Im Handball wird an diesem Mittwoch in Stuttgart der erste Titel der Saison vergeben. Im Supercup zwischen Meister und Pokalsieger treffen der THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt aufeinander.

Stuttgart - Alles beim Alten beim THW Kiel. Zumindest auf den ersten Blick. Der Deutsche Meister präsentierte seine Neuzugänge wie gewohnt in der Zentrale des Hauptsponsors, die einen famosen Blick auf den Hafen bietet. „Unsere Ziele haben sich nicht verändert“, sagte der Trainer Alfred Gislason mit fester Stimme. „Die Meisterschaft ist unsere Priorität.“ Und ja, auch den Supercup in der Stuttgarter Porsche-Arena (Mittwoch, 20.15 Uhr/Sport 1) gegen die SG Flensburg-Handewitt will der Isländer unbedingt gewinnen. Zumal er die SG als größten Konkurrent der kommenden Saison betrachtet.

 

Hinter der Fassade des übermächtigen Handball-Rekordmeister (20 Titel, davon zehn in den letzten elf Jahren) geschahen zuletzt allerdings Dinge, die höchst ungewöhnlich für diesen Club sind. Dass der Kapitän Filip Jicha mitten in der Saisonvorbereitung erklärte, er wolle zum spanischen Champions-League-Sieger FC Barcelona wechseln, hat die Verantwortlichen geschockt. „Das war, als hätte uns jemand den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt ein hoher Funktionär. Weil der 33-Jährige die stark verjüngte Mannschaft doch als Leader in die Zukunft führen sollte.

Hintergrund der plötzlichen Wechselabsichten ist eine Immobilienaffäre, deren Ursprünge ein Jahrzehnt zurückliegen. Jicha hatte, wie mindestens 25 weitere Handballprofis, in dubiose Häuser und Wohnungen investiert, um Steuern zu sparen. Nun berichtete Jicha in seltener Schonungslosigkeit („ich habe derzeit nur schlaflose Nächte“) von seinen dramatischen Geldsorgen: Er habe sich in seiner Zeit beim TBV Lemgo (2005 bis 2007) schwer verspekuliert.

In seiner Naivität sei er in eine „tiefe Falle getappt“. Rund 40 Prozent seines Gehaltes müsse er nun für die Zins und Tilgung dieser Objekte aufbringen und sei förmlich dazu gezwungen, das lukrative Angebot des FC Barcelona (Vierjahresvertrag bis 2019) anzunehmen. Jichas Vertrag in Kiel läuft indes bis 2016, mit einer beidseitigen Option für ein Jahr. Die Katalanen haben deshalb eine Ablösesumme in Höhe von 750 000 Euro aufgerufen.

Inzwischen hat Kiels Geschäftsführer Thorsten Storm seinem Kapitän ein Angebot bis 2019 unterbreitet, das dieser aber ablehnte. Jicha, der wie Kreisläufer Patrick Wiencek in Stuttgart verletzungsbedingt fehlen wird, hat sich derweil total verwandelt. Teamkameraden erzählen, dass der vorher so kommunikationsfreudige Kapitän sich völlig zurückgezogen habe.

Der Kollege im Rückraum, Joan Canellas, hat zum Beispiel in einer spanischen Sportzeitung berichtet, dass sich Jicha in der mannschaftinternen Whats-App-Gruppe nicht mehr beteilige. Die Kollegen gegen davon aus, dass der Wechsel nur noch Formsache ist. Die Wechselfrist läuft bis 15. Februar, so dass sich diese Personalie zu einer Hängepartie entwickeln könnte.

Eine traditionelle Stärke des THW scheint jedenfalls in Gefahr: Stets hielten große Persönlichkeiten wie Stefan Lövgren oder Marcus Ahlm ein Ensemble der Stars zusammen und führten sie an. Andererseits können Profis wie René Toft-Hansen oder Steffen Weinhold schnell in Jichas Rolle hineinwachsen. Und bei einem Transfer Jichas würde sich auch ein anderes Problem erledigen: Domagoj Duvnjak, der kroatische Superhandballer, litt im Rückraum bisher unter der totalen Dominanz Jichas – und würde wohl aufblühen.

Während in Kiel viele Fragen offen sind, hat man beim Konkurrenten in Flensburg offenbar alle Antworten gefunden. Der SG-Coach Ljubomir Vranjes versprüht trotz der vier Neuzugänge auf zentralen Positionen Optimismus. Es gebe keine Sprachbarrieren, da alle Neuen schon Deutsch können, so der Schwede. Alle hätten sich gut integriert. „Ich hatte die Vorahnung, dass das schnell gehen würde, aber dass es so schnell funktioniert, hatte ich nicht erwartet.“

Vranjes will nicht nur wieder den Supercup gewinnen – wie 2013 in Bremen im gleichen Duell. Auch er konzentriert sich nach dem Triumph in der Champions League 2014 und dem Pokalsieg im Mai auf die Meisterschaft. Es ist nicht nur der einzige Clubtitel, der dem Trainer noch fehlt. Auch die Fans warten schon über ein Jahrzehnt auf die Wiederholung darauf. Zudem haben sie in Flensburg im Sommer 2011 die Meisterschaft in einer Art Fünfjahresplan als Fernziel ausgegeben. Damals sagte Vranjes: „In vier bis fünf Jahren wollen wir wieder Deutscher Meister werden.“ Sollte das gelingen, wäre nichts mehr beim Alten: Weder in Flensburg noch in Kiel.