„Ohne Schlankheitswahn und Prüderie“ haben eine Stuttgarter Autorin und eine italienische Köchin sinnliche Genüsse zelebriert. Liebe und Essen – beides kann so verlockend sein. Unser Kolumnist Uwe Bogen berichtet von einem Erotik-Event.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Am Herd möge die Wirtin aufpassen, bittet ein Gast vorneweg, dass nicht„unser Essen versalzen wird vor lauter Amore“.

 

In der Kulturgarage, wie die Chefin ihren Veranstaltungsraum nennt, der sich an der Römerstraße im Stuttgarter Süden befindet, hinter ihrem Ristorante Alimentari Da Loretta in einem Hinterhof, machen sich die Gäste locker. An diesem Abend geht es um Erotik. Bei diesem Thema verbrennt man sich leicht den Mund.

Wenn man sich in großer Runde mit der angeblich schönsten Nebensache der Welt befasst, die für manchen nicht selten zur Hauptsache wird, will man nicht verklemmt erscheinen, sondern möglichst unverkrampft und ungeniert. Deshalb wird die Wirtin Loretta Petti mit Sprüchen in die Küche verabschiedet – kaum, dass sie erklärt hat, warum sie keine Austern serviert. Der Mensch, der sich aufs Genießen einlasse, habe Aphrodisiaka gar nicht nötig.

Wie in der Trattoria eines italienischen Dorfs

Die Gäste sitzen an einem langen Holztisch, der mit Antipasti-Tellern reich gedeckt ist. Ein bisschen ist’s wie beim Fest einer Großfamilie in der Trattoria eines italienischen Dorfs. Während die Schriftstellerin Ines Witka aus ihrem erotischen Debütroman „Perle um Perle“ liest (bisher hat sie Sachbücher zur Sexualität geschrieben), wird Loretta, die 1973 aus der Toskana nach Deutschland kam und seit 1996 ihr Ristorante an der Römerstraße führt, die Hauptgänge kochen. Sie zieht die Türe zwischen Veranstaltungsraum und Küche energisch zu. Zwar wollen die beiden Frauen vorführen, wie nah leibliche Genüsse sind. An diesem Abend sollten „Schlankheitswahn und Prüderie vergessen werden“, stand in der Einladung. Doch nun werden zwei Gründe fürs Glücklichsein erst mal getrennt. Türe zu! Die Köchin hat einige Treppen höher an Töpfen zu tun, die Autorin beginnt unten ihre Erotiklesung.

Liebe und Essen – beides kann so verlockend sein. Manch ein Mann, der eine Frau in ein Restaurant einlädt, will in Wahrheit mit ihr ins Bett. Paare, die ihre heiße Phase hinter sich haben, sagen, dass gemeinsame Rituale wie das Zubereiten und Zelebrieren einer ausgefallenen Speise eine Liebesbeziehung länger am Leben erhalte. Essen ist der Sex des Alters, hört man oft. Ist das Lesen von erotischen Texten eine Ersatzbefriedigung? Oder turnt es an? Gibt es zu viele Ein-Hand-Sexbücher für Männer und zu wenig intelligente Literaturverführung?

Die Stuttgarterin Ines Witka, Dozentin der Volkshochschule, sagt, dass ihr die psychologische Komponente in ihren Geschichten am wichtigsten sei. An seiner Sexualität erkenne man den Menschen.

Frauen, sagt sie, würden erotische Texte anders schreiben als Männer. Ihre Verlegerin merke sofort, wenn ein Mann ihr unter falschem Frauennamen ein Manuskript geschickt habe. Bei schreibenden Männern werde eine Frau schneller zum Objekt.

Direkt, aber nicht plump geschrieben

Der Bestseller „50 Shades of Grey“ kam vor allem bei Frauen an. Und das, obwohl er ein antiquiertes Rollenbild verbreitet. Der Mann stellt die Regeln auf, die Frau fügt sich. Bei Ines Witka ist’s anders. Bei ihr trifft eine erst schüchterne, junge Frau auf einen älteren Antiquitätenhändler, der ihr ein Geschäft anbietet. Für jede sinnliche Geschichte, die sie ihm erzählt, bekommt sie eine Perle. Die Erlebnisse müssten aber stimmen. Der Single-Antiquar hat genug von gekauften Escort-Mädels, die ihm seine Ansprüche auch auf intellektuellem Austausch nicht erfüllen. Sex ist ihm zu wenig. Am Ende wird die junge Frau das tun, was sie will – gegen den Willen des Mannes.

Die Texte, die Ines Witka liest, sind direkt, aber nicht plump geschrieben. Sie sind fast so erdig und ehrlich wie die Speisen der Köchin. Nein, dieses Buch mag man nicht von der Bettkante schubsen. Die mit Spinat gefüllten Dinkelcrêpes der Köchin waren übrigens würzig und nicht versalzen.