Ermittlungserfolg gegen falsche Polizisten Boss der Schockanrufer-Bande hinter Gitter

Beim Kampf gegen eine Gruppierung von Anrufbetrügen vermeldet die Polizei eine bedeutende Festnahme (Symbolbild). Foto: picture alliance/dpa/AFP/POOL/Jens Schlueter

Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft vermelden einen gewichtigen Schlag gegen die Schockanrufer-Kriminalität: Länderübergreifend ermittelnde Fahnder haben eine polnische Betrügerbande falscher Polizisten zerschlagen.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Mehr 120 Opfer und gut fünf Millionen Euro Beute – das ist die Schadensbilanz einer Betrügerbande, die als falsche Polizisten und mit Schockanrufen vorwiegend ältere Menschen bundesweit und auch mit Schwerpunkt im Großraum Stuttgart abgezockt haben soll. Am Freitag haben das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Pforzheim einen Ermittlungserfolg vermeldet: Bei einer länderübergreifenden Razzia ist der mutmaßliche Kopf der Gruppierung in London festgenommen worden.

 

Der Fall wirft ein weiteres Licht in eine international weit verzweigte Clan-Kriminalität mit Trickbetrügereien am Telefon – in diesem Fall mit Beteiligten eines polnischen Clans. Bei dem Kopf dieser Gruppierung handelt es sich laut Ermittlererkenntnissen um einen 41-Jährigen, der im Milieu der Betrügereien mit Enkeltrick, falschen Polizisten und Schockanrufen einschlägig bekannt ist und bereits von den polnischen Strafverfolgungsbehörden mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde.

Auch Bayern hat seinen Anteil

Im Großraum London, dem vermuteten Hauptsitz der Gruppierung, wurde der 41-Jährige bereits am 15. Juni festgenommen. Dies gaben am Freitag Ermittlungs- und Justizbehörden am Sitz des Landeskriminalamts in Bad Cannstatt bekannt. Es ist freilich nicht der einzige Schlag gegen Schockanrufer-Kriminalität – und auch nicht das einzige internationale Verfahren. Nach Informationen unserer Zeitung spielen auch Erkenntnisse bayerischer Ermittler eine Rolle, die nach dem sogenannten Traunsteiner Modell über eine Spezialabteilung Fälle aus ganz Bayern zusammenziehen. Das Landgericht Traunstein hat zuletzt sogar zwei Urteile mit mehr als zehn Jahren Haft ausgesprochen.

Die Vorgehensweise der Schockanruf-Masche findet sich nahezu täglich in den Polizeimeldungen: Vorwiegend ältere Menschen werden am Telefon mit der Legende überrumpelt, ein naher Angehöriger habe einen tödlichen Unfall verursacht und könnte nur gegen eine hohe Kaution vor einer Inhaftierung bewahrt werden. Am Ende übergeben die gestressten Opfer Bargeld und Schmuck für Zehntausende Euro an angebliche Ermittler oder Bedienstete von Justizbehörden.

20 Millionen Euro Schaden im Südwesten

Die Zahl der Anrufbetrügereien in Baden-Württemberg ist nach zwei Jahren Pandemie wieder deutlich angestiegen – der Schaden liegt im Südwesten bei über 20 Millionen Euro. Doch die Dunkelziffer ist weitaus höher, weil viele Opfer aus Scham keine Anzeige erstatten. Laut LKA-Präsident Andreas Stenger und dem Leiter der Pforzheimer Staatsanwaltschaft, Franz-Josef Heering, soll allein diese Tätergruppierung bundesweit fünf Millionen Euro Schaden verursacht haben. Durch die Ermittlungen auch anderer Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen seien seit September 2022 mehr als 70 Verdächtige im Bundesgebiet festgenommen worden.

Dass Clans ethnischer Minderheiten polnischer Herkunft hinter der jüngsten Welle der Schockanrufe stecken, ist für die Ermittler ein offenes Geheimnis. Einen anderen Schwerpunkt setzen Banden mit Callcentern in der Türkei, die als falsche Polizisten vor angeblichen Einbrechern warnen. Zwar werden meist nur Abholer und Kuriere erwischt, die untersten Glieder in der Hierarchie, die über ihre Hintermänner nichts sagen oder wissen. Die Spuren nach Schockanrufen führen dennoch meist in Richtung Polen.

Verhaftungen auch in Krakau und Posen

Die Arbeitsgruppe „Phänomene“ des Polizeipräsidiums München kam über die Abholer gleichwohl weiteren Hintermännern auf die Spur. Vor dem Coup in London hat aufgrund der Münchner Ermittlungen die polnische Polizei in Krakau und Posen drei sogenannte Logistiker verhaftet. Die Tatverdächtigen sollen die Abholer eingeteilt und an die Tatorte gelotst haben – um die Beute dann den Bossen in Polen zukommen zu lassen. Einer dieser Logistiker soll mindestens 22 Fälle in der Bundesrepublik gesteuert haben, bei denen die Opfer mehr als eine Million Euro verloren.

Allerdings: Obwohl es in den vergangenen Jahren Verhaftungen und Urteile mit mehrjährigen Haftstrafen auch gegen höherrangige Bandenmitglieder gegeben hat, ist das Phänomen der Anrufbetrügereien nicht abgeflaut. Für das Millionengeschäft gibt es immer Nachwuchs. Und neue Fälle.

Opfer werden – keine Frage des Alters

Erst am Montag gab eine über 90 Jahre alte Frau aus Degerloch nach einem Schockanruf Schmuck im Wert von 10 000 Euro her. Und dabei trifft es nicht nur ältere Menschen – es kann auch jüngere treffen: Vergangene Woche beispielsweise hat eine Frau aus dem Kreis Heilbronn ihren Ehemann vermeintlich aus der Untersuchungshaft retten wollen – und einem Unbekannten in Backnang (Rems-Murr-Kreis) 50 000 Euro übergeben. Die Betrogene ist 38.

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