Eine schmucklose, aber detaillierte Kameraeinstellung dokumentiert am 13. November 1994, dass erstmals ein Deutscher Formel-1-Weltmeister geworden ist – Michael Schumacher, die spätere Legende des PS-Sports. Die Aufnahme zeigt in der Boxengasse von Adelaide die linke vordere Radaufhängung des Williams von Damon Hill. Das so wichtige Teil hat einen Knick, der Brite kann nicht weiterfahren, er hat sich den Schaden bei einem Crash mit Schumacher geholt. Der Deutsche selbst muss schon auf der Rennstrecke aus seinem demolierten Benetton-Rennwagen klettern. Er sieht nicht glücklich aus – denn wenn Hill im Rennen bleibt, ist der Engländer Weltmeister.
Doch dann kommt alles ganz anders. Schumacher bekommt zunächst nur Wortfetzen des Streckensprechers mit: „Hill . . . Box . . . Probleme“, die restlichen Worte verschluckt der Wind. „Ich wusste ja nicht, was mit Damon passiert war. Dass ich Weltmeister geworden sein sollte, das habe ich lange nicht richtig kapiert“, erzählt Schumacher später. Dann aber dämmert es ihm – spätestens als ihm ein Streckenposten die Hand reicht und euphorisch zum Titel gratuliert.
Die Bilder danach gehen um die Welt: Schumacher wird von seinen blau-gekleideten Teammitgliedern in der Boxengasse hochgehoben und ausgelassen gefeiert, er selbst kann sein Glück kaum fassen – nur ein Punkt Vorsprung hat zum Titel gereicht. Damit ist der Anfang eines Rennsport-Booms in Deutschland gemacht; neun Jahre nach dem Tennis-Boom, den Boris Becker 1985 in Wimbledon entfacht hat.
Start in eine Ära
Dieser WM-Titel ist aber vor allem der Startschuss in eine große Ära. 1995 wird Schumacher abermals im Benetton Champion, zwischen 2000 und 2004 gewinnt er im Ferrari fünf weitere Weltmeisterschaften, mit sieben Titeln führt er noch heute die Rangliste der erfolgreichsten Formel-1-Piloten an (gemeinsam mit Lewis Hamilton). Und Deutschland ist nach diesem hauchdünnen ersten Erfolg in Australien zum Motorsportland geworden. Oft mehr als zehn Millionen Zuschauer verfolgen die Rennen vor den Bildschirmen: Schumi gucken am Wochenende ist Pflicht.
„Nichts in der deutschen Motorsportwelt und teilweise sogar in der gesamten deutschen automobilen Welt war nach Michaels erstem Formel-1-Weltmeisterschafts-Titelgewinn wie zuvor“, erinnert sich der langjährige ehemalige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug: „Vom Mitläufer zum Hauptdarsteller über Nacht - das hatte Hand und Fuß.“
Auch immer mehr Kartbahnen gibt es in der Folge dieses ersten Titels, Schumacher-Fans wie der damals noch kleine Sebastian Vettel sitzen in den Flitzekisten, weil sie mal werden wollen wie ihr Vorbild. Aber auch die Formel 1 mutiert im Sog von Schumachers Erfolg zur Formel D. Die Hersteller Mercedes und BMW engagieren sich und stecken dreistellige Millionensummen ins schnelle Geschäft. Ohnehin wird im Fahrerlager viel Deutsch gesprochen, was etwa die Saison 2010 belegt, in der sieben deutsche Piloten am Start sind: Michael Schumacher, Nico Rosberg, Nick Heidfeld, Timo Glock, Adrian Sutil, Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg.
Die beeindruckende Schumacher-Ära biegt in dieser Phase aber auch schon langsam, aber sicher auf die Zielgerade ein. BMW ist wegen chronischer Erfolglosigkeit zuvor schon ausgestiegen und Vettels vier WM-Titel generieren längst nicht mehr die Fernsehquoten, die Schumacher den Sendern beschert hat. Und heute? Da dreht nur noch Nico Hülkenberg als einziger Deutscher in der Königsklasse tapfer seine Runden.
Turbulente Saison
Michael Schumachers erste Krönung am 13. November 1994 steht am Ende einer extrem turbulenten und nachdenklich machenden Formel-1-Saison. Manipulationsvorwürfe gegen das Benetton-Team und üble Nachrede anderer Rennställe vergiften das sportliche Klima in der Formel 1 nachhaltig – so ist in den Schlagzeilen der Boulevardpresse vom „Schummel-Schumi“ die Rede. Die Folge: Der Pilot aus Kerpen wird für einige Rennen gesperrt.
Am schlimmsten in Erinnerung bleibt das „Schwarze Wochenende von Imola“. Beim dritten Grand Prix des Jahres verunglücken der Österreicher Roland Ratzenberger am Samstag und einen Tag später die brasilianische PS-Ikone Ayrton Senna tödlich – und erschüttern damit nicht nur die Formel-1-Welt. „Als Senna starb, ist die Sonne vom Himmel gefallen“, sagt der Ex-Rennfahrer Gerhard Berger. Eigentlich sollte im Jahr 1994 eben dieser Ayrton Senna der große WM-Rivale sein von Schumacher, über dessen Gesundheitszustand nach seinem tragischen Skiunfall im Dezember 2013 nur spekuliert werden kann, und nicht Damon Hill.
Michael Schumacher kürt sich in einer höchst dramatischen Saison zum Champion. Der Tragödie und dem Manipulationsskandal folgt der Beginn der deutschen Formel-1-Herrlichkeit. Aber auch der große Frust – beim Briten Damon Hill.
Buch der Schumacher-Managerin
Weltmeisterwagen
Zum Jubiläum seines ersten Formel-1-Titelgewinns ist das Buch „Weltmeisterwagen Michael Schumacher“ (274 Seiten mit 112 Fotos und Abbildungen/Preis: 91 Euro) im Delius Klasing Verlag erschienen – verfasst von seiner Managerin Sabine Kehm und dem seit vielen Jahren für unsere Zeitung über die Formel 1 berichtenden freien Journalisten Elmar Brümmer.
Inhalt
Es handelt sich dabei um einen opulenten Bildband mit begleitenden Textkapiteln inklusive persönlicher Erinnerungen der Schumacher-Managerin. Zudem enthalten ist auch ein sehr persönlicher Brief des anderen Formel-1-Rekordweltmeisters Lewis Hamilton an Michael Schumacher, wie sehr er ihn inspiriert und geprägt hat.