Eritrea hat endlich Frieden mit seinen Nachbarn geschlossen und will raus aus der Isolation. Aber von Aufbruch ist wenig spürbar – mit kleinen Ausnahmen.

Asmara - Das vor der Landepiste liegende Teil eines Flugzeugwracks stört etwas den Gesamteindruck, aber ansonsten werden schon am Flughafen von Asmara die Ordnung, Sauberkeit und Disziplin, dieses seit 1991 von einer Befreiungsfront regierten Landes deutlich: Zwei Dutzend Frauen schneiden direkt neben der Landebahn das Gras, winken der hereinschwebenden Maschine der Ethiopian Airlines zu. Im Empfangsterminal wienert eine Frau mit Wischmopp den Boden, und ein Schild warnt: Unpassende Bemerkungen über Bomben werden strafrechtlich verfolgt. Die Reisegruppe – sechs Württemberger mit der Stuttgarter Bischöfin Gabriele Arnold und dem ehrenamtlichen Afrika-Freund Rainer Gessler – ein Referent im Verkehrsministerium in Stuttgart – wird in einer Art Vorzugsbehandlung für Weiße an der Warteschlange der Eritreer vorbei gewinkt. Willkommen im „Land der schönen Menschen“, wie es früher einmal in der Tourismuswerbung von Eritrea hieß.

 

Die meisten Städte Afrikas hat ein Bauboom erfasst, aber Asmara ist anders: keine Baukräne, keine Neubauten, keine Reklame westlicher oder chinesischer Konzerne, kein Stau, kein Starbucks, kein McDonald’s und keine Shopping-Mall – dafür eine pittoreske von den italienischen Kolonialbauten geprägte Altstadt, ein paar Pferdekutschen, freundliche und höfliche Menschen, ein staatliches Hotel mit DDR-Charme, in der die Sessel verschlissen sind, das Wasser tröpfelt und das Internet lahmt.

Die Anspannung ist weg

Wer die Stadt nach gut einem Jahrzehnt wiedersieht, der vermisst nur die uralten gelben Fiat-500-Taxis, sie sind von koreanischen Autos abgelöst worden. Ansonsten – Stillstand, Rückstand. Wie soll man die Lage anders nennen, sieben Monate nach dem Friedensschluss mit dem großen „Bruder“ Äthiopien mit seiner 105-Millionen-Bevölkerung, mit dem sich die fünf Millionen Eritreer von 1998 bis 2000 einen blutigen „Krieg der Habenichtse“ geliefert haben? Zurück auf Null also, nach einem langen Kalten Krieg mit geschlossenen Grenzen, selbst gewählter und durch UN-Sanktionen verstärkter Isolation. Überall im Land ist ein Aufatmen vernehmbar, denn erstmals seit Jahrzehnten sind die Grenzen zu Äthiopien offen – allerdings haben zwei von drei Übergängen wieder dicht gemacht. Egal, ob beim Besuch eines Projekts für mittellose Frauen der evangelischen Kirche oder im Pfarrerseminar: Die „Anspannung“ sei weg, sagen die Menschen, und schlagen sich ein Kreuz vor die Brust.

Die Fahrt geht von Asmara (2300 Meter über dem Meer) hinab ins grüne Städtchen Keren, durch eine grandiose Berglandschaft und vorbei an makabren Sehenswürdigkeiten – einem in die Tiefe gestürzten Panzer der Äthiopier sowie einem im Vorjahr in der Schlucht verunglückten Bus, damals gab es 38 Tote. Bei der Einfahrt nach Keren werden an einem Checkpoint die Reiseerlaubnisse geprüft, jede Fahrt überland muss behördlich genehmigt werden, eine zeitraubende Prozedur.

Im Ort existiert eine Taubstummenschule mit Kindern im Alter von elf bis 17 Jahren , es ist eines der wenigen Projekte, die mit westlichem Geld finanziert werden dürfen, die katholische und evangelische Taubstummenhilfe und auch das seit 40 Jahren im Land aktive Unterstützungskomitee für Eritrea aus der Schweiz geben Geld. Yohannes Medhin, Anfang 40, ist Direktor der Schule, sein Vorgänger ist zu sechs Jahren Haft wegen sexueller Übergriffe verurteilt worden, und Medhin lobt den neuen Frieden über alles: „Wir sind sehr glücklich über diese Entwicklung. Die Nahrungsmittelpreise fallen und wir sehen Reiseerleichterungen.“

Die Preise sind gesunken

Der Preis für Teff, eine Hirseart und Basis für das allgegenwärtige Brot Injera, sei von 12 000 eritreischen Nakfa für den Doppelzentner auf 1500 Nakfa gesunken. Auch Bier und Limonade sind erheblich billiger geworden. Neben chinesischen Sinotruc-Lastwagen aus den Gold- und Kupferminen sind auf Eritreas Landstraßen nun äthiopische Lkw zu sehen – voll mit Konsumgütern. Wie Eritreas Wirtschaft angesichts der Importe vom Nachbarn überleben soll, bleibt fraglich. Asmaras eigenes Cola-Werk hat nun Konkurrenz, und die Landwirtschaft ist vermutlich weniger wettbewerbsstark als die Äthiopiens: Medhin führt in den Schulgarten und zeigt kleine rote Pfefferschoten an einem Strauch. Vor dem Schulhaus liegen dreimal größere Schoten zum Trocknen – äthiopische Importe.

Wer mit den Internatszöglingen selbst spricht, hört erstens den wirklich glaubhaften Satz, man „liebe diese Schule“, und zweitens zeugen die Berufsideen vom hohen Selbstbewusstsein einer aufstrebenden Jugend: TV-Moderator, Lehrer, Geschäftsfrau wolle man werden, von Weben – was man in Keren lernt – spricht keiner.

Der Bausektor muss liberalisiert werden

Aufbruchstimmung? Bei den Menschen vielleicht, sichtbar ist sie nicht. Außerhalb von Asmara befindet sich ein, vielleicht das einzige, moderne Wohnviertel– eine Siedlung von Eritreern aus der Diaspora, allein in Deutschland leben 25 000. Unweit davon liegt eine zweite Siedlung, bisher eher eine Bauruine, geplant für hochrangige Beamte. „Da wird seit fünf Jahren dran gebaut“, sagt ein Informant. Wirtschaftliche und soziale Reformen sowie eine Liberalisierung des Bausektors, in dem bisher nur ein im Schneckentempo arbeitendes staatliches Unternehmen aktiv ist: Das steht bei vielen Eritreern auf der Wunschliste. Gerade in Asmara ist die Lähmung des Bausektors überdeutlich. Seit 2016 steht das italienische Viertel, geprägt von der Bauhauszeit, unter dem Schutz des Weltkulturerbes – kein einziges ist bisher renoviert worden. Medhanie Teklemaraim, Architekt und UN-Projektkoordinator, bittet um Geduld und verweist auf einen 100-Milionen-Euro-Antrag auf Förderung: Im übrigen finde wegen des billig importierten Zements aus Äthiopien ein kleiner privater Bauboom statt: „Pro Monat vergeben wird 60 bis 80 Baugenehmigungen.“

In der Pizzeria New Fork von Asmara dann ein Gespräch mit drei kirchlich aktiven Männern im Alter von 20 bis Mitte 30: Alle leben noch bei den Eltern, keiner verliert ein kritisches Wort über die Regierung unter Präsidenten Isayas Afewerki, keiner fordert offen Reformen ein. Aber einer bemerkt immerhin, dass der Nationale Dienst – ein im Prinzip dauerhaft verlängerbarer Pflichtjob beim Staat nach dem Militärdienst – so miserabel bezahlt sei, dass er sein Gehalt gar nicht nennen möchte. „Ich denke, dass man diesen Dienst mal abschaffen sollte“, sagt der Mutigste der drei.

Der Minister sieht eine „Menge Fortschritt“

Seit seiner Unabhängigkeit von Äthiopien 1991 hat sich Eritrea dazu entschieden, seinen eigenen Wege zu gehen. Aber eine erfolgreiche Strategie ist nicht zuerkennen und eine Opposition ist nicht vorhanden. Einmal im Jahr, so heißt es, tage das Kabinett. Der Präsident trifft die Entscheidungen. Auf dem UN-Index der Menschlichen Entwicklung (Wohlstandsindex) aber liegt Eritrea auf Platz 178 von 189, hinter dem Jemen und vor Mosambik.

Das Informationsministerium liegt auf einem Hügel, keine Kontrolle, keine Soldaten, vorbei an Gummibäumen im Treppenhaus geht es zum Büro von Minister Yemane Ghebremeskel. Der verweist auf die verlorenen Kriegsjahre: „Hätte Äthiopien früher eingelenkt, hätten wir den Frieden vor 15 Jahren haben können.“ In drei bis vier Jahren werde man eine „Menge Fortschritt“ im Land sehen, prophezeit er. Eritrea sei stabil, Investoren seien willkommen. „Wir werden unsere Politik an die Lage anpassen.“ Ghebremeskel nennt vier wichtige Aufgaben: das Wettmachen der wirtschaftlichen Verluste, Menschenrechte, soziale Projekte sowie die Bildung. Auch habe Eritrea ein starkes Tourismuspotenzial. Dass die Überland-Reisegenehmigungen abgeschafft würden, sei „wohl eine Sache von Monaten“.

Im New Fork noch eine Begegnung mit drei Münchnern, Abenteurer, die mit dem Rad in zehn Tagen Hunderte von Kilometern durchs Land gefahren sind, nach Massawa ans Meer und zurück. Sie äußern sich euphorisch: Nette Leute, die Eritreer, gute Sicherheit, „tolles Land“. Ein eritreischer Radprofi, dem sie begegnet seien, habe ihnen eine Sim-Card fürs Handy geschenkt, mal hätten sie in einem leeren Haus biwakiert. Am besten sei der fehlende Verkehr. „Einmal haben wir auf 40 Kilometern nur vier Autos getroffen!“, schwärmt einer.