Die erste Lange Nacht der Demokratie in Stuttgart war ein Experiment mit vielen Beteiligten. Auch danach bleiben Fragen, wie man Demokratie am besten erlebbar macht und sie jungen Menschen nahebringt.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Die Leichtigkeit hat’s schwer in dieser Langen Nacht. Die Freude an der Demokratie, die Alt-OB Fritz Kuhn einfordert – sie will sich nicht so recht einstellen. Auch nicht bei ihm selbst, dem Keynote-Redner auf diesem „Fest der Demokratie“ am Mittwochabend im Treffpunkt Rotebühlplatz. Denn die Sorgen überwiegen: „Nach 75 Jahren Grundgesetz sind wir alle schockiert, wenn wir uns die Wahlergebnisse in Ostdeutschland anschauen“, stellt er vor den rund 200 Gästen fest. Gewalt und Hetze nähmen zu. „Schmähungen sind eine Art Volkssport von rechts geworden.“ Die AfD ziele darauf, die Parlamente zu zersetzen, wie sich aktuell in Thüringen zeige. Ein Verbot, wie jetzt wieder diskutiert, scheint ihm nicht abwegig: „Sagt nicht zu früh, das geht nicht!“, ruft er. Wenn sich bewahrheite, dass die Partei es systematisch darauf anlege, das demokratische System kaputt zu machen, „dann muss man einen Verbotsantrag stellen“.

 

„Fest der Demokratie“ im Treffpunkt Rotebühlplatz Foto: Jan Sellner

Nein, Party klingt anders. Es ist auch keine. Das wäre angesichts des Rechtsrucks und der Krisenstimmung zuviel verlangt. Wenn Kuhn, der Vorsitzender des baden-württembergischen Volkshochschulverbandes ist, die Demokraten zu Fröhlichkeit animiert, „weil wir es mit einem verbitterten Gesicht nicht schaffen werden, den rechten Spuk abzuschalten“, dann klingt das ein bisschen nach dem Pfeifen im Walde. Überzeugender wirkt es, wenn der Alt-OB dafür wirbt, „den Menschen zu erklären, was alles fehlen würde, wenn es die Demokratie nicht mehr gibt“. Wenn er für „mehr Bildung in der Breite“ plädiert „als beste Möglichkeit, die Demokratie vor den Rechtsnationalisten“ zu schützen, und wenn er selbstkritisch sagt, Politiker müssten Vertrauen zurückgewinnen. Kuhn hält einen „Aufstehen“-Appell. Er mündet in der Feststellung, es sei unsere „Lebensaufgabe“, die Demokratie zu erhalten.

Die Demokratie, die man so gerne feiern würde, steht erkennbar unter Druck. Das wird auch in den künstlerischen Beiträgen des Abends deutlich: Das Ensemble VocaliPhon bringt das Stück „Demokratie“ von den Ärzten a cappella dar. Darin heißt es: „Es gibt sie – die Demokratie – nicht geschenkt. Sie wird überall bedrängt.“ Beim Auftritt der Tänzerinnen von Dancers across Borders und der Salamanque Dance Company ist das auch körperlich zu spüren: Auf der Bühne wird um Demokratie und Freiheit gekämpft.

Ein Fest der Demokratie ist es trotzdem. Insofern, als die vielen Rednerinnen und Redner in dieser Langen Nacht dafür werben, fest zur Demokratie zu stehen – was nach dem Eindruck etwa von Sozial- und Integrationsbürgermeisterin Alexandra Sußmann (Grüne) allerdings noch zu wenig passiert: „Ich vermisse das Aufstehen gegen rechts“, sagt sie. Anders als nach Bekanntwerden der Correctiv-Recherchen über rechtsextreme Remigrations-Pläne zu Jahresbeginn würden die Wahlerfolge der AfD „still und fast resignativ zur Kenntnis genommen.“

Sie vermisst das „Aufstehen gegen rechts“ – Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

„Ins Tun kommen“ – das war eine der Erwartungen des Volkshochschulverbandes und der Landeszentrale für politische Bildung als Initiatoren der Langen Nacht. Und unternommen wurde an diesem 2. Oktober in der Tat viel. Landesweit beteiligten sich rund 50 Kommunen und 70 Einrichtungen an dieser ersten Demokratie-Nacht. Allein in Stuttgart fanden rund 70 Veranstaltungen statt, die sich aufs Stadtgebiet verteilten. Beteiligt waren hier auch das Netzwerk Partnerschaft für Demokratie, der Stadtjugendring, die Integrationsabteilung der Stadt, die Jugendhaus-Gesellschaft und die Bürgerbewegung Pulse of Europe. Ein breites Bündnis, das dann auch viele der Gäste bei der Abschlussveranstaltung im Treffpunkt Rotebühlplatz stellt.

Junge Teilnehmerinnen hören sich hoffnungsvoll an

Die Eindrücke des Tages und des Abends wechseln. Manche Veranstaltungen, wie die des Landesamtes für Verfassungsschutz, sind gut besucht, andere weniger. Ernüchternd wirkt es, wenn Teilnehmer eines Demokratie-Kartenspiels beim Abschlussfest der Meinung sind, es gäbe „zu viele Parteien“. Unverständlich ist es, wenn auf dem Podium von der „Granularität der Demokratie“ die Rede ist. Herzlich klingt es dagegen, wenn Simone Fischer spricht, Grünen-Stadträtin und Behindertenbeauftragte des Landes, und eindringlich für „soziale Bildung“ wirbt. Erhellend ist es, wenn die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen den „Nationalismus und Extremismus in migrantischen Communities“ beleuchtet und darlegt, wie sie mit Workshops dagegen hält. Und hoffnungsvoll hört es sich an, wenn die beim Demokratie-Fest anwesenden Jungen – SPD-Fraktionschefin Jasmin Meergans und Celine Hirschka (Volt) – davon reden, wie motivierend es ist, in der Demokratie mitgestalten zu können.

Wie würde sich wohl ein Vertreter oder eine Vertreterin der CDU-Gemeinderatsfraktion anhören? Man weiß es nicht. Die CDU ist anders als SPD, Grüne, Freie Wähler, FDP, Volt und Linke nicht vertreten. Die Einladung der Volkshochschule blieb unbeantwortet, was Kuhn zu der Bemerkung veranlasst, es sei „schade, dass die CDU fehlt“, denn es brauche eine möglichst breite Bewegung zur Verteidigung der Demokratie.

Kartenspielen für die Demokratie: Volkshochschule-Vize Barbara Brodt-Geiger mit Gästen Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Bei dieser Langen Nacht wird deutlich: Es ist ein Ringen um die Demokratie und um Formate, die geeignet sind, sie zu beleben. Sibylle Thelen, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung, sieht politische Bildung „nicht als Schluckimpfung, sondern als Angebot, sich zu beteiligen.“ Die Demokratie-Nacht ist ein solches Angebot. Eines, das jenseits, der vielen Akteure, die daran mitwirken, auf ein noch verhaltenes Echo stößt. Sind es zu viele Veranstaltungen auf einmal? Ist der Termin am Vorabend des Tags der Deutschen Einheit der Richtige? Nach der Langen Nacht stellen sich manche Fragen. Eine zielt auch auf die Konzeption. Sollte man mit den Angeboten stärker auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen, speziell auf die Jungen, statt sie zu Veranstaltungen einzuladen?

Jugendsozialarbeit auch in Vereinen?

Jugendhaus-Gesellschaft, Stadtjugendring und die Stadt Stuttgart haben sich bereits auf den Weg gemacht und lebensnahe Formate entwickelt. Eines hat am Mittwoch im Jugendhaus Heslach Premiere. In einer „Demokratiebildungswerkstatt“ diskutieren rund 60 Pädagogen und Vertreter der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung darüber, wie man Jugendlichen demokratische Werte möglichst lebendig vermitteln kann. Dabei wird der Wunsch nach Vereinssozialarbeit laut – ergänzend zur Schulsozialarbeit, denn „Jugend findet längst nicht nur in der Schule statt“, wie es ein Teilnehmer formuliert.

Einig ist man sich darin, dass die Lehrer mehr Unterstützung benötigen und es mehr außerschulische Räume braucht, in denen Kinder und Jugendliche zusammenkommen können, um sich austauschen und in Demokratie ausprobieren zu können. Deutlich wird dabei auch: „Es geht nicht ohne Geld.“ Das Ehrenamt alleine sei damit überfordert, betont ein Vertreter des Forums der Kulturen. Jasmin Meergans zeigt für solche Stimmen Verständnis: „Politische Bildung braucht mehr finanzielle Unterstützung“, fordert sie beim Demokratie-Fest.

2026 gibt es die nächste Demokratie-Nacht

Die Bemühungen und Angebote gehen über die erste Nacht der Demokratie hinaus weiter. 2026, im Jahr nach der Bundestagswahl, soll es eine Neuauflage geben. Die Volkshochschule Stuttgart macht Demokratie bereits in diesem Wintersemester zum Schwerpunkt. Dagmar Mikasch-Köthner, die VHS-Direktorin, lässt im Treffpunkt Rotebühlplatz außerdem wissen, dass die Volkshochschule, als eine „Tochter der Demokratie“ dem Stuttgarter Bündnis für Demokratie beitreten wird. Dafür gibt’s am späten Abend nochmal reichlich Applaus.