In einer ARD-Doku deckte ein Team von Journalisten die illegale Ausfuhr von Heckler & Koch-Sturmgewehren nach Mexiko auf – nun ermittelt die Stuttgarter Staatsanwalt gegen die preisgekrönten Filmemacher.

Stuttgart - Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft geht gegen ein Team von Journalisten vor, die an der Aufdeckung illegaler Rüstungsexporte beteiligt waren. Wie der Behördensprecher Jan Holzner bestätigte, haben die Strafverfolger Ermittlungen gegen mehrere Medienschaffende eingeleitet. Man prüfe, ob die Veröffentlichung interner Dokumente strafbar sei, erklärte er. Die Vorwürfe richten sich gegen Autoren der Dokumentation „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“, einer Produktion des SWR und des Bayerischen Rundfunks, die im vergangenen September im Rahmen eines Themenabends in der ARD ausgestrahlt wurde. Betroffen sind auch eine Webdokumentation sowie Beiträge in politischen Magazinen. Für das Gesamtprojekt wurde das Team des Münchner Filmemachers und Regisseurs Daniel Harrich mit dem diesjährigen Grimme-Preis für besondere journalistische Leistungen ausgezeichnet. Darüber hinaus ermitteln die Behörden auch wegen des Buches „Netzwerk des Todes“, das im Heyne-Verlag erschienen ist.

 

Alle Beiträge beschäftigen sich mit der Ausfuhr von Sturmgewehren des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch (H&K) in mexikanische Bundesstaaten, für die deutsche Behörden keine Genehmigung erteilt hatten. Den Fall hatte der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin ins Rollen gebracht, in dem er im April 2010 Anzeige gegen die Schwarzwälder Waffenschmiede eingereicht hat. Fünfeinhalb Jahre später erhob die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im November Anklage gegen sechs ehemalige H&K-Mitarbeiter. Der Vorwurf: Die Beschuldigten agierten, so ist in der jetzt bekannt gewordenen Anklageschrift zu lesen, „gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzter Begehung solcher Straftaten verbunden hat“.

Die betroffenen Publikationen thematisieren nicht nur die mutmaßlich kriminellen Geschäften der H&K-Beschäftigten, sondern beleuchten auch die Rolle des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) und des Bundesausfuhramtes (Bafa) beim Export der G36-Gewehre. Sie dokumentieren interne Schreiben beider Behörden, die auf eine strafrechtlich fragwürdige Kooperation mit den Waffenbauern aus Oberndorf schließen lassen.

Es geht um Geheimnisverrat und Verstöße gegen das Presserecht

Die Strafverfolger prüfen nun, ob die Veröffentlichung der Dokumente widerrechtlich war, weil diese zu den Ermittlungsakten im Verfahren gegen Heckler & Koch zählten. Auf einigen der Papiere sind handschriftliche Anmerkungen zu lesen, andere beschäftigen sich damit, wie ein Export der Gewehre trotz Einwänden des Auswärtigen Amtes möglich sein könnte. Es geht also bei den Vorwürfen gegen die Journalisten um Geheimnisverrat und Verstöße gegen das Presserecht. Und um Whistleblower, also um mögliche Informanten, die das interne Material weitergegeben haben. Für den Fall einer Verurteilung droht eine Geld- oder sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr.

„Anstatt sich mit der Botschaft auseinanderzusetzen, geht man gegen die Botschafter vor“, reagierte der Filmemacher Harrich auf die Ermittlungen gegen ihn und mindestens vier weitere Personen. Es sei seine Pflicht und Aufgabe gewesen, die Informationen zu veröffentlichen. Er vermutet, dass sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft nicht weiter mit der möglichen Verstrickung von Mitarbeitern des BMWI und des Bafa in den Fall beschäftigen will. Das kritisierte der Regisseur bereits bei der Grimme-Preis-Verleihung am 8. April im nordrhein-westfälischen Marl. Schließlich zeigten die veröffentlichten Dokumente, „wie sehr einige Beamten der beiden Behörden in diese mutmaßlich bandenmäßig organisierten Kriegswaffenexporte in Krisenregionen waren“.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat übernommen

Das Verfahren gegen die Medienschaffenden hat mittlerweile die Münchner Staatsanwaltschaft übernommen, weil dort Harrichs Filmproduktionsfirma sitzt und die Web-Dokumentation auf der Seite des Bayerischen Rundfunks angesiedelt ist. Dennoch sieht der Friedensaktivist und Buchautor Grässlin, gegen den auch ermittelt wird, die Verantwortung beim Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller. „Er weigert sich, Schritte gegen das BMWi und das Bafa einzuleiten, verfolgt aber zugleich jene, die den Rechtsstaat verteidigen, indem sie illegale Waffentransporte aufdecken“, kritisiert Grässlin.

Auch Grässlins Anwalt Holger Rothbauer wundert sich. Er erinnert daran, dass Vobiller trotz erdrückender Beweislage fünfeinhalb Jahre gebraucht habe, um Anklage gegen Heckler & Koch zu erheben. „Nun versucht er innerhalb kürzester Zeit und mit enormem Aufwand wegen eines Films und eines Buchs ein Strafverfahren herbeizuziehen“, staunt der Tübinger Verteidiger. Er vermutet, dass die Ermittler von eigenen Fehlern im Verfahren ablenken wollten. Er hatte Grässlins Anzeige bereits im November 2012 um Mitarbeiter des BMWi und der Bafa erweitert. Doch die Klage wurde von Vobiller nicht bearbeitet, meint Rothbauer. „Die Staatsanwaltschaft trickst mit allen Mitteln, um eine Erweiterung des Verfahrens zu verhindern,“ sagt er. Der Behördensprecher Holzner widerspricht. Man habe die Ermittlungen eingestellt, weil kein Anfangsverdacht existiert habe, sagt er.

Die jetzigen Ermittlungen gegen die Journalisten, so Holzner, hätten nichts mit einer Einschränkung der Pressefreiheit zu tun. Und auch nicht mit dem bösem Willen, gegen Kritiker vorzugehen: „Wir müssen ermitteln, wenn der Verdacht auf einen Straftatbestand vorliegt.“