Arte zeigt von Dienstag an das achtteilige Dokudrama „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“. Gestrickt wie eine moderne Serie, ist die Doku ein packendes wie informatives Panorama des Krieges, das 14 wahre Schicksale nacherzählt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Frankreich, Sedan: Der zehnjährige Yves Congar sitzt am Wohnzimmertisch und stellt mit seinen Zinnsoldaten den soeben begonnenen Krieg nach; die verhassten „boches“, die Deutschen, lässt er umfallen wie die Fliegen. Schon kurze Zeit später kauert der fantasievolle Schulbub hinter seiner Haustür, um zu beobachten, wie „die Barbaren“ aus Deutschland am Fenster vorüber ziehen.

 

Deutsches Reich, Berlin: Der siebzehnjährige Sohn Peter der Dichterin Käthe Kollwitz ist voller Enthusiasmus: „Der Krieg wird alles ändern, er wird alles besser machen“, schwärmt er. Die Mutter lässt ihn schweren Herzens, aber unwidersprochen ziehen. Schon bald hält sie die Nachricht von seinem Soldatentod in den Händen.

Russisches Kaiserreich, ein Dorf der Kuban-Kosaken: Marina Yurlova ist 14, als ihr Vater, ein Kosaken-Oberst, in den Krieg aufbricht. Furcht kennt sie keine – sie springt auf einen der Soldatenzüge auf, um ihrem Vater an die Front zu folgen und als Kindersoldatin zu kämpfen.

Ein Panorama des Krieges

Drei Menschen, die den Ersten Weltkrieg miterlebt haben und ihre Erfahrungen und Gedanken in ihren Tagebüchern festgehalten haben. Es sind drei von vierzehn Schicksalen, die das Dokudrama „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ zu einem so packenden wie informativen Panorama des Krieges verbindet. Arte zeigt von heute an acht Folgen à 52 Minuten, die ARD hat sich für eine verkürzte Version entschieden und strahlt Ende Mai vier 45-minütige Teile aus.

Sämtliche Spielszenen basieren auf Tagebucheinträgen von Kindern und Erwachsenen aus acht Nationen; von Frauen, die als Fabrikarbeiterinnen ihr Heimatland stützen, von Bauern, die lieber ihr Feld bestellen würden als aufs Feld der Ehre zu ziehen, von Soldaten, die auf dem Schlachtfeld Karriere machen. Die Darsteller sind deutsche, russische, französische, britische und kanadische Schauspieler, die in ihrer Muttersprache sprechen – deshalb wird mit Untertiteln gearbeitet. Multinationalität ist der Kern des Projekts, an dem die Sender Arte, Das Erste, NDR, SWR und WDR und ORF als Ko-Produzenten beteiligt sind: erstmals eine gemeinsame Sicht der beteiligten Nationen auf die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts wagen und nicht weniger als eine „Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs“ zustande bringen, das war die Intention.

Ein Ziel, das nicht nur angesichts der Anzahl der 28 an der Produktion mitwirkenden Länder und der Komplexität des Stoffes schier unerreichbar scheinen musste. Ein Rechercheteam hat in vierjähriger Arbeit 1000 Tagebücher gesichtet; Archivmaterial wie Fotos, Briefe, Postkarten und Filmaufnahmen aus 71 Archiven und 21 Ländern musste aufwendig digital restauriert werden.

Geschichten von Menschen

Um dem Stoff Herr zu werden, sei die entscheidende Überlegung gewesen, „kein Ideen- oder Thesenfernsehen“ zu machen, sondern Geschichten von Menschen zu erzählen, wie der Regisseur Jan Peter sagt. Dabei hatte er den Mut, die Prinzipien des modernen, seriellen Erzählens auf ein Geschichts-Dokudrama zu übertragen – ein Novum im deutschen TV. Sich an der Machart der US-Serien à la „Breaking Bad“ oder „House of Cards“ zu orientieren, sei jedoch kein Selbstzweck: „Es ging darum, ein Stück europäischer Geschichte so zu erzählen, dass es mehr als drei Leute interessiert.“

Durch den Seriencharakter kann der Mehrteiler nachvollziehbar machen, wie der Krieg das Leben der Zeitzeugen, ihre Gedanken- und Gefühlswelt auf den Kopf stellt, sie zu anderen Menschen macht. Das dürfte auch junge Zuschauer ansprechen, die für Dokus und Geschichtsthemen sonst womöglich wenig übrig haben. Vor allem: nichts ist erfunden oder kann einem unplausiblen Drehbuch angelastet werden. Die überlieferten Aufzeichnungen bürgen für die Authentizität der gezeigten Episoden; daraus bezieht das Dokudrama seine emotionale Wucht.

Die persönlichen Geschichten sind eng mit einer dokumentarischen Ebene verwoben; historisches Foto- und Filmmaterial fügt sich ohne Bruch in die Spielszenen. Die dramatisierten Sequenzen wechseln mit Info-Passagen ab: Landkarten, Schriftdokumente und Fotos sind deren optische, graphisch effektvoll zusammenkomponierten Bausteine; ein Erzähler vermittelt dazu anschaulich die historischen Fakten. Weitere Archivsequenzen sind mit sogenannten Chorus-Stimmen unterlegt: Zitaten von Menschen aus weiteren 16 Ländern, die kollektive Erfahrungen wie Angst oder Hunger transportieren. Das aufwühlende Dokudrama holt das Inferno und seine Hintergründe ins Heute herüber.

Die ARD begnügt sich mit Kurzem

Mit solchen Mammutprojekten, vorausgesetzt, sie sind so überzeugend gemacht wie dieses, können die Öffentlich-Rechtlichen auftrumpfen. Die Halbherzigkeit, mit der sie es ihrem Publikum anbieten, muss dabei umso mehr erstaunen: Während der Spartensender Arte den personalisierten, dramahaften Charakter der Miniserie voll ausspielt und die acht Folgen an drei Abenden in die Primetime packt, begnügt sich die ARD damit, an zwei Abenden erst ab 21.45 Uhr je zwei kürzere, stärker sachlich-thematisch ausgerichtete Teile zu senden.