Mindestens zehn Windräder wünscht sich Landrat Roland Bernhard für den Kreis Böblingen. Einen möglichen Standort hat jetzt die Stadt Rutesheim vorgeschlagen.

Eine andere Kennzahl, höhere Windräder und verbesserte Technik: Mit der Neuauflage des Windatlas 2019 haben sich in der Region Stuttgart einige Flächen aufgetan, die für die Errichtung eines Windrads bisher nicht in Frage kamen. Eine dieser Flächen liegt in Rutesheim: Die „Exklave Perouse“ nahe des Autobahnparkplatzes Heckengäu in Richtung Heimsheim war bisher in Sachen Windenergie noch nicht im Gespräch. Jetzt sieht die Stadt dort einen möglichen Standort von einem oder sogar zwei Windrädern.

 

„Bisher war dieser Standort noch nicht im Gespräch“, berichtet Bürgermeisterin Susanne Widmaier. Weil es sich bei der Stelle um einen der höchsten Punkte Rutesheims handelt und Windräder heutzutage wesentlich höher gebaut werden – hier angedacht sind etwa 165 Meter – ist die Stelle aber doch in den Fokus der Stadt gerückt. Dafür gab es auch im Gemeinderat breite Zustimmung, mit nur einer Gegenstimme geht der Standortvorschlag zurück zum Verband Region Stuttgart, der die Standortsuche auch über die Gemarkungsgrenzen der Kommunen und Landkreise hinaus koordiniert.

Es braucht eine Planung über Gemarkungsgrenzen hinaus

Dass auch wirklich ein Windrad nach Rutesheim kommt, bedeutet dieser Beschluss aber noch nicht. „Es geht noch nicht ums Aufstellen“, betont Widmaier. „Es geht erst einmal darum, mögliche Standorte zu sammeln.“ So habe der Verband Region Stuttgart anhand des Windatlas ausgelotet, welche Flächen überhaupt windig genug sind – und dann anhand der Ausschlusskriterien, etwa in Sachen Naturschutz, aussortiert. Für eine erste Abstimmung gingen diese Informationen dann an die Kommunen.

„Die Region gibt uns mit ihren Plänen vieles vor, will aber keine Entscheidungen über uns stülpen“ so Widmaier. „Man hat uns gefragt: Wo könnt ihr euch das vorstellen?“ Dass die gemeindeübergreifende Abstimmung so wichtig ist, liegt auch an der Höhe der neuen Windräder, erklärt Thomas Kiwitt, technischer Direktor des Verbands. „Wir sprechen hier von Anlagen, die teils höher sind als der Stuttgarter Fernsehturm. Man sieht das also weit über die Gemarkungsgrenzen hinweg.“ Bisher war außerdem der regionale Grünzug ein Ausschlusskriterium für Windräder und auch Photovoltaikanlagen (PV). Nun arbeite man daran, den Grünzug im Regionalplan anzupassen. „Der Regionalplan trägt PV- und Windkraftanlagen nicht wirklich Rechnung“, so Kiwitt.

Gas-Krise hat öffentliche Meinung verändert

Dass Pläne zu Windkraftanlagen nicht immer auf volle Unterstützung aus der Bevölkerung stoßen, weiß auch die Rutesheimer Bürgermeisterin. „Man muss bei der Standortsuche immer darauf schauen, wo am meisten Wind weht und die Menschen am wenigsten beeinträchtigt werden“, sagt sie. Alle werde man nicht hinter die Idee bringen können. „Aber ich nehme schon war, dass der Ukraine-Krieg einen deutlichen Sinneswandel erzeugt hat.“

Auf eine veränderte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hofft man derweil auch in Weil der Stadt. Dort war der Plan, ein Windrad an der Gemarkungsgrenze zu Heimsheim zu errichten, 2019 am Artenschutz gescheitert, hatte aber auch so nicht gerade viel Zuspruch aus der Bevölkerung. „Wir nehmen wahr, dass es eine größere Offenheit der Bürgerinnen und Bürger beim Thema Erzeugungsanlagen für regenerative Energien gibt, ob das auch weithin sichtbare Windkraftanlagen umfasst, muss in den Bürgerbeteiligungsprozessen geklärt und verhandelt werde“, heißt es aus der Verwaltung. Auch dort soll es in der kommenden Gemeinderatssitzung um Windkraft gehen, mögliche Standorte prüft man aktuell anhand des Windatlas. Ob der ehemals angedachte Standort in der Nähe zu Heimsheim auch dazu gehören wird, ist ebenfalls noch in Prüfung.

Klar ist: Bei den erneuerbaren Energien wird sich im Landkreis in den kommenden Jahren noch einiges tun. Auch das Thema Photovoltaik wird Teil des Prozesses sei. „Wir müssen das Thema vorantreiben“, so Widmaier. Aber nicht überstürzt: „Lieber langsam und richtig, als schnell und schludrig.“

Mehr Potenzial-Standorte für Windkrafträder

Windatlas
 Im Jahr 2011 veröffentlichte die Landesregierung erstmals einen Windatlas, um das Potenzial des Ausbaus zu bestimmen. Im Jahr 2019 erschien eine neue Auflage, die noch mal überarbeitet wurde.

Windhöffigkeit
 Dieser Wert galt 2011 als wichtigste Voraussetzung für die Suche nach geeigneten Gebieten. Mindestens 5,25 m/s mussten in 100 Metern Höhe gegeben sein, um ein Windrad wirtschaftlich betreiben zu können. Im Kreis Böblingen ergaben sich nur sehr wenige Standorte, die dieses Kriterium erfüllten.

Winddargebot
 Bei der Neuauflage des Windatlas’ gilt das neue Kriterium mittlere gekappte Windleistungsdichte, die in 160 Meter über Grund mindestens 215 Watt pro Quadratmeter betragen muss, damit ein Windrad wirtschaftlich ist.

Kreis Böblingen
 Im Landkreis kommen demnach knapp zwei Drittel der Gesamtfläche in Betracht.