Auf diesen Tag hat Huong Tien Do drei Jahre und vier Monate gewartet. Solange währte der Streit mit der Stadt um die Baugenehmigung für sein Streetfood-Lokal Saigon 75 an der Königstraße. Nun ist der Traum wahr geworden.
Sollte es ein Ranking geben, wer in Stuttgart am längsten auf grünes Licht aus dem Rathaus warten musste – Huong Tien Do hätte gute Chancen auf den Spitzenplatz. Am 18. März 2021 hat der vietnamesische Gastronom bei der Stadt einen Antrag auf eine Nutzungsänderung gestellt. Der Familienvater, der einst als Flüchtlingskind mit den „Boatpeople“ nach Deutschland kam, wollte ein früheres Waffengeschäft im historisch bedeutsamen Marquardt-Gebäude an der Königstraße zum Lokal Saigon 75 mit Streetfood seiner Heimat umbauen.
Dort sollte das Essen genau so schmecken wie auf den Straßen der Neun-Millionen-Metropole Saigon, in der heutigen Ho-Chi-Minh-City, aus der er über einen Headhunter drei Köche engagiert hat. Wie felsenfest muss Tien Do, 49, von seiner Idee überzeugt sein! Andere hätten längst aufgegeben und sich woanders etwas gesucht. Doch der Wirt, der früher im Bonatz-Bau einen asiatischen Imbiss betrieb, wollte unbedingt an der Königstraße seinen Traum verwirklichen.
Am Tag der Eröffnung feiert seine Mutter den 80. Geburtstag
An einem für ihn ganz besonderen Tag hat er es geschafft. Am Tag des Openings feiert seine Mutter ihren 80. Geburtstag. Auch wenn alle Ehrengäste „Happy birthday“ für sie singen, bleibt die Jubilarin in der Küche, damit alles kulinarisch gut läuft beim Lokalstart ihres Sohnes. Draußen vor der Tür wird der klassische Drachentanz aus Vietnam aufgeführt – die Passanten der Einkaufsmeile ballen sich begeistert drum herum.
Die VIP-Gäste, darunter VfB-Profi Mo Sankoh, Musicalstar Dani Spampinato (der Phil Spector aus „Tina“ singt zum Opening ein Lied aus „Miss Saigon“), Maryanne Kelly (sie spielte die Ellen in „Miss Saigon“), Mode-Stylist Lamy Apel , DJane Alegra Cole, Model Maritta Krehl, Möbelwagen-Präsident Thomas Klingenberg , bewundern die Ausdauer, mit der Huong Tien Do am Ball blieb, um nach drei Jahren und vier Monaten endlich am Ziel angekommen zu sein. Nachdem unsere Zeitung im Mai darüber berichtet hat, war Bewegung in die Sache gekommen.
„Oft werden die Anträge unvollständig eingereicht“, sagt der Wirtschaftsförderer
Geboren ist der Gastgeber in Saigon 1975 – im Jahr, als der Vietnam-Krieg beendet war. Deshalb heißt sein Lokal Saigon 75. Weil er so froh ist über die Chancen, die er als Flüchtlingskind in Stuttgart bekam (heute beschäftigt Tien Do in vier Gaststätten etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), hat er Ministerpräsident Winfried Kretschmann und OB Frank Nopper eingeladen, um sich bei ihnen zu bedanken. Die beiden sind zwar nicht da, aber der Rathauschef hat Wirtschaftsförderer Bernhard Grieb geschickt.
Dass es rekordverdächtig lang bis zur Eröffnung gedauert hat, sagt Grieb, liege aber nicht am zu langsam arbeitenden Baurechtsamt der Stadt. Natürlich käme es da zu Verzögerungen, doch man müsse nun mal die strengen Gesetzesvorschriften überprüfen. Das Baurecht sei kompliziert, oft würden Anträge unvollständig eingereicht. Das Saigon 75 befindet sich im früheren Hotel Marquardt, da müssten die Pläne mit der Denkmalschutzbehörde abgestimmt werden.
Der Stein des Anstoßes war eine behindertengerechte Toilette, die der Gastronom, erklärte ein Sprecher des Rathauses, eigenmächtig habe verlegen lassen. Doch der langjährige Disput ist nun Vergangenheit. Die Verwaltung muss nun noch über den Antrag zur Außenbestuhlung entscheiden – was in diesem Sommer kaum klappen dürfte. Von „deutscher Überbürokratisierung“ ist bei der Eröffnung die Rede. In Saigon wäre innerhalb eines Tages alles klar gewesen.
Auch wenn sein „Lehrgeld“ hoch war – nach eigenen Angaben hat der Gastronom seit Mietbeginn einen sechsstelligen Betrag verbrannt – , blickt er nun voller Zuversicht in die Zukunft. Sein Dank gilt unter anderem der Vermieterin Karin Fritz, mit er 2021 den Mietvertrag abgeschlossen, dann alles eingebaut hatte, und die am Ende „ein Drittel der Miete“ aus drei Jahren erlassen habe.
Weingut-Chef Thomas Diehl lebte ein halbes Jahr in Vietnam
Die behindertengerechte Toilette ist laut Gesetz notwendig, wenn es Alkohol im Ausschank gibt. Würde Tien Do nur Alkoholfreies servieren, hätte er sie nicht bauen müssen. Neben Stuttgarter Bier gibt es bei ihm Wein aus Rotenberg von Thomas Diehl.
Der junge Weingut-Chef hat 2018 für ein halbes Jahr in Saigon gelebt, liebt das Essen dort und weiß, welche Weine zu was passen. Voll des Lobes ist er für Tien Dos Küche. Das vietnamesische Brot Bánh Mì wird übrigens in Stuttgart nach dem Originalrezept von einem türkische Bäcker zubereitet. „Die Speisen sind absolut authentisch“, sagt Diehl, „genauso frisch zubereitet wie in Saigon.“ Sein Favorit ist die Nudelsuppe Pho Bo, die habe er in Vietnam dreimal am Tag gegessen. Da bestehe „Hammer- Suchtgefahr“.