakate letztlich Kunst geworden. Deshalb müssen die Besucher auch weiße Handschuhe tragen, wenn sie den dicken Plakatstapel durchblättern wollen, bei dem Erik Sturm die einzelnen Papierschichten vom Kleber befreit hat. Die Motivausschnitte sind dabei weniger interessant, dafür kann man die Vergänglichkeit riechen, aus dem Stapel duftet quasi der Muff der letzten vierzig Jahre heraus.

Es wird eindrücklich sichtbar, wie die Zeit vergeht

Als stadthistorisches Tagebuch bezeichnet Erik Sturm seine Datenbank, wobei sie nicht wirklich viel über Stuttgart erzählt, selbst wenn es meist heimische Biere waren, die auf der Feuerbacher Litfaßsäule beworben wurden. Die handfeste Parkbank für die Öffentlichkeit erzählt dagegen auf leise und poetische Weise von der Vergänglichkeit. Diese dicke Papierschicht, die sich um die Betonsäule gelegt hat wie Jahresringe eines Baumes macht eindrücklich und haptisch sichtbar, wie die Zeit vergeht.

Ausstellung bis 20. Oktober. Die Begleitausstellung im Stadtpalas ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.