Mütter mit acht oder mehr Kindern erhielten im Dritten Reich entsprechend dem Familienbild der Nazis Ehrenkreuze. Auch in Sindelfingen wurden Mütter für den „Dienst an der Volksgemeinschaft“ geehrt.

Sindelfingen - Am Sonntag, den 18. Mai 1941 wurde im Filmtheater in Sindelfingen feierlich der Muttertag begangen. Bereits Tage zuvor stimmte man die Leserschaft der Sindelfinger Zeitung auf diesen besonderen Tag ein. So wurde „das hohe Lied der Mutter“ besungen mit Zitaten von Dichtern und Schriftstellern wie Goethe, Schiller oder Hölderlin. Viele Anzeigen und längere Artikel über die Wertschätzung der Frau und Mutter im Nationalsozialismus zeigten die Bedeutung dieses Tages.

 

Im Mai 1934 wurde erstmals der „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ als öffentlicher Feiertag am 3. Sonntag im Mai begangen. Adolf Hitler stiftete 1938 das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter (Mutterkreuz) „als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter“. Die erste Verleihung erfolgte am 21. Mai 1939 in München. Die Auszeichnung symbolisierte die propagandistisch gewollte besonders ehrenvolle Rolle der Mütter innerhalb der „Volksgemeinschaft“, die sich mit ihrem Leben auf dem „Schlachtfeld“ der Mutterschaft (Adolf Hitler) einsetzten. Die erste Stufe des Mutterkreuzes in Gold wurde an Frauen mit acht und mehr Kindern verliehen, die zweite Stufe in Silber an Frauen mit sechs und sieben Kindern, die dritte Stufe in Bronze an Mütter mit vier und fünf Kindern. Auf der Rückseite befand sich die Inschrift „Das Kind adelt die Mutter“.

Am Sonntag, dem 18. Mai 1941 fand in Sindelfingen um 10 Uhr die offizielle Muttertagsfeier mit Verleihung des Mutterkreuzes statt. „Vor dem Hause hatte eine Wehrmachtskapelle Aufstellung genommen, die...Musikstücke spielte. Die Jugendgruppe der Frauenschaft überreichte den Müttern bei ihrem Eintritt hübsche Blumenangebinde...Lieder und Sprechchöre wechselten miteinander ab. Danach sprach die Frauenschaftsleiterin Frau Schönberger über den Sinn und Zweck des Muttertags...Die Mutterschaft, die im Mittelpunkt des Lebens der deutschen Frau stehe, sei die Krönung ihres Daseins und voll Dankbarkeit schaue die ganze Nation, an ihrer Spitze der Führer zu ihr auf...Mit dem Gruß an den Führer und den Liedern der Nation schloß die Feier, die auch unsere Stadt in den großen Rahmen der reichseinheitlichen Mütterehrungen stellte. Die deutsche Wochenschau und ein Kulturfilm boten den Frauen noch einen interessanten Einblick in die Kämpfe unserer Truppen, sowie schöne Naturaufnahmen aus einem Wildforst Wiens.“

NS-Veranstaltungen liefen oft als Konkurrenz zum Gottesdienst

An diesem Tag erhielten elf Mütter eine dieser Auszeichnungen. In der Zeitung wurde auch ein Hinweis der Kirchengemeinde, dass der Gottesdienst bereits um 9 Uhr stattfindet, abgedruckt. Er wurde „wegen öffentl. Feier vorverlegt“. Dies war kein Einzelfall. Häufig fanden an Sonntagen ganz bewusst NS-Veranstaltungen in Konkurrenz zu Gottesdiensten oder kirchlichen Veranstaltungen statt. In diesem Fall jedoch informierte die Zeitung ihre Leserschaft über den eigentlichen Grund des Veranstaltungsbeginns: „...Die Feier ist so frühzeitig angesetzt, daß die Hausfrauen nachher noch ihren häuslichen Aufgaben für den Sonntag nachkommen können...“ Falls die Frauen dann am Nachmittag ihre Aufgaben erledigt hatten, konnten sie sich im Kino noch den passenden Film „Die keusche Geliebte“ ansehen.

Insgesamt hatten bis 1941 rund 4,7 Millionen Frauen das Mutterkreuz erhalten. Im Volksmund wurde es auch als „Karnickelkreuz“ bezeichnet. Vor der Verleihung wurden erst Gutachten bei verschiedenen Behörden über die zu ehrende Frau eingeholt. Unter anderem waren ein Ariernachweis und der Nachweis über „erbgesunde“ Kinder erforderlich. Das Mutterkreuz zählt seit 1957 zu den verfassungsfeindlichen Abzeichen.