Der Naturschutzbund wirft der grün-schwarzen Landesregierung Untätigkeit vor: Der Einsatz von Pestiziden müsse bis 2025 um die Hälfte vermindert werden, verlangt der Nabu in seinem ersten Pestizidbericht.

Stuttgart - Was das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart nach Ansicht des Naturschutzbundes Baden-Württemberg versäumt hat, das hat der Öko-Verband jetzt selbst vorgelegt: den ersten gut 30 Seiten starken Bericht über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden) im Land. Dass die grün-schwarze Landesregierung dies nicht selbst vermocht habe, das sei „ein Armutszeugnis“, sagte der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle bei der Vorstellung des Berichts am Donnerstag.

 

Die Naturschützer errechneten ihr Zahlenwerk anhand von bundesweiten Daten des staatlichen Julius-Kühn-Instituts, die sich auf acht Planzenkulturen beziehen: Winterweizen, Winterraps, Wintergerste, Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln, Wein und Äpfel. Für sie sind im Jahr 2014 im Südwesten rund 2300 Tonnen an Pestiziden eingesetzt worden. Davon entfällt der größte Teil auf Pilzbekämpfungsmittel (56 Prozent), gefolgt von Unkrautvernichtern (35) und geringe Anteile entfallen auch auf Wachstumsregulatoren (sieben) und Insektenbekämpfungsmittel (zwei). Vom umstrittene Glyphosat sind 203 Tonnen im Südwesten eingesetzt worden. Große Sorgen machen den Naturschützern der Einsatz von Insektiziden, unter denen fünf Tonnen auf die kontrovers diskutierten Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide entfällt. Sie wirken als Nervengift auf Schädlinge, töten allerdings auch harmlose Wildbienen, Schmetterlingen und Laufkäfer.

Generell sagt der Nabu, dass die hohe Pestizidausbringung den Rückgang der Artenvielfalt in Feld und Wiesen beschleunige, durch das „Wegspritzen“ von Ackerwildkräutern etwa mit Glyphosat werde nützlichen Insekten die Nahrung entzogen. „Pestizidrückstände finden sich außerdem in unserer Nahrung und im Grundwasser, sie gefährden die Tier- und Pflanzenwelt“, sagt der Nabu-Agrarexperte Jochen Goedecke. Da in Baden-Württemberg selbst in Naturschutzgebieten der Pestizideinsatz erlaubt sei, mache das Artensterben nicht einmal vor den Schutzgebieten Halt.

Apfelbauern spritzen bis zu 30mal im Jahr

Auffällig ist, dass der Apfel- und Weinbau im Land nur sechs Prozent der Anbaufläche unter den acht genannten Kulturen ausmacht, aber dort 44 Prozent alle Pestizidwirkstoffe ausgebracht werden. Bei Äpfeln werden bis zu 30 mal im Jahr Pestizide gespritzt, beim Mais ist es zweimal. Aber entscheidend für die Belastung der Natur ist nicht die Menge an ausgebrachten Pflanzenschutzmitteln – so gilt etwa Natron gegen Pilzerkrankungen als harmlos, auch Schwefel ist relativ unbedenklich – sondern die Häufigkeit der Ausbringung sowie ihre Giftigkeit für Natur und Umwelt. Für diese Giftbelastung haben die Autoren der Studie einen sogenannten „Toxic-Load-Indikator“ errechnet, einen Wert für die Pestizidlast in den einzelnen Anbaukulturen. Und bei der Gesamtpestizidbelastung schneidet der Apfel- und Weinbau etwas besser ab als die Getreidearten Mais, Wintergerste und Winterweizen sowie Raps – offenbar, weil die Obst- und Weinbauern auch „softere“ Mittel einsetzen.

Der Naturschutzbund fordert die Landesregierung nun auf, gegen das Insektensterben eine Strategie zur Verminderung des Pestizideinsatzes vorzulegen und endlich Ziele zu nennen. Der Nabu selbst hält eine Reduktion der eingesetzten Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent bis zum Jahr 2025 für wünschenswert und gut machbar. „Wie das gehen könnte, zeigen wir in vier Szenarien in unserem Pestizidbericht“, sagt Nabu-Chef Enssle. Da eine Abkehr gerade von den Pilzbekämpfungsmitteln im Obstbau schwierig sei, solle man sich auf den Getreideanbau mit seinen riesigen Flächen konzentrieren und sie „pestizidfrei“ bewirtschaften, sagen die Naturschützer. Das sei aus ökologischer Sicht am besten. Für den Obstbau empfiehlt der Nabu immerhin eine Reduktion der Insektenbekämpfungsmittel.

Im Kraichgau wird Unkraut mechanisch vernichtet

Vorbilder für den Nabu sind die auf mechanische Unkrautvernichtung setzende Erzeugergemeinschaft Kraichgaukorn mit 30 Betrieben sowie die Integrierte Produktion der Schweiz (IP Suisse), in der 20 000 Bauern vereinigt sind. Sie hat den chemischen Pflanzenschutz stark eingeschränkt und bestimmte Fruchtfolgen wie „Weizen auf Weizen“ verboten. Unter der Marke „Marienkäfer“ verkauft die IP Suisse ihre Produkte. Das so etwas auch in Deutschland möglich sein muss, zeigt das wachsende Interesse des Einzelhandels, Konzerne wie Edeka haben längst eigene Pestizidreduktionsprogramme. Auch in Schweden und Dänemark ist die Ausbringung von Pestiziden binnen weniger Jahre um 75 beziehungsweise 50 Prozent vermindert worden. „Wir brauchen den politischen Willen dafür, den vermissen wir bei der grün-schwarzen Regierung noch“, sagt Nabu-Chef Enssle.

Als Handlungsanweisung hat der Nabu zehn Punkte formuliert. Darunter sind die Forderungen, dass das Land auf seiner eigenen Agrarfläche (33 000 Hektar) mit der Pestizidreduktion beginnt und dass der Gifteinsatz in „ökologisch sensiblen Gebieten“ verboten wird. Auch verlangt der Nabu ein Pestizid-Monitoring, eine bessere Beratung beim Pflanzenschutz, eine Erhöhung des Ökolandbaus auf 30 Prozent der Fläche sowie eine neue Vermarktungskampagne unter dem Motto: „Regional und pestizidfrei aus Baden-Württemberg.“