Ernte-Zeit in Bad-Friedrichshall: Momentan wandern stündlich 17 Tonnen Gewürzgurken in die Gläser des Lebensmittelherstellers Hengstenberg.

Bad Friedrichshall - Die kleinen sind die wertvollsten. Das macht die Sache so schwierig. Andreas Gailing steht auf einem Acker vor den Toren von Bad Friedrichshall und spreizt Zeigefinger und Daumen minimal. "Zwei bis drei Zentimeter wächst die Gurke pro Nacht, wenn es warm ist." Gailing arbeitet für Hengstenberg. In Bad Friedrichshall, einem Nachbarort von Neckarsulm, befindet sich die größte Produktionsstätte des Esslinger Familienunternehmens. Winzige Gurken sind bei Verbrauchern besonders beliebt. Am besten für Hengstenberg wäre es also, wenn der ganze Acker einmal pro Tag abgeerntet werden würde. Aber das ist nicht zu schaffen.

Der Landwirt Günther Heckler ist Vertragspartner von Hengstenberg. "Wenn dieses Jahr keine Gurken wachsen, wann dann?", sagt er und lacht. Die Hitze von Ende Juni bis Mitte Juli habe die Gurken extrem schnell sprießen lassen. Im Kampf gegen die Größe haben seine Erntehelfer teilweise bis zu 15 Stunden am Tag geschuftet. Jetzt ist es wieder etwas kühler und Heckler atmet durch. "Ihr seid ja auch nicht unzufrieden, wenn die Gurken wieder etwas kleiner werden", sagt der 45-Jährige, als er den Werksleiter in Begleitung des Geschäftsführers Steffen Hengstenberg auf dem Feld erblickt.

Im Hintergrund hört man den Gurkenflieger


Im Hintergrund ist ein Motorengeräusch zu hören. "Das ist unser Gurkenflieger", sagt Heckler. Er zeigt in Richtung eines Traktors, an dem an beiden Seiten zehn Meter breite Plattformen aufgehängt sind, die nur wenige Zentimeter über der Erde schweben. Auf den Plattformen liegen Erntehelfer bäuchlings auf einer Matratze und durchkämmen mit den Händen die Pflanzen nach Gurken, während der Traktor im Schneckentempo über das Feld fährt. Einige Helfer tragen einen Kopfhörer und hören während der Anstrengung Musik. "Die meisten sind Studenten aus Polen." 5,50 Euro pro Stunde plus freie Kost und Logis bekommen die Helfer, sagt der Landwirt. Die gepflückten Gurken werden per Fließband in einen Anhänger befördert. Und der Hänger wird, sobald er gefüllt ist, rasch ins Hengstenberg-Werk in der Ortsmitte gebracht. Schließlich ist das Geschäft mit Gurken ein Termingeschäft.

"Am besten ist es, wenn die Gurke zwölf Stunden nach der Ernte im Glas ist", sagt Werkleiter Gailing. Dann seien die Gurken am knackigsten. Und wie oft gelingt das? "Fast immer", sagt Gailing und lacht. Er steht inzwischen am Werkseingang. Hier fahren im Minutentakt Traktoren und Sattelschlepper vor, gefüllt mit frisch geernteten Gurken. "Wir verarbeiten 15 bis 17 Tonnen pro Stunde." Nach der Anlieferung werden die Gurken in klarem Wasser eingeweicht und gründlich gewaschen. "Jeden Tag benötigen wir 1,4 Millionen Liter Wasser", sagt Gailing.

Am Tag wird eine halbe Million Gläser abgefüllt


Die gereinigten Gurken werden zwischen zwei Förderbänder auf eine Sortieranlage platziert. Da die beiden Bänder leicht diagonal aufgestellt sind, fallen die Gurken an unterschiedlichen Stellen aus dem Fördersystem: die kleinen Gurken vorne, die größeren erst weiter hinten. Die Bündelung in verschiedene Größenklassen dient nicht nur der Vorsortierung für die späteren Glasgrößen, sondern besitzt auch für die Vergütung eine Bedeutung. Bekommen die Landwirte doch für kleine Cornichons einen deutlich höheren Kilogrammpreis als für üppige 15-Zentimeter-Gurken.

Sortiert nach Größenklassen werden die Gurken anschließend in Wasserröhren schwimmend direkt zu den Abfüllanlagen transportiert. Dort setzt sie eine Maschine zusammen mit etwas Dill in die entsprechenden Gläser. Zu schwere oder zu leichte Gläser werden von den Arbeitern manuell korrigiert. "Wir füllen hier eine halbe Million Gläser am Tag ab", erzählt Gailing. Neben den 200 Tonnen Gurken werden täglich 200000 Liter Essig benötigt. "Das ist unser Aufguss, eine Essigmischung, die wir nicht verraten." Nach zwei Wochen haben die Gurken den Dill-Essig-Geschmack angenommen. Um die gewünschte dreijährige Haltbarkeit zu erreichen, werden die verschlossenen Gläser auf rund 90 Grad Celsius erhitzt. Nach dieser Pasteurisation werden die Gläser vollautomatisch etikettiert und eingelagert. "Die Erntemenge muss ausreichen bis zur Anschlussproduktion im kommenden Sommer", erklärt Hengstenberg. Sein Unternehmen muss 15000 Tonnen Gurken zwischenlagern. Allein in Bad Friedrichshall werden jährlich 25 Millionen Gläser gefüllt. Für rund ein Drittel der Menge bietet das eigene Hochregallager Platz, der Rest wird bei Logistikdienstleistern geparkt.

Anfang September wird in Bad Friedrichshall tief durchgeatmet. Zehn Wochen lang wurden dann sechs Tage je 20 Stunden lang Gurken in Gläser gefüllt. Die Hengstenberg-Ernte ist eingefahren, die Supermarktketten können die Ware nach Bedarf abrufen. Und was kommt dann, Herr Hengstenberg? "Im Herbst denken wir über die Menge nach, die wir im nächsten Jahr brauchen, und schließen schon Verträge mit den örtlichen Landwirten." Während Hengstenberg sich schon mit der nächsten Gurkensaison beschäftigt, werden in Bad Friedrichshall rasch die Maschinen umgestellt, damit die Sauerkraut- und Rotkohlproduktion anlaufen kann.