Milch und Milchprodukte gehören seit Jahrtausenden als Nahrung zu unserem Leben. Doch die Empfehlungen für den Tagesbedarf variieren von Land zu Land teilweise erheblich.

Stuttgart - Schon rund 6000 Jahre vor Christus wurde in Nordeuropa Käse gegessen, wie kürzlich in Polen gefundene Reste aus Tontöpfen belegen. Doch Ernährungsgewohnheiten und Lebensstil haben sich seitdem grundlegend verändert. Ist auch in unserer modernen Welt die Milch noch uneingeschränkt zu empfehlen? Mit dieser und anderen Fragen im Hinblick auf Milch und Milchprodukte beschäftigte sich eine internationale Konferenz am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe.

 

Qualitativ hochwertige Eiweißstoffe, reichliche Mengen an Calcium, wertvolle Vitamine und Mineralien – all das hat die Milch zu bieten. Ursprünglich war Milch von Natur aus nur als Nahrung für den säugenden Nachwuchs gedacht, wie am Rückgang des Enzyms Lactase zu sehen ist. Es ist für die Verdauung des Milchzuckers Lactose zuständig und wird bei Säugetieren nach dem Abstillen nicht oder kaum mehr hergestellt. Eine Ausnahme macht da der Mensch, bei dem vor rund 7500 Jahren eine genetische Mutation stattfand, die die Bildung von Lactase auch über das Säuglingsalter hinaus ermöglichte. In Volksgruppen, die Viehwirtschaft betrieben, setzte sich die Mutation erfolgreich durch, denn mit der Milch der Tiere hatte man ein wertvolles Nahrungsmittel für den eigenen Verbrauch. Nicht nur in Nordeuropa, Nordamerika und Australien, auch in Mittelasien, Arabien und im westlichen Afrika gibt es Bevölkerungsgruppen mit dieser genetischen Ausstattung. Die weltweit gesehen meisten Menschen verfügen im Erwachsenenalter nicht mehr über Lactase, sind also keine Milchtrinker.

Milch wird in China immer beliebter

In Deutschland geht man davon aus, dass etwa 80 Prozent der Erwachsenen keine Probleme mit dem Milchzucker haben. Doch selbst in Gebieten, in denen die Milch traditionell keine Rolle spielt, wie etwa in China, werden Milch und Milchprodukte immer beliebter. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Milch das Größenwachstum ankurbelt, wie Kim Fleischer Michaelsen von der Universität Kopenhagen erläuterte. In Ländern, in denen viel Milch getrunken wird, wie beispielsweise in Holland oder in Finnland, sind die Menschen besonders groß. Noch ist nicht klar, welche Milchbestandteile – einzeln oder in Kombination - dafür verantwortlich sind. Jedoch scheinen Kuhmilchproteine wie das Kasein eine stimulierende Wirkung auf den Wachstumsfaktor IGF-1 zu haben. Molkenproteine erhöhen zudem die körpereigene Insulinproduktion. „Insulin ist ein muskelaufbauendes Hormon, das auch das frühe Wachstum positiv beeinflusst“, betonte der dänische Forscher. Doch Vorsicht: Ein hoher Konsum von Kuhmilchproteinen in der frühen Kindheit beschleunige zwar das Wachstum in dieser Lebensphase, gehe aber auch mit einem höheren Risiko für Übergewicht in der späteren Kindheit einher. „Zu viel Milch ab dem 3. Lebensjahr ist nicht gut“, so Michaelsen. Er empfahl, in dieser Lebensphase nicht mehr als 300 bis 500 Milliliter Milch täglich zu sich zu nehmen.

Damit liegt er noch über den Werten, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für angemessen hält. Sie empfiehlt für Kleinkinder rund 330 Milliliter Milch pro Tag. Erwachsene sollten mit täglich maximal 250 Milliliter Milch und Joghurt auskommen, so die DGE, wobei diese Menge im Durchschnitt nicht erreicht wird: Der deutsche Mann trinkt rund 200 Milliliter Milch pro Tag, die deutsche Frau etwas weniger. Insgesamt sinkt der Milchkonsum in Deutschland kontinuierlich seit 1950, während der Käseverzehr ansteigt.

Wie viel Milch soll man täglich trinken?

Mehr als 42 Länder geben derzeit eine Empfehlung für den regelmäßigen Verzehr von Milch und Milchprodukten, doch die angegebenen Mengen gehen weit auseinander. Deutschland liegt im unteren Bereich der Skala, während Großbritannien, Amerika und Australien mehr als das Doppelte, nämlich rund 570 Milliliter pro Tag für angemessen halten. Einig sind sich alle Länder darin, dass fettreduzierte Milchprodukte bevorzugt werden sollten.

Viele Studien haben in der Vergangenheit versucht, einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Milch- und Milchprodukten und bestimmten Krankheiten herzustellen. Johanna W. Lampe vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, USA, fasste das Ergebnis mehrerer Meta-Analysen im Hinblick auf Krebserkrankungen zusammen. Demnach gibt es unter Milchtrinkern ein leicht verringertes Risiko, an Dickdarmkrebs oder Blasenkrebs zu erkranken. „Der größte Rückgang war bei zwei bis drei Gläsern Milch pro Tag zu beobachten“, erläuterte die Forscherin. Doch ein gegenteiliger Effekt war bei Prostatakrebs zu sehen. Ein hoher Milchkonsum von täglich mehr als einem Liter scheint das Risiko zu erhöhen. In Amerika, so Lampe, gebe es zurzeit eine Kampagne, bei der auf Plakaten in den Herrentoiletten der Baseballstadien vor zu viel Milch in Zusammenhang mit Prostatakrebs gewarnt werde. Johanna W. Lampe geht dieser Schritt allerdings zu weit, denn endgültige Beweise fehlen noch. „Wir wissen nicht, was in der Milch derartige Effekte macht“, betonte sie. Dennoch gibt es unter Wissenschaftlern bereits Vorstellungen darüber, weshalb Milch für Erwachsene vielleicht nicht uneingeschränkt zu empfehlen ist. Einerseits scheint die Milch Signalwege anzukurbeln, die für das Zellwachstum und für die Steuerung des Zellzyklus zuständig sind, andererseits scheinen bestimmte Regulationsmechanismen unterdrückt zu werden. Dies könnte Einfluss auf die Entstehung mancher Krebserkrankungen haben, aber auch Übergewicht und sogar Akne fördern. Was theoretisch einleuchten mag, konnte bisher aber am Menschen nicht bewiesen werden.

„Milchkonsum nicht ankurbeln“

Die in Deutschland relativ niedrigen Empfehlungen für Milch und Milchprodukte sowie der noch geringere tatsächliche Konsum bergen nach Meinung vieler Experten kein gesundheitliches Risiko. Allerdings „sollte der Milchkonsum nicht angekurbelt werden“, betonte Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts. Erst wenn die täglich verzehrten Milchmengen deutlich über denen der Empfehlung liegen, sieht er gewisse Risiken. Die hat inzwischen auch die Politik erkannt, wie Bernhard Kühnle vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erklärte: „Ernährungsempfehlungen sind immer ein dynamischer Prozess. Die Erkenntnisse zum Prostatakrebs sind relativ neu und müssen in der Zukunft noch bewertet werden.“ Auch Maßnahmen der Vergangenheit müssten überprüft werden: „So steht zurzeit in Brüssel das Schulmilchprogramm der Europäischen Union auf dem Prüfstand.“


Tagesdosis
Jede Säugetierspezies produziert eine Milch, die auf die Bedürfnisse der Nachkommen in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt optimal ausgerichtet ist. In dieser Zeit findet ein starkes Wachstum statt, für das die Milch alle notwendigen Bestandteile enthält. Nur Menschen konsumieren neben der Muttermilch auch Milch anderer Säugetiere wie die von Kühen, Büffeln, Schafen oder Ziegen.

Empfehlung
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist Muttermilch (oder spezielle Säuglings- bzw. Pre-Milch) für den Säugling in den ersten 12 Monaten die beste Nahrung. Normale Trinkmilch, d. h. Kuhmilch sollte im ersten Lebensjahr nicht gegeben werden, denn deren Eiweiß- und Mineralstoffgehalt ist zu hoch. Außerdem enthält sie zu wenig mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Eisen und Jod. Ausnahme kann ein Milch-Getreide-Brei ab dem 6. Monat sein.

Kinder
Kleinkinder sollten rund 300 Milliliter Milch täglich zu sich nehmen, wobei die übrige Nahrung möglichst vielfältig und abwechslungsreich sein sollte, was für alle Altersstufen gilt. Für Heranwachsende zwischen 13 und 19 Jahren empfiehlt das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund etwa 500 Milliliter Milch pro Tag. Der hohe Calcium-Gehalt der Milch begünstigt zusammen mit der nötigen Bewegung die Entwicklung starker Knochen.

Erwachsene
Im Erwachsenenalter kann der Konsum auf 200 bis 250 Milliliter Milch und Joghurt täglich gesenkt werden. Außerdem sollten 50 bis 60 Gramm Käse gegessen werden. Für Kinder und Erwachsene eignen sich fettarme Varianten, da mit der übrigen Nahrung genug Fett aufgenommen wird (in Tabellen findet man die Milchmenge in Milliliter oder in Gramm angegeben. 100 ml Milch entsprechen etwa 100 Gramm).