Eine neue Studie zeigt, dass sich Windkraftanlagen in Baden-Württemberg immer mehr lohnen. Neue Technik und größere Höhen machen es möglich.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Im Südwesten weht der Wind zu schwach, Windräder sind deshalb oft nicht wirtschaftlich.“ Das ist eine häufige Aussage von Gegnern der Anlagen. Das Umweltministerium in Stuttgart entkräftet dieses Argument nun mit einer neuen internen Studie. „Baden-Württemberg ist ein Windenergieland und wettbewerbsfähig“, sagt dazu Umweltminister Franz Untersteller (Grüne).

 

Tatsächlich hinkte Baden-Württemberg jahrelang hinterher. Als wichtige, wenn auch nicht einzige Kennmarke gilt die Zahl der Volllaststunden – damit ist gemeint, wie viele Stunden im Jahr ein Windrad zusammengerechnet mit 100 Prozent Leistung lief. Theoretisch sind 8760 Stunden im Jahr möglich; Kernkraftwerke schafften 2016 etwa 7410 Stunden. Windräder liegen naturgemäß weit dahinter: Nach aktuellen Zahlen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg erreichen sehr gute Standorte im Meer im Jahr 4500 Volllaststunden, in Norddeutschland sind es 2500, im Binnenland 1800. Baden-Württemberg schaffte nun in den Jahren 2011 bis 2014 im Mittel mickrige 1250 Stunden.

Neue Anlagen erzielen weit höhere Leistungen

Das ist Vergangenheit. Da die Windräder immer höher werden und die Technik immer stärker an Binnenstandorte angepasst wird, ist die Windernte größer geworden. 2017 waren es laut der Studie, zu der das Umweltministerium, die Landesanstalt für Umwelt und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung beigetragen haben, 1650 Volllaststunden im Südwesten – das Fraunhofer Institut gibt den bundesdeutschen Durchschnitt für Windräder an Land für 2017 mit 1760 Volllaststunden an. Die Untersuchung geht aber noch stärker ins Detail. Wenn man nur jene 54 Anlagen betrachtet, die 2015 in Baden-Württemberg – mit neuester Technik – gebaut wurden, so kamen diese im ersten vollständigen Jahr 2016 nach Zahlen der Bundesnetzagentur auf 1858 Volllaststunden. 2016 war aber ein um etwa 15 Prozent unterdurchschnittliches Windjahr. In einem normalen Jahr könnten Windräder im Südwesten deshalb auf 2200 Volllaststunden kommen. Damit seien die Anlagen fast gleichwertig mit Anlagen im Norden, sagte Ralf Heineken, der Sprecher des Umweltministeriums. In Brandenburg etwa seien es 2016 insgesamt 2010 Volllaststunden gewesen gegenüber 1858 in Baden-Württemberg.

Michael Soukup, der bei der EnBW Projekte für Windräder im Südwesten entwickelt, bestätigt die Kernaussage der Studie. An Spitzenstandorten würden auch in Baden-Württemberg 3000 Volllaststunden erreicht. Allerdings sei am Ende der tatsächliche Stromertrag der wichtigste Kennwert. „Doch auch da müssen wir uns in Baden-Württemberg nicht verstecken“, betont Soukup. Allerdings werden noch ein wenig Äpfel mit Birnen verglichen: Im Norden wurden bisher meist niedrigere Räder gebaut, weil sowieso genügend Wind da ist. Jetzt werden auch dort verstärkt Anlagen mit 160 Meter Nabenhöhe errichtet – dann liegt der Ertrag im Norden wieder klar höher. Zu den durchschnittlichen Erträgen pro Windrad macht die Studie des Umweltministeriums keine Aussagen.

Derzeit stehen 711 Windräder im Südwesten

Die Kritik mancher Bürgerinitiativen gegen Windkraft im Südwesten lässt Michael Soukup nicht gelten. Die Initiative Pro Schurwald etwa hält „Windkraftindustrieanlagen im Schurwald für so sinnvoll wie Ananasplantagen in Alaska“ und belegt dies damit, dass drei Ende 2017 erbaute Anlagen am Goldboden bei Winterbach (Rems-Murr-Kreis) im ersten Halbjahr 2018 gerade 52 Prozent der geplanten Strommenge eingefahren hätten. Die Windräder seien noch nicht im Regelbetrieb und hätten für Prüfungen oft angehalten werden müssen, kontert Soukup – die Werte würden sich bald ändern. Die EnBW will übrigens in diesem Bereich transparent sein; über die App EnBW e-cockpit kann jeder verfolgen, wie viel Strom jedes einzelne Windrad erzeugt.

Insgesamt waren zum 30. Juni dieses Jahres in Baden-Württemberg 711 Windräder in Betrieb, weitere zehn Anlagen sollen es noch bis Jahresende werden. In ganz Deutschland sind es rund 29 000. Aufgrund der neuen Ausschreibungsregeln der Bundesnetzagentur ist das Wachstrum im Südwesten aber dramatisch eingebrochen. Im ersten Halbjahr 2018 waren neun Anlagen neu genehmigt worden – im gesamten Jahr 2016 waren es noch 201 Anlagen gewesen. Minister Untersteller fordert deshalb erneut verlässliche Rahmenbedingungen, für die der Bund sorgen müsse.

In einer neuen Studie des Freiburger Fraunhofer-Instituts wird die Windkraft in Deutschland ebenfalls positiv bewertet. Die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde liege bei Windkraftanlagen an Land aktuell zwischen 3,99 und 8,23 Cent; damit seien solche Anlagen gemeinsam mit Fotovoltaikanlagen im Mittel die kostengünstigsten Technologien in Deutschland.

Im Jahr 2017 war die Windkraft mit 104 erzeugten Terawattstunden im gesamten deutschen Strommix erstmals die zweitstärkste Energiequelle nach der Braunkohle (mit 134 Terawattstunden). Der Anteil sämtlicher erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung lag bundesweit bei rund 38 Prozent.