Am Freitagabend feiern geladene Gäste die Eröffnung der Bibliothek, am Samstag bekommen Besucher bei der Stuttgartnacht erste Einblicke.

Stuttgart - Eine englische Redewendung empfiehlt: "Don't judge a book by its cover." Genau dies könnte als Leitsatz über der Veranstaltung am Freitagabend stehen, wenn Stuttgart die Eröffnung seiner neuen Stadtbibliothek feiert. Manchmal lohnt es sich doch, ein Buch nicht nur nach der Gestaltung seines Umschlags auszusuchen, sondern es aufzuschlagen und nach und nach seinen Inhalt zu entdecken - losgelöst von dessen äußerer Gestalt.

 

Monatelang ist in Stuttgart über die neue Stadtbibliothek kontrovers diskutiert worden - ob nun "Schmuckstück" oder "Bücherknast", an den Begriffen zeichnete sich spürbar die Frontlinie im Streit über Stuttgart 21 ab. Doch von Freitagabend an darf nicht nur über die Hülle diskutiert werden, sondern endlich auch über die Inhalte: Um 19.30 Uhr beginnt die Einweihungsfeier im Haus am Mailänder Platz, der momentan mitten in einer Baustelle liegt und keinerlei italienisches Flair versprüht.

Doch zumindest die Fakten lesen sich eindrucksvoll: Auf 11.500 Quadratmetern Nutzfläche können die Besucher künftig aus einer halben Million Bücher und digitalen Medien auswählen - für den Neubau ist das Angebot um 80.000 Exemplare aufgestockt worden. Aber es geht dem Haus nicht ums Auftrumpfen mit Rekordzahlen, es will mehr als Größe, es strebt nach mehr Bedeutung im Kulturleben der Stadt. Nichts weniger als ein neues geistiges Zentrum will die Bibliothek sein, die sich unweit des Hauptbahnhofs wie ein einsamer Solitär auf einer Brache erhebt.

Rasen statt Waser umschließt das Gebäude

Auch darüber wird Ingrid Bussmann am Freitagabend vor den geladenen Gästen reden. Für die gebürtige Essenerin, die seit zehn Jahren an der Spitze der Stadtbibliothek steht, erfüllt sich mit dem Neubeginn nach dem Umzug aus dem Wilhelmspalais am Charlottenplatz ein Traum.

Durchhaltevermögen musste auch der Architekt beweisen - Eun Young Yi gewann den Wettbewerb noch im alten Jahrtausend. 1999 entschied sich die Stadt dafür, den nach außen streng wirkenden Kubus des Südkoreaners zu bauen. Zwölf Jahre später wird Herr Yi am Freitagabend darauf anstoßen, dass sein Bau endlich eröffnet wird - dabei muss er verschmerzen, dass sein Gebäude nicht inmitten einer Wasserfläche "schwebt", wie dies ursprünglich von ihm geplant war. Nun umschließt ein Rasen die Stadtbibliothek. Technische Gründe hätten das Wasserspiel verhindert, sagt der Oberbürgermeister Wolfgang Schuster immer wieder, wenn er auf das Thema angesprochen wird. Doch auch die Kosten haben dabei eine Rolle gespielt.

Schuster erhofft sich von Freitagabend eine Initialzündung - nicht nur für die Stuttgarter Kulturszene, sondern auch für das Europaviertel rund um die Bibliothek, das nun allmählich Gestalt annehmen soll. Spätestens von Samstag an werden jedenfalls nicht mehr nur Bauarbeiter das dortige Leben prägen.

Haus rechnet mit großem Ansturm

Die Feier am Freitagabend begleitet der Jazzmusiker Wolfgang Dauner am Klavier - auf verschiedenen Ebenen des Hauses finden Lesungen statt. Unter anderem werden Passagen aus einer fantastischen Erzählung des Argentiniers Jorge Luis Borges zu hören sein: "Die Bibliothek von Babel." Der Geleitspruch zur Einweihung stammt allerdings von Umberto Eco: "Wenn die Bibliothek ein Modell des Universums ist, so sollten wir versuchen, sie in ein dem Menschen gemäßes Universum zu verwandeln. Mit einem Wort: in eine lustvolle Bibliothek, in die man gerne geht."

Ob dies auf die Stuttgarter Bibliothek zutrifft, muss sich erst noch herausstellen. Am Samstag öffnet das Haus erstmals seine Türen für jedermann - um 19 Uhr beginnt das Veranstaltungsprogramm im Rahmen der Stuttgartnacht. Das Haus rechnet mit einem Ansturm des Publikums und beschäftigt deshalb zusätzliches Sicherheitspersonal.

Tausende von Lesern werden dabei auch Autoren begegnen - zumindest auf dem Bildschirm: Im Erdgeschoss zeigt die Bibliothek die Videoinstallation Lesung - auf Großbildschirmen können die Besucher 50 Schriftstellern bei Lesungen zusehen und zuhören. Am Samstag spielt die Musik dort, wo bisher nur die Bohrer dröhnten: Im Untergeschoss wird die Klavierstimme von Verdis Rigoletto zu hören sein, gleichzeitig können die Besucher an vernetzten Computerarbeitsplätzen den Text einer deutschen Übersetzung der Oper verändern. Der Name des experimentellen Projekts: "Rigoletto 24".

Offizieller Publikumsbetrieb beginnt am Montag

Wer diesen Auftakt verpasst, hat am Sonntag von 13 bis 18 Uhr Gelegenheit, sich in der Bibliothek umzuschauen. Ein Tag der offenen Tür oder auf Neudeutsch: Preview für Superneugierige. Der offizielle Publikumsbetrieb beginnt erst am Montag. Von neun Uhr an können die Besucher dann auch Bücher, CDs, DVDs und Noten ausleihen. Wenn sie die Bibliothek betreten, erwarten sie kostümierte Gestalten. Die Performancegruppe Living Body Art verwandelt den Eingangsbereich in eine Bühne. Von 10 bis 19 Uhr führt das Team der Direktion die Besucher zur vollen Stunde durch das Haus. Wer sich nicht nur mit geistiger Nahrung stärken will, wird vom Stadtoberhaupt persönlich bedient - Wolfgang Schuster verteilt um 10 Uhr quadratische Schokoladentafeln, passend zur Architektur.

Ursprünglich wollte die Bibliothekschefin Ingrid Bussmann das Haus in einem Probelauf ohne Besucher testen - doch weil sich während der Bauzeit einige Verzögerungen ergeben haben, muss sie auf den Probebetrieb verzichten. Der 24. Oktober ist als erster Tag mit Publikumsbetrieb schon seit Langem gesetzt gewesen - es ist der bundesweite Tag der Bibliotheken.

In Stuttgart ist er der Auftakt für eine Aktionswoche, die anlässlich der Eröffnung der Stadtbibliothek bis zum 29. Oktober läuft. Warum sollte man dafür nicht einen Literatur-Nobelpreisträger zum Gespräch bitten? Tatsächlich wollte Florian Höllerer, der Leiter des Literaturhauses, am Dienstag mit Günter Grass über dessen neuen Roman und über Stuttgart reden - doch am Donnerstag musste Grass die Veranstaltung wegen einer Erkrankung absagen.

Weitere Informationen im Internet gibt es unter www.stuttgarter-zeitung.de/bibliothek

Eröffnungswoche der Stadtbibliothek

Freitag: Wer abends in die Bibliothek will, benötigt eine Einladung: Zur Eröffnungsfeier kommen nur geladene Gäste ins Haus. Es reden Ingrid Bussmann, der Architekt Eun Young Yi und OB Schuster.

Samstag: Bei der Stuttgartnacht dürfen alle hinein. Die Bibliothek im Europaviertel öffnet um 19 Uhr, ein DJ legt Musik auf, es gibt Einblicke in die Online Animation Library, Lesungen, Computerkunst, Snacks und Getränke. Tickets für die Stuttgartnacht kosten an der Abendkasse 16 Euro.

Sonntag: Beim Tag der offenen Tür gibt es die "Bibliothek pur" - ohne Personal und ohne Ausleihmöglichkeiten. Beginn 13 Uhr, Ende 18 Uhr.

Von Montag an: Um neun Uhr beginnt der reguläre Betrieb. Zum Auftakt jagt bis zum 29. Oktober eine Veranstaltung die nächste. Die Schwerpunkte sind Philosophie (Montag), Literatur (Dienstag), Interkultur (Mittwoch) und Wissenschaft (Donnerstag). Ausführliche Informationen finden Sie im Internet unter www.stuttgart.de/stadtbibliothek.