Erika Lust ist eine Pionierin des feministischen Pornos. Sie dreht seit 20 Jahren erotische Filme, die Geschlechterrollen infrage stellen und hat damit die Sexindustrie maßgeblich verändert.
Erika Lust, die eigentlich Erika Hallqvist heißt, Schwedin ist, aber seit vielen Jahren in Spanien lebt, dreht Pornos. Ursprünglich hat sie Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Menschenrecht an der Universität im schwedischen Lund studiert. Doch seit 20 Jahren versucht sie mit ihrer Produktionsfirma Lust Films, dem Chauvinismus der Erotik-Branche etwas entgegenzusetzen. Ob es so etwas wie feministische Pornografie gibt und wie viel Vielfalt die Sexindustrie zulässt, verrät sie im Interview.
Erika Lust, Sie produzieren seit20 Jahren Pornos.
Ich habe als Außenseiterin in der Branche angefangen. Ich hatte Politikwissenschaften und Gender Studies studiert und wollte die Welt und ihre Machtverhältnisse verstehen. Als junge Erwachsene interessierte ich mich für Sexualität – im Allgemeinen und für meine eigene. Ich habe versucht zu verstehen, was mich anmacht, und warum ich mag, was ich mag. Ich habe mich gefragt, warum die Welt, in der wir leben, so heteronormativ ist. Und warum alles, was wir auf der Leinwand sehen konnten, von Männern, für Männer gemacht war. Nie waren es wirklich weibliche Geschichten. Ich glaube, das war es, was mich auf die Idee gebracht hat, eigene Filme zu produzieren.
Hat sich in den letzten Jahrenviel verändert?
Eine ganze Menge! Damals schien es mir in meinem Umfeld so, als hätten Männer im Allgemeinen ein entspanntes Verhältnis zu Sexualität und zu Pornografie. Sie benutzten sie, sie mochten sie, sie masturbierten dazu, sie schämten sich nicht dafür. Meine Freundinnen allerdings schienen fast alle ein komplexes Verhältnis zu Pornos zu haben. Einige von ihnen hatten eine starke Abneigung gegen Pornografie, und waren der Meinung, dass es ein Genre sei, das für Frauen unmöglich zu genießen sei – dass es definitionsgemäß chauvinistisch sei. Andere hatten einfach nicht das Gefühl, dass es die richtigen Filme für sie gab. Eine kleine Gruppe von Frauen hatte aber auch Spaß an Pornos und mochte sie irgendwie. Mir wurde klar, dass es ein sehr unterschiedliches Muster zwischen Frauen und Männern in Bezug auf Pornografie gab. Also habe ich, angefangen darüber zu lesen und mich in die Welt der Pornografie zu vertiefen. Und ich war schon immer eine Art Ästhet. Ich liebe Film und Kinematografie. Ich liebe Kunst. Ich liebe schöne Dinge – und ich wollte sehen, ob ich meine Vorstellung von Ästhetik in der Welt des Pornos verwirklichen kann. Das ist es, was ich in diesen 20 Jahren versucht habe. Ich wollte sehen, ob ich mit dem weiblichen Blick spielen kann, weibliche Geschichten erzählen kann, und ob ich das Begehren und die Lust von Frauen auf der Leinwand darstellen kann.
Sie haben einmal gesagt: „Sex kann schmutzig sein, aber die Werte dahinter müssen sauber bleiben.“ Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Pornos ethisch sind?
Es ist der Prozess: Um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten, müssen wir sicherstellen, dass wir die Darsteller*innen vor einem Dreh kennenlernen. Wir erfahren, wer sie sind, etwas über ihren persönlichen Hintergrund, was sie mögen und was sie nicht mögen, wo ihre Grenzen liegen, wie sie Sex auf dem Bildschirm haben wollen und so weiter. Wir sorgen dafür, dass die Gespräche zwischen den Menschen vor der Kamera auch im Vorfeld mit anwesenden Fachleuten für Intimitätskoordination geführt werden. Denn viele von uns haben persönliche Erfahrungen gemacht, die nicht die besten waren. Bestimmte sexuelle Handlungen können dann potenziell Erinnerungen auslösen. Also müssen wir dafür sorgen, dass sie jederzeit sagen können: „Hey, ich brauche eine Pause. Ich will aufhören. Mir gefällt nicht, was hier passiert. Ich habe da heute keine Lust drauf.“
Wie reagieren Sie auf Kritik, die besagt, dass es so etwas wie feministische Pornos nicht gibt?
Ich denke, die irren sich. Denn ich glaube, dass Pornografie eigentlich nur die Darstellung von explizitem Sex ist – und das lässt sich natürlich mit unterschiedlichen Werten produzieren. Man kann es aus einer chauvinistischen Perspektive tun und das Internet ist voll davon. Aber man kann es auch mit anderen Werten machen. Es kommt immer darauf an, wer hinter den Projekten steht. Welche Ideen haben die Produktionsteams? Was wollen sie in der Welt zum Ausdruck bringen? Wenn ich von feministischer Pornografie spreche, dann meine ich damit das Bewusstsein hinter der Produktion, aber auch, dass darüber nachgedacht wird, wie Geschlecht, Geschlechterrollen, Machtverhältnisse und sexuelle Identitäten auf der Leinwand dargestellt werden. Wenn man also über Partizipation und Repräsentation nachdenkt und sich darüber im Klaren ist, was Feminismus ist, dann kann man feministische Pornos drehen.
Wie sehen Sie sich selbst in Bezug zu der Mainstream-Pornoindustrie, oder „Big Porn“, wie Sie es auch nennen.
Ich sehe mich als eine Nervensäge, aber auch als eine liebevolle Kritikerin. Ich versuche, die Industrie damit besser zu machen – zum Beispiel durch das Einführen von Bezahlschranken. Wenn alle, die sich Pornos ansehen wollen, bezahlen würden, wären schon viele unserer Probleme wesentlich weniger groß. Bei ethischer Pornografie geht es nämlich nicht nur um die Produzenten, sondern auch um die Verbraucher, die bereit sind, für etwas zu bezahlen, das ihnen Spaß macht. Genauso wie sie für Spotify oder Netflix bezahlen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Erotik- oder Pornoindustrie, besondersin Bezug auf Vielfalt und Feminismus?
Ich höre häufig das Vorurteil, dass es in Pornos nur perfekte Körper gibt. Dabei gibt es in Pornos sehr viele verschiedene Körpertypen, Hautfarben und Altersgruppen. Pornos sind eigentlich viel vielfältiger, als die Leute erwarten, aber es gibt auch das Phänomen, dass die Mainstream-Pornoindustrie Vielfalt fetischisiert. Merkmale werden dann einfach zu Kategorien und zwängen die Menschen vor der Kamera in eine Box. Das ist einer der Gründe, warum ich denke, dass es so wichtig ist sie eben auch am kreativen Prozess zu beteiligen. Aber auch „Big Porn“ hat gemerkt, dass sie sich bessern müssen, wenn sie als Industrie überleben wollen. Sie müssen sicherstellen, dass es Industriestandards gibt, bei denen sie sich um die Mitwirkenden vor der Kamera und die Menschen, die in dieser Industrie arbeiten, kümmern. Ich habe gesehen, wie Unternehmen, die nahezu gar keine Standards hatten, bei denen es ein bisschen wie im Wilden Westen ablief, angefangen haben, Darsteller*innen in ihre Vorstände aufzunehmen und Kontakt zu Organisationen aufgenommen haben, die mehr über Sexarbeit wissen.
Was kommt Ihrer Meinung nach zuerst: Porno oder Lust? Und welche Aus-wirkungen hat das auf Ihre Arbeit?
Lust gab es natürlich lange vor der Pornografie. Aber Pornografie hat auch das Potenzial uns zu zeigen, wer wir sind und was wir begehren und wie andere Menschen es tun. Ich glaube, dass pornografische Inhalte unser Verständnis für andere Identitäten und Sexualitäten und für andere Arten, Sex zu haben, erweitern können. Ich bekomme immer wieder Rückmeldungen von Menschen, die meine Filme gesehen haben und mir schreiben: „Hey Erika, dieser Film hat mir wirklich geholfen, einen Teil von mir selbst oder einen Teil meines Partners zu verstehen. Ich habe nie wirklich verstanden, warum Füße da immer so ein großes Thema waren, aber dann habe ich den Film gesehen und jetzt verstehe ich es besser.’“ Ich glaube, dass meine Pornografie das Potenzial hat, mehr zu sein. Auch wenn das vielleicht überheblich klingt – ich versuche Pornos zu machen, die auch zum Nachdenken anregen.