Die Tübingerin Claudia Gehrke verlegt erotische Literatur. Texte wie „Shades of Grey“ landen oft bei ihr - erfolgreich werden die wenigsten.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart – Sie war eine der ersten, die pornografische und erotische Bücher für Frauen auf den Markt brachte. Heute ist der Konkursbuch Verlag von Claudia Gehrke vor allem für „Mein heimliches Auge“ bekannt, in dem Jahr für Jahr literarische wie private Texte und Fotografien zur Sexualität veröffentlicht werden – und sich dadurch auch wechselnde Moden, Wünsche und Moralvorstellungen spiegeln.
Frau Gehrke, Sie betreiben seit mehr als dreißig Jahren den Tübinger Konkursbuch Verlag. Kommen einem Erotik und Pornografie nicht irgendwann zu den Ohren heraus?
Nein. Das Thema gehört für mich zum Leben. Nur, dass Wellen hoch schwappen, in denen dann überall davon die Rede ist, dass Frauen endlich auch über ihre sexuellen Lüste schreiben, als wäre das was ganz Neues. Das kommt mir vielleicht „zu den Ohren heraus“, denn Frauen schreiben schon lange auch über Sex.

Sie haben auch SM-Titel im Programm. Wäre Ihnen der Besteller „Shades of Grey“ angeboten worden, hätten Sie zugegriffen?
Ich habe wahrscheinlich schon hundert Bestseller dieser Art verpasst. Ich bekomme so viele Manuskripte mit endlos langen SM- und Sub-Geschichten, in denen ich ganz Ähnliches gelesen habe und bei denen ich mich langweile, deshalb hätte ich es wahrscheinlich verpasst. Aber ein Buch, das in Amerika schon einen solchen Erfolg hatte, geht ganz andere Wege, das kommt ja gar nicht erst zu mir. Da muss man schon Geld bieten, was ich nicht könnte.

Die deutsche Ausgabe von „Shades of Grey“ wurde schon 1,2 Millionen Mal verkauft. Der heute erscheinende zweite Teil kommt gleich mit einer Million Exemplaren auf den Markt. Haben Sie eine Erklärung, warum das Buch so erfolgreich ist?
Manche Bücher werden ein Bestseller, weil sie einen Nerv treffen. Aber dieses Buch ist in Deutschland zum Bestseller gemacht worden. Es wurde durch den Erfolg in Amerika schon vor dem Erscheinen beworben und ging durch die Medien, weil die Chefredakteure sagen: Es soll ja nicht heißen, dass wir etwas verschlafen haben. Das multipliziert sich, da kommt viel zusammen – was bei mir bei einem vergleichbaren Roman, „Die Geschichte mit A.“ von Dagmar Fedderke, nicht zusammengekommen ist. Es gehört zu meinen bestverkauften Büchern, was bei mir 20 000 abgesetzte Exemplare heißt, weil eben kein Medienhype dazukam.

Gibt es derzeit einen SM-Trend? Wird das praktiziert wie eine Mode?
Ich glaube schon, dass solche Wellen dazu führen, dass man wagt, auch so etwas auszuprobieren. Ich glaube aber nicht, dass das nur heute stattfindet, aber es findet heute vielleicht öffentlicher und sichtbarer statt. Ich weiß durch meine Interviews, dass es in den fünfziger Jahren schon mal Mode war, auch in den Zwanzigern. Flagellation ist in Deutschland immer wieder einmal hoch im Kurs gestanden.

Warum macht man das?
Ich glaube, die Leute probieren es, weil es eben modern ist. Schmerz- und Auslieferungsgefühle können Lustgefühle steigern. Ob sie es dann weiterbetreiben, das wage ich jedoch zu bezweifeln. Es ist halt mal einen Versuch wert, sein Sexleben aufzupeppen. Denn das ist ja die Gefahr jeder langen Beziehung, dass es einschläft.

Stimmt es, dass Frauen andere pornografische Literatur als Männer wollen?
Ja, mehr Geschichte drum herum, vielleicht auch Happy Ends. Frauen lesen auch immer noch mehr. Das merke ich bei unserem erotischen Jahrbuch „Mein heimliches Auge“, das eine Mischung aus Texten und Bildern ist und gleich viel von Männern und Frauen gelesen wird. Lesbische und heterosexuelle Frauen scheinen sich aber weniger mit Bildern anzuregen, sondern lesen lieber Romane. Fotobücher mit wenig Text gehen eher an Männer. Liebesromane hatten immer schon Hochkonjunktur beim weiblichen Publikum, und weil es heute in ist, können sie auch mehr Sex enthalten.

Beschäftigen sich Frauen mehr mit Sexualität als früher?
Ich kriege sehr viele Texte, viele Frauen schreiben. Das ist ein Erfolg des vielen Redens seit der „PorNo-Debatte“, dass eben auch Frauen sexuelle Begierden äußern. Ich kann gar nicht alles veröffentlichen, was ich zugeschickt bekomme. Wobei natürlich alle so berühmt werden wollen wie E.L. James mit „Shades of Grey“.

Wenn, gelangen diese Texte dann in „Mein heimliche Auge“?
Für das „Heimliche Auge“ verwende ich sehr viel, das lebt ja aus einer Vielfalt, dass sehr unterschiedliche Arten von Sex und jede Form der Sexualität vorkommen und jede Art von Erzählung. Ich hatte auch sehr viele Autorinnen, die hier ihre Erstveröffentlichung hatten und später sehr bekannt wurden, teils unter Pseudonym. Das sind literarisch hoch anspruchsvolle Texte. Aber es gibt auch Erfahrungsberichte von Menschen, in denen sich spiegelt, wie Menschen mit Lust umgehen

Was hat sich im Lauf der dreißig Jahre „Heimliches Auge“ in Sachen Sex verändert?
Es verändert sich im Detail dauernd etwas. Heute gib es das Internet, durch das sich viele Leute kennenlernen, und es gibt Zeiten, in denen mehr SM-Texte geschrieben werden. Was aber bleibt, ist die Frage, wie man mit längeren Beziehungen umgeht und das Erotische am Leben hält. Was die Leute immer noch umtreibt, ist die Suche nach der großen Liebe. Das ist etwas, das zeitlos ist.

Nimmt der Exhibitionismus zu, der Wunsch, seine Intimität preiszugeben?
Ja. Bei den ersten „Heimlichen Augen“ gab es noch kritische Auseinandersetzungen, dass man so etwas nicht zeigen soll. Heute kriege ich von ganz jungen Frauen Selbstporträts, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Das war früher nicht so, dass man sich selbst fotografierte. Früher waren das eher Aufnahmen von Männern. Die Lust, sich selbst darzustellen, ist allgemeiner geworden. Es gibt aber auch das Gegenteil. Ich glaube aber nicht, dass das, was man sieht, auch wirklich alle machen. Man sieht die, die sich exhibitionieren und Lust haben, Fotos ins Internet zu stellen.