Der neue Vorsitzende der Bahngewerkschaft EVG, Torsten Westphal, wirft Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und der Konzernspitze Versagen vor. Demnächst rückt er auch in den Aufsichtsrat des Konzerns ein – und kündigt jetzt schon Widerstand an.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Mit scharfer Kritik an der Bundesregierung hat der neue Vorsitzende der einflussreichen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Torsten Westphal, sein Amt angetreten. Viele Beschäftigte der Deutschen Bahn AG seien nicht mehr stolz auf ihr Unternehmen, sondern schämten sich für die vielen Mängel im Schienenverkehr, sagte der bisherige EVG-Bundesgeschäftsführer vor Journalisten in Berlin. Die Mitarbeiter hätten „die Nase bis oben hin voll“.

 

Die Regierung und besonders Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) müssten endlich mehr Verantwortung für das System Schiene und die DB AG übernehmen, fordert Westphal. Der Bund als Eigentümer sei gefordert. Es reiche nicht, an Symptomen herumzudoktern, um Verspätungen, Zugausfälle und Personalmangel zu verringern: „Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept, das den Schienenverkehr nach vorne bringt.“

Neun von 20 Aufsichtsratssitzen der Bahn sind von der EVG besetzt

Die DB AG hat in Deutschland rund 200 000 Beschäftigte, die EVG aktuell 187 000 Mitglieder. Darunter sind auch viele Rentner und Mitarbeiter von DB-Konkurrenten. Im mitbestimmten Aufsichtsrat des größten Staatskonzerns kontrolliert die Gewerkschaft neun der 20 Sitze. Nächstes Jahr wird Westphal voraussichtlich den Posten als Vizechef des DB-Kontrollgremiums von seinem Vorgänger Alexander Kirchner übernehmen, der in Ruhestand geht.

Der erste Auftritt des neuen EVG-Chefs zeigt, dass Konzernchef Richard Lutz, sein Vize Ronald Pofalla und Minister Scheuer künftig mit schärferen Tönen der Hausgewerkschaft rechnen müssen. Schon beim letzten Tarifstreit, den Westphal verantwortete, rief die EVG erstmals seit langer Zeit wieder zu einem Warnstreik auf. Die EVG hat lange Mitglieder an die kämpferische Lokführergewerkschaft GDL verloren. Das gespannte Verhältnis will Westphal entschärfen und sich mit GDL-Chef Claus Weselsky treffen.

Westphal greift Verkehrsminister Scheuer an

Zur Lage der DB AG zeichnet der neue EVG-Chef ein schonungsloses Bild. Die Infrastruktur sei unterfinanziert, Züge und Technik teils alt und störanfällig, wichtige Finanzierungsfragen seien offen. „Das ist ein unhaltbarer Zustand, für den auch der Eigentümer Verantwortung trägt.“ Es sei „deutlich mehr Engagement“ von Minister Scheuer nötig: „Die Zeit der Briefe und Ultimaten ist vorbei, jetzt muss gehandelt werden.“

Scheuer wiederum hat DB-Chef Lutz bereits medienwirksam mehrere Fristen gesetzt, um Defizite zu beseitigen. Allerdings wird die Modernisierung der vernachlässigten und unterfinanzierten Infrastruktur viele Jahre dauern. Im Sommer kündigte Scheuer zwar an, dass bis 2030 rund 86 Milliarden Euro in die überfällige Modernisierung des gut 33 000 km großen Gleisnetzes fließen sollen, doch die Finanzierung steht bislang zum großen Teil nur auf Papier, zumal die ertragsschwache DB AG einen erheblichen Teil davon erwirtschaften und beisteuern soll.

Kritik vom Bundesrechnungshof

Zudem kritisiert der Bundesrechnungshof das bisherige Finanzkonstrukt der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) seit Jahren als wenig effizient und fordert strengere Kontrollen der vielen Milliarden Euro, die jedes Jahr an die DB Netz AG fließen. Die oberste Prüfbehörde dringt darauf, dass ab der LuFV 3 (2020 bis 2029) das Steuergeld nur in Tranchen und erst nach vorheriger Prüfung der korrekten Verwendung an den Konzern überwiesen wird.

Dieser Empfehlung schloss sich der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags Ende September einstimmig an. Am Donnerstag beriet der Haushaltsausschuss in nicht öffentlicher Sitzung darüber, in Kürze soll der Bundestag die LuFV 3 beschließen. Der Rechnungshof kritisierte den Vertragsentwurf aus dem Hause Scheuer kürzlich erneut in einem weiteren Prüfbericht.

Querelen im Vorstand

An diesem Freitag wird Verkehrsminister Scheuer im Verkehrsausschuss des Bundestags ein weiteres Mal zur DB-Krise befragt. Der CSU-Politiker hatte der Konzernspitze Anfang November per Brief ein Ultimatum gesetzt, verbesserte Konzepte vorzulegen. In einem 20-seitigen Brief hat DB-Chef Lutz geantwortet. Der Brief fasst im Wesentlichen die im Sommer vorgestellte Strategie „Starke Schiene“ zusammen, ergänzt um bisher erreichte Verbesserungen. Lutz räumt darin auch ein, dass der Verlust bei DB Cargo in diesem Jahr von 190 auf 300 Millionen Euro wachsen werde. DB-Finanzvorstand Alexander Doll hatte die Not leidende Sparte in Doppelfunktion übernommen und steht wegen Querelen im Vorstand und des zunächst gescheiterten Verkaufs der britischen Bustochter Arriva vor der Ablösung. Doll weist die Vorwürfe zurück und hat bei Minister Scheuer und DB-Aufsichtsratschef Michael Odenwald die Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags abgelehnt. Am Montag soll eine weitere außerordentliche Aufsichtsratssitzung über seine Entlassung entscheiden.

Die Streitereien im Vorstand setzten allem „die Krone auf“, kritisiert EVG-Chef Westphal. Die Gewerkschaft lässt aber offen, ob man die geplante Entlassung des Managers billigt, die auch innerhalb der Arbeitnehmervertreter umstritten ist. GDL-Chef Weselsky fordert, dass Doll im Amt bleibt. Auch beim Betriebsrat von DB Cargo wird seine Arbeit ausdrücklich gelobt. EVG-Vize und DB-Aufsichtsrat Klaus-Dieter Hommel erklärte, es könne nicht sein, dass kurzfristig ein Vorstand auf Wunsch des Verkehrsministers entlassen werde: „Wir sehen uns nicht als verlängerten Arm des Ministers.“