Von Mitte Oktober bis Ende März hat die Ludwigsburger Polizei einen Feuerteufel gesucht. Ein mysteriöser Hinweis führte sie auf eine heiße Spur. Chronik einer erfolgreichen Ermittlung.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Wolken schlucken das bisschen Licht des Neumondhimmels. Wind rüttelt an den Büschen am Straßenrand. Das Thermometer zeigt nur ein paar Grad, Regen schiebt sich über die Autos, in denen die Polizisten sitzen. Sie hoffen, dass diese Nacht eine gute wird.

 

Der Mann, den sie observieren, bemerkt sie nicht. Er fährt nach Pforzheim. In einem Gewerbegebiet parkt er seinen Wagen, den Rest seines Weges geht er. An einem Möbelhaus biegt er ab. Er sammelt Müll, bildet einen Haufen, schüttet Benzin darüber und wirft ein brennendes Streichholz hinterher. Dann rennt er weg. Die Polizisten fangen ihn und löschen das Feuer. Der Großbrand wurde verhindert. Es ist 2.45 Uhr am 11. April. Eine gute Nacht.

Roland Graf ist der Leiter der Ermittlungsgruppe, die ein halbes Jahr lang einen Feuerteufel gesucht hat. Monatelang durchforsteten Spurensicherer skelettierte Autos. Kriminalpolizisten spürten in verwaisten Gewerbegebieten potenziellen Zeugen nach. Streifenbeamte fuhren Sonderrouten. Doch der Feuerteufel war schneller. 33 Autos fackelte er von Oktober bis März im Kreis Ludwigsburg ab, er zündete ein Firmengebäude an und zwei Schulen. In sieben Nächten verbrannten rund sieben Millionen Euro.

Die Brandorte erzählen den Ermittlern keine Geschichten

Mit jedem Feuer spüren die Ermittler mehr Druck, die beispiellose Serie zu stoppen. Mit jedem neuen Fall verstärkt sich der Eindruck, die Ermittler sind von einer heißen Spur weiter entfernt als der Täter von seiner nächsten Tat. „Wir wussten immer, dass wir viel Glück brauchen“, sagt Roland Graf heute. Am 11. April um 2.45 Uhr in Pforzheim sieht es aus, als hätten sie endlich viel Glück.

Die Brandorte erzählen den Ermittlern keine Geschichten. Wenn sie eintreffen, kämpfen Feuerwehrmänner die letzten Flämmchen nieder, und der Gummigeruch verflüchtigt sich. Sämtliche Spuren sind verbrannt und in weißem Schaum ertränkt. An den bizarr verformten Felgen der M-Klasse-Mercedes können die Kriminaltechniker keine Fingerabdrücke mehr finden. Hat es Hautpartikel gegeben, sind sie mitsamt den Fensterscheiben der BMW X5 versengt. Haare, die dem Täter vielleicht ausgefallen sind, haben sich mit den Audi-und Opel-Sitzen zu einem klumpigen Etwas verformt. Die Spezialisten im Landeskriminalamt können nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie die Fahrzeuge genau abgefackelt wurden.

Die fünf Sonderermittler nennen ihre Kommission Logi nach dem Feuerriesen der nordischen Mythologie. Berühmt ist Logi für seinen Wettkampf mit Loki. Diesen hat Logi bei einem Wettessen besiegt, indem er das Fleisch mitsamt den Knochen und dem Trog verbrannte.

Der Anfang vom Ende

„Gab es in letzter Zeit Ärger mit einem Kunden?“, fragen die Logi-Polizisten die Autohausbesitzer. „Ist Ihnen etwas Ungewohntes aufgefallen?“, forschen sie bei den Mitarbeitern nach. Einer erinnert sich an einen auffälligen BMW und einige Ziffern des Kennzeichens. Ein anderer spricht von einem dunklen Wagen, dessen Nummernschild er sich gemerkt habe. Doch der dunkle Wagen erweist sich als Fahrzeug eines Wachdienstes. Und der BMW gehört einem Mann, der glaubhaft versichern kann, zu später Stunde Straßenkreuzer besichtigt zu haben. „Sie glauben nicht, wie viele Menschen nachts Autos angucken“, sagt Roland Graf über die Erkenntnisse nach drei Brandnächten.

Alle Streifenbeamten im Landkreis fahren auf ihren Routinetouren gezielt an Autohäusern vorbei. Der letzte Brand liegt jetzt 15 Wochen zurück, doch die Ermittler verlassen sich nicht darauf, dass sich der Feuerteufel wieder beruhigt hat. In der Nacht zum 3. März geht ein Mann in Ludwigsburg auf ein Polizeiauto zu.

Er berichtet, er habe etwas Verdächtiges gesehen. Auf dem Hof eines Ludwigsburger Autohauses hätten mehrere Personen Benzin aus einem Wagen gezapft. Die Polizisten notieren die Angaben des Zeugen, Namen, Adresse, Telefonnummer. Spuren eines Diebstahls stellen sie bei der Kontrolle des Geländes jedoch nicht fest. Die Sache kommt zu den Unterlagen, vorerst.

Das erste Mal, dass sich das Glück zeigt

Wochen später werden sich die Sonderermittler die Meldung dieses vermeintlichen Diebstahls nochmals anschauen. Es wird der Anfang vom Ende sein, das erste Mal, dass sich das Glück zeigt. In jener Märznacht jedoch scheint es weiter weg zu sein als die nordischen Wälder, in denen der Riese Logi zu Hause war.

In drei Bietigheimer Autohäusern gehen gegen vier Uhr sieben Autos in Flammen auf. Streifen von mehreren Polizeidirektionen und eine Hubschrauberbesatzung finden: nichts.

Sechs Tage später brennt ein weiteres Autohaus in Bietigheim. Zum ersten Mal in dieser Serie legt der Täter auch in einem Gebäude Feuer: Eine Halle der Firma Dürr Dental wird völlig zerstört. 140 Feuerwehrleute sind allein dort im Einsatz.

Kompensation von Frust

Die Polizei versichert, bei einer Brandserie dieser Dimension sei die Chance groß, dass der Täter gefasst wird. Schließlich mache jeder mal einen Fehler.

Zwei Tage später, am 11. März, lodern Flammen aus zwei Schulen. In Besigheim brennt die Küche der Realschule aus, in einem Bietigheimer Gymnasium ein Oberstufenraum.

Die Polizei räumt ein, dass diese Serie selbst für Fachleute „eine ganz harte Nuss“ ist, und stockt die Ermittlungsgruppe auf. Jetzt jagen 30 Sonderkommissare den Feuerteufel. Von allen Revieren kommt Unterstützung, auch die Bereitschaftspolizei ist im Einsatz. Alle landen in der Leere.

Was die Flammen anrichten, ist den Tätern egal

Auf den Bildern der Überwachungskameras – wenn es sie überhaupt gibt – ist nichts zu erkennen. Auch die Aussagen der ohnehin wenigen Zeugen bringen keinen Durchbruch. So haben die Nachtarbeiter neben der Firma Dürr Dental zur fraglichen Zeit zwar einen Radfahrer gesehen, doch nach tagelanger Recherche steht fest: Der Radler war ein Zeitungsausträger. „Ermittlungsarbeit ist immer ein Auf und Ab“, sagt der Logi-Leiter Roland Graf. „Aber bei uns war es am Anfang nur ein Ab.“

Der Erste Kriminalhauptkommissar kennt die einschlägigen Studien über Brandstifter: Die Zündler genießen das Lodern und Knistern der Flammen und kompensieren so ihren Frust. Was die Flammen anrichten, ist ihnen egal. Fast alle Täter sind männlich und leben sozial relativ isoliert. Die Ermittler in Ludwigsburg mutmaßen nach den ersten zwei Brandnächten, dass ihr Feuerteufel noble Automarken hasst. Doch in der dritten Nacht brennen auch Gebrauchtwagen. Verabscheut er bestimmte Hersteller? In Nacht Nummer fünf und sechs kommen Gebäude hinzu. Ist der Brandstifter für bisher nicht beachtete Feuerfälle auch außerhalb des Landkreises verantwortlich?

Sicher können die Polizisten Mitte März nur sagen, dass alle Taten zusammenhängen. Dafür spreche die räumliche und zeitliche Nähe. Und sie sind überzeugt, dass der Unbekannte keine Komplizen hat. „Je mehr Täter es gibt, desto eher kommt was raus“, sagt Graf. Doch nicht einmal die Belohnung von fast 30 000 Euro habe „das Hinweisaufkommen“ verbessert.

„Das ist er, hundertprozentig!“

In der Nacht zu Ostersonntag schlägt der mutmaßliche Alleintäter wieder zu. In Asperg brennen am 31. März gegen vier Uhr fünf Autos aus, darunter ein Lamborghini, den kurz zuvor noch der VfB-Profi Arthur Boka fuhr. Aus den Trümmern schlägt den Ermittlern ein Funke Hoffnung entgegen. Eine Kamera am Nachbargebäude hat einen weißen Audi A1 aufgezeichnet, der zur Tatzeit zweimal am Autohaus vorbeifuhr. „Das ist er, hundertprozentig! Jetzt haben wir ihn!“, frohlocken Graf und seine Kollegen. Doch als sie den Audi ausfindig gemacht haben, wissen sie: Das war hundertprozentig nicht der Täter. Das Auto gehört der Frau, die das Feuer in der Osternacht entdeckt und die Polizei alarmiert hat. Die Logi-Gruppe fühlt sich ausgebrannt.

Die täglichen Besprechungen gehen weiter. Jeden Morgen und jeden Abend treffen sich die Ermittler in ihrem extragroßen Soko-Raum und analysieren ihre Unterlagen. Gibt es neue Hinweise? Wo versteckt sich vielleicht ein Zusammenhang? Und so weiter. In dieser Zeit schafft sich der Hinweis vom 3. März zurück ins Bewusstsein. Warum meldet jemand einen Diebstahl, den es gar nicht gibt? Ist es nicht seltsam, dass sich dieser jemand zu einer so tatrelevanten Zeit (nachts) an einem so tatrelevanten Ort (Autohaus) aufhält?

Es gibt noch viel zu tun

Die Kommission nimmt die Fährte des rätselhaften Mannes aus Affalterbach auf und stellt fest: Er muss in mehreren Feuernächten an den Tatorten gewesen sein (wie sie genau zu dieser Erkenntnis kamen, verraten die Beamten nicht). Ein mobiles Einsatzkommando beginnt mit der Observation, die Ermittler recherchieren weiter. Sie finden heraus, dass der Mann als Handwerker arbeitet, eine Tochter hat, aber nicht verheiratet ist. Der 30-Jährige fährt einen Mercedes und einen Audi, und er ist wegen Einbruchs und Körperverletzung vorbestraft. Außerdem war er bis vor einigen Jahren Mitglied bei einer Feuerwehr, allerdings kein sehr aktives. Am 11. April um 2.45 Uhr lernen Graf und seine Kollegen den Mann persönlich kennen, der ihnen – mutmaßlich – so viele schlaflose Nächte bereitet hat.

Er ist jetzt in Untersuchungshaft. Fünf der 13 Brandstiftungen hat er gestanden. Was ihn getrieben hat? Roland Graf weiß es nicht. Auch nicht, warum sich der Mann am 3. März als Zeuge gemeldet hat. Weil er besonders unverdächtig erscheinen wollte? Graf ist überzeugt, dass alle Flammenherde von einem Täter entfacht worden sind. „Aber wir müssen es auch beweisen.“

Es gibt noch viel zu tun. So viel, dass die Ermittler erst Tage nach der Verhaftung Zeit haben, der Zeitung über die mühsame Suche nach der heißen Spur zu berichten. Und über die Hoffnung, dass die Gruppe Logi den Feuerriesen besiegt hat.