Ein ehemaliges Sanatorium im Ermstal hat sich in ein Speisecafé verwandelt. Kitschzutaten goutieren die Gäste dabei ausdrücklich.
Seeburg - Wer mit dem Auto zum ersten Mal auf der Straße von Bad Urach nach Münsingen unterwegs ist und kurz vor Seeburg den Blick nach links wendet, der dürfte möglicherweise seinen Augen nicht so recht trauen. Denn vor dunkler Hangwaldkulisse scheint es plötzlich so, als sei der Vorhang zu einem Bühnenstück aufgezogen worden, das einem heimatfilmseligen, adelsgetränkten Rührstück aus den frühen Fünfzigern alle Ehre macht. Im Zentrum der Szenerie steht ein Schlössle, das auch so heißt und sich mit seinem prägnanten Eingangstürmchen und dem krönenden Dachgarten passgenau in den Waldwinkel einfügt.
Beim flüchtigen Blick im Vorbeifahren muss es freilich nicht bleiben, denn das Schlössle ist eine gastliche Stätte und trägt den Beinamen Speisecafé. Vom geräumigen Parkplatz führt der akkurat gepflasterte Weg nach oben, vorbei an Wasserspielen und üppigen Blumenrabatten, vier allegorischen Figuren, die die Jahreszeiten darstellen, einem wohlgeratenen Adonis und einer unbekannten Schönen. Bis die beiden Löwenwächter am Portikus erreicht sind, wird man Zeuge wahrlich bukolischer Szenen, inmitten des natürlichen Hangbewuchses drohen weiße Kunstgeißen im Grün zu ertrinken. Der rote Teppich auf den letzten Metern ist grau meliert und pflegeleicht - dann ist man drin im Reich von Küchenmeister Konrad Bimek und seiner Frau Sabine.
"Ich halte das Gemeine von mir fern"
Erbaut worden ist das Schlössle anno 1885 von einem Stuttgarter Medikus mit dem eher unauffälligen Namen Karl Schmid - damals freilich als Privatsanatorium. Der Herr Doktor, so heißt es, habe eine zahlungskräftige Patientenschaft im Auge gehabt und seiner Klientel eine ganzheitliche leib-seelische Gesundkur mit geistigen und musischen Komponenten versprochen, auch ein gut beschickter Weinkeller wurde avisiert. Wie zum Geleit steht über dem Portal in Stein gemeißelt das Horaz-Wort "Odi profanum vulgus et arceo" - ich hasse das Gemeine und halte es von mir fern.
Ob Karl Schmid zum Bewundererkreis des bayrischen Königs Ludwig II. und dessen Märchenschlössern zählte oder mit seinem Bauwerk lediglich einer seinerzeit auch hierzulande blühenden architektonischen Vergangenheitsverklärung nachhing, ist nicht bekannt. Zum Adel freilich unterhielt der Medizinmann familiäre Bande, soll seine Gemahlin Anna doch eine gebürtige Gräfin von Maersch gewesen sein.