Die Bundesliga hat er schon verzückt, am Dienstag eroberte Dortmunds Erling Haaland in der Champions League gegen Paris St-Germain die große Fußballbühne. Vier Gründe, was den 19-Jährigen so besonders macht.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Dortmund - Ein „Tier“, eine „Naturgewalt“, ein „Gesamtpaket“ – die Lobeshymnen reißen nicht ab. Aber ist das ein Wunder? Nach seinem Traumeinstand in der Bundesliga hat Erling Haaland nun auch in der Champions League seinen Wert für Borussia Dortmund unter Beweis gestellt. 2:1 siegte der BVB am Dienstag gegen Paris Saint-Germain – und mit seinen beiden Treffern stellte der 19-jährige Norweger die Topstars der Gegenseite, Neymar und Kylian Mbappé, in den Schatten. Sein Tor zum 2:1 war wunderschön und hammerhart zugleich. Wie gesagt: Erst 19 Jahre ist Haaland alt – und doch reißt er schon eine ganze Mannschaft mit, versetzt 80 000 Fans in Euphorie. Wie ist das möglich? Was macht den Stürmer so stark? Eine Annäherung.

 

Die Wucht: „Er ist eine Naturgewalt“, sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke nach dem Sieg über PSG über das Sturmjuwel des BVB. Was leicht übertrieben klang, hatten alle Zuschauer in den eineinhalb Stunden zuvor ebenfalls beobachtet. Haaland ist 1,94 Meter groß, wiegt fast 90 Kilogramm – bringt diese Statur aber in Sekundenbruchteilen auf Hochtouren. Immer wieder macht er Druck auf die ballführenden Verteidiger, sucht den Körperkontakt – um sich dann doch im rechten Moment davonzustehlen. In Sprintduellen schüttelt er seine Gegner bisweilen ab wie lästige Fliegen. „Er sprintet wie ein Leichtathlet“, sagt der frühere Frankfurter Jan-Aage Fjörtoft, „er hat diese Stärke, diese muskuläre Schnelligkeit.“ Thomas Tuchel, der PSG-Trainer, meinte: „Dieser Junge ist ein Tier. Er hat eine Präsenz, diese Energie –  er ist einfach schwer zu stoppen.“

Der Torriecher: Sieben Spiele hat Erling Haaland in dieser Saison in der Champions League gemacht (für den BVB und RB Salzburg) – zehnmal hat er getroffen. Acht Tore in fünf Spielen sind es in der Bundesliga – in der er erst seit Ende Januar spielt. In 14 Partien der österreichischen Bundesliga hat er in der Hinrunde 16-mal für RB Salzburg getroffen. „Er ist“, sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, „ein richtiger Torjäger.“ Ein unberechenbarer noch dazu. Tore mit dem Kopf? Kein Problem. Tore per Fernschuss? Aber gerne doch – so wie am Dienstag gegen Paris St-Germain. Treffer aus vollem Lauf? Auch im Repertoire vorhanden. Und Abstaubertore? Logisch – an der richtigen Positionierung im gegnerischen Strafraum mangelt es nicht. „Ich weiß, dass ich mich noch in vielen Bereichen verbessern kann“, sagt Erling Haaland selbst. Welche das sind, verschließt sich dem Beobachter ob der aktuellen Torquote, Einsatzbereitschaft, Schnelligkeit und Intuition. Haaland sei schon „ein gutes Gesamtpaket“, findet BVB-Sportchef Zorc. Ex-Stürmer Fjörtoft ergänzt: „Er kann sich sehr gut in Position bringen. Wenn die Mittelfeldspieler den Ball haben, macht er Räume auf, in die er stoßen kann. Zuerst kreiert er diese Räume durch seine Bewegungen und dann attackiert er dort, wenn der Ball dorthin gespielt wird.“ Dies sei „eine wahnsinnige Stärke“.

Der Wille: Marco Rose, heute Coach bei Borussia Mönchengladbach, trainierte den Norweger einst bei RB Salzburg – und schwärmt von „dieser Willenskraft“. Auch die muss nicht groß erklärt werden, man kann sie sehen. Am Dienstag sprintete Haaland gleich mehrfach in höchstem Tempo aus dem eigenen Strafraum in den des Gegners. „Er bringt eine unglaubliche Mentalität mit“, sagte jüngst der BVB-Sportdirektor Michael Zorc. Neben dem Platz, vor allem bei Interviews, wirkt der bullige Stürmer noch etwas unbeholfen, auf dem Platz ist er aber alles andere als ein schüchterner Teenager. Es ist dieser Wille, sofort und immer etwas zu bewegen, der Haaland auszeichnet. Als er bei seinem BVB-Debüt gegen den FC Augsburg eingewechselt wurde, „war er für uns ein normaler Stürmer, den wir einfach nur verteidigen wollten“, erinnert sich FCA-Trainer Martin Schmidt und ergänzt: „Man hatte viel über ihn gelesen, doch das allein hat uns noch nicht beeindruckt.“ Aber dann? „Ging alles ganz schnell.“ Haaland schoss drei Tore, der BVB siegte 5:3. „Was ihn richtig stark macht, ist, wie er als Typ tickt“, sagt Marco Rose. „Harte Arbeit“ nennt der Hochgelobte als sein Erfolgsrezept. Lucien Favre, der BVB-Coach, lobte am Dienstag neben den beiden Treffern vor allem Haalands Defensivleistung, mit der er auch die zuletzt kritisieren Jadon Sancho und Chraf Hakimi angesteckt hat.

Das Umfeld: Wenn es um das Umfeld des 19-Jährigen geht, spricht man meist über den Vater Alf-Inge, der einst in der englischen Premier League für Leeds United und Manchester City gespielt hat. „Er kann seine Rolle als Gesprächspartner und Beschützer von Erling sehr gut ausfüllen“, meint Landsmann Fjörtoft. Der Familie wird auch der kluge bisherige Karriereweg zugerechnet. Statt schnell den Weg zu den großen Clubs zu suchen, entschied man sich erst für Molde FK (Norwegen), dann für RB Salzburg (Österreich) und nun für Borussia Dortmund. Ein Probetraining als 16-Jähriger in Hoffenheim führte dagegen nicht zu einer Einigung. Diese behutsame Karriereplanung klingt eher weniger nach Mino Raiola, dem mächtigen Spielerberater, der schon zahlreiche Big Deals im europäischen Spitzenfußball abgewickelt hat. Aber auch dieser knallharte Verhandler gehört zum Team um das Toptalent. „Er ist der Beste auf der Welt in dem, was er tut“, sagt Haaland über den oft kritisierten Berater. Die Verhandlungen um den Vertrag bis 2024 bezeichnet Michael Zorc als eine der bislang schwierigsten. Für festgeschriebene 20 Millionen hat der BVB den Stürmer verpflichtet, der wiederum auch Dortmund angeblich dank einer Ausstiegsklausel noch vor 2024 verlassen kann. Sie soll jenseits von 60 Millionen Euro liegen. Was, wenn Erling Haaland so weitermacht, fast schon nach einem Schnäppchen klingt.

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