Doch worum geht es überhaupt? Auf ein Ausschreibungsverfahren der drei Kommunen für einen Windpark hatten sich sieben potenzielle Projektierer gemeldet. Aufgrund eines zuvor festgelegten Kriterienkatalogs hat eine Vergabegruppe mit Vertretern aus allen drei Kommunen das jetzige Konsortium ausgewählt und den Gemeinderäten empfohlen. Deren Angebot zählt demnach zu den höchsten Pachtangeboten, das vorläufige Windparklayout erschien realistisch und bildet der Sitzungsvorlage zufolge „einen guten Kompromiss aus Wirtschaftlichkeit und Berücksichtigung ökologischer Aspekte, unter anderem des Schallschutzes für die umliegenden Wohngebiete“.
Die drei Unternehmen planen die Gründung einer Projektgesellschaft, an der sie jeweils gleichermaßen beteiligt sind. Vorgesehen ist, dass Sowitec hierbei die Projektentwicklung übernimmt. Die Stadtwerke Böblingen und Stuttgart möchten sich mit ihren Anteilen an dem künftigen Betrieb des Windparks beteiligen.
Der Windpark würde im möglichen Vorranggebiet BB-14 und auf den Gemarkungen von Böblingen, Holzgerlingen und Ehningen liegen. Deswegen sollten zu den Verhandlungen mit dem Konsortium auch drei Vertreter aus den jeweiligen Kommunen entsandt werden: Baubürgermeisterin Christiane Kraayvanger für Böblingen, der Bürgermeister Ioannis Delakos für Holzgerlingen und der Bürgermeister Lukas Rosengrün für Ehningen. Ob, angesichts der Abstimmung im Böblinger Gemeinderat, Delakos und Rosengrün die Verhandlungen alleine aufnehmen, scheint noch unklar, aber offenbar nicht unmöglich zu sein.
Vertagung in Böblingen
Der Tagesordnungspunkt in Böblingen begann zunächst mit einer Befangenheits-Debatte. Eine rechtliche Prüfung hatte laut Hauptamtsleiter Achim Schröter ergeben, dass alle Stadträte, die im Aufsichtsrat der Stadtwerke Böblingen sind, an der Abstimmung über die Aufnahme von Vertragsverhandlungen nicht teilnehmen dürfen. Gleiches gilt für Oberbürgermeister Stefan Belz (Grüne) als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke. Das wollten nicht alle akzeptieren. Pascal Panse (CDU) beispielsweise, der für Stadtrat Axel Prokop ins Gremium nachgerückt war, bezweifelte die Rechtsauffassung der Stadtverwaltung.
Einzelne Aufsichtsräte sahen das offenbar ähnlich und baten den Gemeinderat darum, über ihre Befangenheit abzustimmen. Namentlich: Detlef Gurgel (FDP), Thomas Heiling (CDU), Monika Gisi-Büttner (CDU) und Martin Langlinderer (Bürger für Böblingen). Ihre Anträge wurden allerdings mehrheitlich abgelehnt, vor allem mit den Stimmen von SPD, Grünen und Freien Wählern. Das bedeutet: Belz, Heiling, Gisi-Büttner, Gurgel, Langlinderer, Markus Helms (Grüne), Gerlinde Feine (SPD), Arthur Bamberger (Freie Wähler) und Günter von der Heyden (AfD) mussten vom Ratstisch abrücken. Allerdings nur bei den Debatten zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen, beim Antrag auf Vertagung waren sie wieder mit an Bord.
Stadträtin Martina Sieber (FDP) begründete das Vorgehen von CDU und FDP: „Was mir fehlt, sind wesentliche Dinge, die in den Vertrag einfließen müssen.“ Es sei beispielsweise nicht dargestellt, wie mögliche Defizite unter den Kommunen verteilt und wer die Kosten für einen Rückbau übernehmen würde. Außerdem kritisierte sie, dass der Verband Region Stuttgart das Gebiet BB-14 bisher nur als Vorranggebiet vorgeschlagen, aber noch nicht ausgewiesen hat.
Baubürgermeisterin Kraayvanger hielt ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, in die Vertragsverhandlungen einzusteigen. Die von Sieber aufgeworfenen Fragen könnten eben in diesem Prozess geklärt werden. „Die Entscheidung über einen Windpark fällt nicht jetzt“, betonte sie. Zustimmung erhielt sie von Freien Wählern und Grünen. „Ich sehe den Sinn der Vertagung nicht. Sie bringt uns keine Vorteile, nur Prozessrisiken", sagte Tim Göhner (Grüne). Die SPD zeigte sich gespalten. Lukas Häberle und Florian Wahl kritisierten vor allem die Aufnahme von Pachtverhandlungen, bevor der Verband Region die Fläche zum Vorranggebiet erklärt hat. Auf diese Weise würde man der Entscheidung vorgreifen und sie eventuell beeinflussen, so Wahl.
Der Antrag von CDU und FDP beinhaltet drei Ziffern, über die schlussendlich gesondert abgestimmt wurde. Der Begründung mit der Aufnahme von Verhandlungen zu warten, bis der Verband die Fläche ausgewiesen hat, stimmten CDU, FDP, BfB, AfD sowie die SPD-Stadträte Häberle und Wahl zu. In Ziffer zwei fordern die Antragsteller eine Vertagung, bis die Befangenheitsfrage weiter erörtert ist und in Ziffer drei eine Vertagung, bis eine zwischen dem Landesnaturschutzverband und der Nabu-Gruppe Sindelfingen-Böblingen abgestimmte Stellungnahme zu BB-14 vorliege. Ziffer zwei erhielt keine notwendige Mehrheit, Ziffer drei mit den Stimmen von CDU, FDP, BfB und AfD hingegegen schon.Bedeutet also: Böblingen stimmt erst wieder über Verhandlungen ab, wenn der Verband die Fläche ausgewiesen hat und die abgestimmte Stellungnahme vorliegt. Wie sich diese Entscheidung auf den weiteren Prozess auswirkt und ob die anderen beiden Kommunen nun alleine die Verhandlungen aufnehmen, konnte Baubürgermeisterin Christine Kraayvanger in der Sitzung noch nicht sagen.
Knappes Ergebnis in Ehningen
Mit einem Appell richtete sich der Ehninger Bürgermeister Lukas Rosengrün am Dienstagabend bei der Gemeinderatssitzung an die Räte. Er betonte, dass der Beschluss zur Auswahl eines Projektentwicklers für den geplanten interkommunalen Windpark keine Entscheidung für den Bau eines Windparks sei, sondern eine Formalität und zugleich ein notwendiger Schritt, um offene Punkte sachlich klären zu können.
„Es ist kein Geheimnis, dass das Thema Windkraft polarisiert“, sagte Rosengrün. Die Kritiker würden alle Register ziehen, um das Projekt zu verhindern. „Wir erleben gerade, dass Fakten verdreht und längst widerlegte Mythen verbreitet werden“, fügte er hinzu. Die Aufgabe der Gemeinde sei es, einen respektvollen Dialog mit allen Bürgerinnen und Bürgern zu führen. Das scheitere allerdings daran, wenn sich beide Seiten nicht auf eine Faktenlage verständigen könnten.
Trotz eindringlicher Worte ging die Abstimmung im Anschluss denkbar knapp aus. Mit zehn Ja-Stimmen (Grüne, Teile der SPD und Teile der Freien Wähler ) und neun Gegenstimmen aus den Reihen der CDU, Freien Wähler und der SPD hat der Ehninger Gemeinderat zugestimmt, mit den empfohlenen Projektentwicklern Firma zu verhandeln. Die Kritik richtet sich dabei grundsätzlich gegen das Projekt – weniger gegen die in Frage kommenden Projektierer.
Einstimmigkeit in Holzgerlingen
„Uns geht es darum, dass wir am Ende des Tages eine Verpachtungsentscheidung treffen können“, beschrieb der Bürgermeister Ioannis Delakos das Ziel der Verhandlungen. „Ihr Vorschlag war der beste Ausgleich zwischen Wirtschaft und Ökologie“, begründete Delakos die Entscheidung für das Konsortium aus Sowitec, SWBB und SWS. Außerdem sei der regionale Aspekt ein großes Plus gewesen sowie die ausdrückliche Zusicherung, einen Windpark auch zu betreiben und nicht etwa an Dritte zu veräußern.
Die Fraktionen gingen diesen Weg mit: Für Eberhard Binder von den Freien Wählern war die regionale Eigenproduktion von Strom wichtig, Jens Uwe Renz von den Bürgern für Natur- und Umweltschutz hieß den Plan gut, weil er so wenig wie möglich Flächen zerstöre, und Alexander Wanner (CDU) wies darauf hin, dass in den kommenden Vertragsverhandlungen auch die kritischen Punkte diskutiert werden müssten, wie etwa die Belange der Stuttgarter Flugsicherung.
Zur Ratssitzung waren auch Kritiker des Windparks gekommen, die für ihre Anliegen die Bürgerfragestunde nutzten. Es wurde nach der Zahlungsfähigkeit der Sowitec gefragt, außerdem verteilten sie einen kritischen Bildband zum Thema Windkraft. Der Bürgermeister bekräftigte, dass die Gemeinde die Solvenz ihrer Partner eingehend geprüft habe und verwies die Windkraftkritiker auf die Bürgerbeteiligung. Bereits nächste Woche trifft sich die Verwaltung von Holzgerlingen mit den Vertretern der Anti-Windkraft-Initiativen, am 21. Januar findet die erste öffentliche Diskussionsveranstaltung in der Stadthalle Holzgerlingen statt.
Interkommunaler Windpark
Was geplant ist
Ein interkommunaler Windpark zwischen B 464 und Maurener Tal auf den Gemarkungen von Böblingen, Ehningen und Holzgerlingen. Der Verband Region Stuttgart hat diese Fläche BB-14 als mögliches Vorranggebiet für Windkraft identifiziert. Die Entscheidung über die endgültige Festlegung als Vorranggebiet steht noch aus.
Kriterien
Die Vergabegruppe hat für den Windpark Kriterien festgelegt. Dazu zählt unter anderem: Es dürfen maximal sechs Windkraftanlagen gebaut werden, der Abstand zur Wohnbebauung muss mindestens 900 Meter betragen und es muss eine Artenschutzrechtliche Prüfung durchgeführt werden.
Wie es weitergeht
Mit der Entscheidung im Böblinger Gemeinderat ist das offen. Möglicherweise führen nun Holzgerlingen und Ehningen die Verhandlungen alleine. Als die Kommunen Mitte 2023 die Pläne für einen Windpark vorstellten, zog der Ehninger Gemeinderat zunächst nicht mit. Die anderen beiden Kommunen verfolgten den Prozess damals trotzdem weiter