Erst Proteste gegen den Finaleinzug, dann eine Niederlage im Sudden Death. Und doch ist die Fechterin Britta Heidemann der Star im Olympiakader. Denn sie hat – endlich – die erste deutsche Olympiamedaille bei den Spielen in London geholt.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

London - Da steht sie nun, auf dem Platz rechts neben der Siegerin. Und sie strahlt. Die erste Enttäuschung ist gewichen. Nur kurz hat der Frust angehalten, dass sie, Britta Heidemann, es nicht geschafft hat, ihren Olympiasieg von 2008 zu wiederholen. Mit 8:9 im Sudden Death unterlag die Degenfechterin der Ukrainerin Yana Shemyakina. Aber sie hat nicht Gold verloren, sie hat Silber gewonnen an diesem Abend in London. Ein Silber, das Gold wert ist. Es ist am Ende eines dramatischen Abends nicht nur die erste Medaille für das deutsche Team, sondern auch Heidemanns Rückkehr an die Spitze nach einer großen Krise.

 

Die erste deutsche Medaille. Welch eine Erlösung. Für Heidemann. Für den Rest.

Der nächste Treffer muss entscheiden

Was war das für ein Abend gewesen. Mit dem Krimi vor dem Finale. In der Runde der letzten vier steht es gegen die Südkoreanerin Shin A Lam 5:5. Der Kampf geht in die Verlängerung. Der nächste Treffer muss entscheiden. Heidemann versucht es immer wieder, sie kommt nicht durch – bis kurz vor Schluss. Auf der Uhr steht noch eine Sekunde. Und da ist er, der Treffer. In letzter Sekunde, im letzten Zehntel, im letzten Hundertstel vielleicht. Sie reißt sich die Maske vom Gesicht, ballt die Faust, rast die Planche jubelnd auf und ab. Es ist geschafft. Ihrer Gegnerin laufen die Tränen. Doch es ist nicht geschafft. Noch nicht. Es folgen viele Minuten des Wartens, hitzige Diskussionen, eine Rudelbildung der Funktionäre, die auf Drängen des südkoreanischen Trainers klären sollen, ob der Treffer noch in der Zeit war oder nicht. Wann endet die letzte Sekunde? Sequenz um Sequenz wird begutachtet, immer wieder.

Warten. Heidemann schüttelt den Kopf. Und wartet. Lange. Eine gefühlte Ewigkeit. Dann endlich, nach 30 Minuten die Entscheidung. Treffer zählt. Finale. Jubel. Silber sicher. „Ich hätte gerne einen anderen Einzug ins Finale gehabt“, sagt die 29-Jährige. Und in Richtung ihrer Kontrahentin: „Ich kann mich gut in sie hineinversetzen. Das ist superärgerlich, dass es solche Diskussionen gibt.“ Shi A Lam tritt nach der Entscheidung auf der Planche in den Sitzstreik. Ein trauriger Haufen, allein inmitten der tobenden Halle, der Blick leer. Erst nach 30 Minuten ist sie weg zu bewegen. „Eigentlich habe ich gewonnen“, sagt sie.

Im Hintergrund wird der Protest verhandelt

Im Hintergrund wird derweil der nächste Protest verhandelt. Der Zeitplan ist da längst nicht mehr einzuhalten. Der Hallensprecher versucht, den Zuschauern das Geschehen schmackhaft zu machen: „Dies ist olympische Geschichte – und sie sind live dabei. Darüber wird man noch in Jahren sprechen.“ Der Protest wird abgelehnt. „Die Zeitautomatik war kaputt. Eine Extrasekunde hat die Kampfrichterin angesagt. Beide Kämpferinnen haben akzeptiert. „In dieser Zeit hat Heidemann den korrekten Treffer erzielt“, sagt Frantisek Janda, Präsident des Europäischen Verbandes.

Michael Vesper strahlt im Excel-Center, wo heute die Florettfechter mit Benjamin Kleibrink und Peter Joppich es Heidemann nachtun wollen. Der Chef de Mission des deutschen Teams hatte zuvor etwas zerknirscht das erste Wochenende bilanziert, zwei Tage, an denen Hoffnungen unerfüllt blieben. Erstmals seit 44 Jahren gab es keine Medaille zum Auftakt. „Wir sind nicht zufrieden.“ Stand Montagnachmittag.

Ist der Knoten geplatzt?

Dann kam Britta Heidemann, die erste Medaille – und das Ende des Wartens. „Für unsere Mannschaft ist jetzt hoffentlich der Knoten geplatzt“, sagt Vesper – und ergänzt: „Natürlich ist das kein schöner Begleitumstand der ersten Medaille, aber Britta hat sich korrekt durchgesetzt.“

Der Weg zu dieser Medaille war steinig und schwer. Nach ihrem Olympiasieg 2008 war auf Heidemann viel eingeprasselt. Sie war präsent in den Medien, engagierte sich in vielen sozialen Projekten, war mit Bildungsministerin Annette Schavan in China. Sie hatte Motivationsprobleme, nach all den großen Erfolgen war der Alltag schwer. In der Weltrangliste rutschte sie bis auf Platz 126 durch, bei der WM 2011 schied sie in der Vorrunde aus, im Winter musste sie an der Hand operiert werden. Sie war am Tiefpunkt ihrer Karriere. „Ich habe ziemlich lange keine Pause vom Sport gemacht. Das Wichtigste ist, dass man nicht in eine Depression gerät“, sagt sie über diese kritische Phase ihres Lebens.

Glücklich ohne Smartphone

Britta Heidemann, die adrette wie kluge Vorzeigefrau der deutschen Fechter, hat den Weg zurück gefunden, sie nimmt sich ihre Auszeiten, sie hat sogar ihr Smartphone entsorgt und stieg auf ein älteres Modell um. Um ihr Leben zu entschleunigen. Das Feuer ist zurückgekehrt. „Ich bin fast wie ausgewechselt. Die Nervosität, ständig aufs Handy zu gucken ist weg.“ Gestern dürfte es nicht still gestanden haben.