Neue Ernährungsmoden machen auch vor der Feinschmeckerhauptstadt nicht Halt. Ein glutenfreies Croissant haben die Bäcker allerdings bis jetzt noch nicht zustandegebracht.

Paris - Verzicht üben ist ihre Sache nicht. Die Frauen, die der Zufall an diesem sonnigen Pariser Nachmittag in der Konditorei „Helmut Newcake“ zusammengeführt hat, lieben es luxuriös. Wohlgefällig ruhen ihre Blicke auf Törtchen, die Namen tragen wie „Passion Noisette“, „Opéra“ oder „Symphonie“. Marie-Cathérine Levrault, eine im pinkfarbenen Kostüm erschienene Rentnerin, mustert die Leckereien von rechts. Die Mittdreißigerin Sonya, die eben noch vor den aus Pistazien, Vanille, Himbeeren und Schokolade komponierten „Symphonien“ auf- und abgetänzelt war, betrachtet sie andächtig von links. Und dann greifen die Damen zu. Ein halbes Dutzend Törtchen gehen zum Stückpreis von vier bis fünf Euro über den Ladentisch.

 

Und doch ist es Verzicht, was diese Konditorei auszeichnet: der Verzicht auf Gluten nämlich, das zumal in Dinkel- oder Weizenmehl enthaltene Klebereiweiß, das dem Teig Elastizität verleiht, ihn im Ofen aufgehen lässt. Wenn das ohne Gluten gefertigte Backwerk paradiesische Fülle suggeriert, dann deshalb, weil die Not der Glutenunverträglichkeit die Branche erfinderisch gemacht hat.

Pariser Bäcker und Konditoren haben sich auf Neuland vorgewagt. Sie haben mit Reis-, Mais-, Kastanien-, Buchweizen-, Quinoa- oder auch Tapioka-Mehl experimentiert, sich an unzähligen kühnen Kombinationen versucht. Das Ergebnis ist ein Trend zu Glutenfreiem. Eben noch Notlösung für Pechvögel, die gewöhnliches Brot und Gebäck nicht vertragen, erfreut es nun auch Gourmets, die mit Dinkel- oder Weizenmehl keinerlei Probleme haben.

Immer mehr Bäckereien bieten Glutenfreies an

Marie-Cathérine Levrault ist eine von ihnen. Vor ein paar Wochen hatte sie „Helmut Newcake“ erstmals aufgesucht. Auf der Suche nach etwas Süßem für ihre auf glutenfreie Kost angewiesenen Enkelin war sie gewesen. Mittlerweile deckt sich die alte Dame selbst dort ein. „Weil es so gut schmeckt“, sagt sie, „und weil es obendrein auch noch besonders gesund ist.“ Letzteres können Ernährungswissenschaftler zwar nicht bestätigen. Der Nachfrage aber tut das keinen Abbruch. In Frankreichs Hauptstadt nimmt eine wachsende Zahl von Bäckereien Glutenfreies ins Sortiment oder spezialisiert sich sogar ganz darauf. Das Angebot ist entsprechend vielfältig, die Kundschaft ist es nicht minder.

Während sich bei „Newcake“ für neue Trends empfängliche Feinschmecker einfinden, kommen im ein paar Straßenecken weiter gelegenen „Noglu“ Nostalgiker zusammen. Die Konditorei residiert in der „Passage des Panoramas“, einer milchglasgedeckten Ladenstraße. Das alte Paris lebt hier noch einmal auf. Geschäfte bieten Postkarten und Briefmarken feil, auf denen zu sehen ist, wie die Stadt einmal war. Und auch „Noglu“ huldigt der Vergangenheit. Nach altem Brauch gehen Backstube und Verkaufsraum ineinander über.

Der Postkartenverkäufer Alexandre Strawinski tritt ein, verlangt nach Vanille-Heidelbeerkuchen. „Gut, was?“, sagt der 27-Jährige, bricht ein Stück Kuchen ab, reicht es als Kostprobe herüber. Gluten vertrage er sehr wohl, stellt Strawinski klar. Die gelungenen Mischungen glutenfreier Mehlsorten hätten es ihm angetan, ihn zum „Noglu“-Fan gemacht.

Am Croissant sind die Bäcker bisher gescheitert

Für den Mehlmix zeichnet Frédérique Jules verantwortlich. Die Französin macht aus Mengen und Zutaten kein Geheimnis. Ein von ihr verfasstes Kochbuch gibt Auskunft über beides. „Gut ohne Gluten“, steht auf dem Einband. Sorge, dass die Konkurrenz sich des Knowhows bedient, hat Jules offenbar nicht. Die Verkäuferin Céline glaubt den Grund zu kennen. Ein gutes Kochbuch mache noch lange keinen guten Koch, sagt sie. Wie bei Küchenpionieren nicht anders zu erwarten, geht jeder seinen eigenen Weg. Nathaniel Doboin und Thomas Teffri-Chambelland machen da keine Ausnahme. Im von Künstlern und Bohemiens geschätzten, mit Galerien, Drittwelt- und Feinkostläden bestückten elften Arrondissement haben die beiden die Bäckerei „Chambelland“ eröffnet und sich mit glutenfreiem Brot einen Namen gemacht. Zu den Kunden zählt der Sternekoch Alain Ducasse. Das Fünfkornbrot hat es ihm angetan, eine Mélange aus Buchweizen, Sonnenblumenkernen, Leinsamen, Mohn und Sesam und gesalzener Butter.

Eines freilich fehlt noch im sich kontinuierlich erweiternden Universum glutenfreier Backwaren: das Croissant. Ob bei Newcake, Noglu oder Chambelland: Keinem der Pioniere ist es bisher gelungen, so ein luftig-leichtes Knusperstück ohne Klebereiweiß zustande zu bringen. Die Betonung liegt natürlich auf bisher.