Auf ihren Prestigefeldern hat die grün-rote Landesregierung in ihrem ersten Jahr einiges in Bewegung gebracht. Ab und zu eckt sie auch an.

Stuttgart - Die Koalitionäre mögen gelegentlich unterschiedlicher Meinung sein, in einem sind sich Minister von Grün und Rot einig: die Glanztat des ersten Jahres war der Pakt mit den Kommunen. 300 Millionen mehr gibt das Land den Gemeinden in diesem und im nächsten Jahr für den Ausbau der Kleinkindbetreuung. In der weiteren Zukunft wird das Land 68 Prozent der Betriebskosten übernehmen. Das Geld stammt aus der Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 3,5 auf fünf Prozent, die erstaunlich wenig Aufruhr brachte.

 

Fleißaufgabe Bildungspolitik

Das am emsigsten beackerte Feld der neuen Regierung ist die Bildung. Sei es Schule oder Hochschule, hier trifft der Vorwurf der Opposition nicht, Grün-Rot sei untätig. Dabei gehen die Reformen im Hochschulwesen deutlich geräuschloser über die Bühne als der Umbau des Schulsystems. Die Studiengebühren wurden abgeschafft, und das Land erstattet den Hochschulen die entgangenen Einnahmen. Angesichts bevorstehender Sparmaßnahmen mag die Entscheidung fiskalisch falsch sein, populär ist sie in jedem Fall. Auf das Ausbauprogramm für die Hochschulen hat Grün-Rot draufgesattelt und für mehr Flexibilität bei der Einrichtung zusätzlicher Plätze für Studienanfänger gesorgt. Ob alle Abiturienten des Doppeljahrgangs 2012 unterkommen, wird sich im Herbst zeigen, wenn die Studienplätze verteilt sind.

Im Schulwesen wurde regelrecht gewirbelt. Unter der großen Überschrift „Verbesserung der Bildungschancen unabhängig von der Herkunft“ wurde das dreigliedrige System gelockert. Die Gemeinschaftsschule ist eingeführt, die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft. Auf Druck der SPD gibt es ab Herbst wieder neunjährige Züge an etlichen Gymnasien. Sechsjährige berufliche Gymnasien sollen hinzukommen, die Werkrealschule scheint keine Zukunft zu haben. Was fehlt, ist ein abgestimmtes Konzept und ein Plan, der die Entwicklungen an den Schulen in geregelte Bahnen lenkt. Die nächste Baustelle ist schon eingerichtet: die Ganztagsschule.

Impulse für den Bund

Ein Prestigethema der Koalition ist neben der Bildung die ökologische Modernisierung und die Energiewende. Wenn es um Abkehr von Kernkraft und Umschwenken auf erneuerbare Energien geht, versteht sich die Landesregierung als Impulsgeber auf Bundesebene. Am augenfälligsten ist der Ausstieg aus der Atomkraft und der geplante Einstieg in die Windkraft. Zehn Prozent des Gesamtstrombedarfs sollen die Windräder im Jahr 2020 erzeugen statt 0,8 Prozent wie im Jahr 2009. Dazu müssten jährlich gut 120 Windräder gebaut werden, früherer Widerstand erscheint wie weggefegt. Im Wärmesektor soll der Klimaschutz vorangebracht werden, neue Förderprogramme für die energetische Sanierung sind ein Beitrag dazu. In Arbeit ist ein Klimaschutzgesetz, das die wesentlichen Handlungsfelder der kommenden Jahre definieren soll.

Schritte zur Beteiligungskultur

Grün-Rot will die Gesellschaft nicht nur gerechter, sondern auch offener machen. Das bisher augenfälligste Beispiel für verstärkte Teilhabe war die Volksabstimmung zu Stuttgart 21. Neue Regeln für zukünftige Bürgerbegehren oder Volksentscheide hat die Koalition noch nicht aufgestellt. Die Hürden für die Instrumente der direkten Demokratie sind unverändert hoch. Doch die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung verkörpert den Anspruch der Koalition, eine Bürgerregierung zu werden. Erste Schritte zur neuen Planungs- und Beteiligungskultur hat beispielsweise das Wissenschaftsministerium mit einer Online-Anhörung zur Einführung der Verfassten Studierendenschaft gemacht. Weitere Dialog- und Beteiligungsformen sollen in den anderen Politikfeldern folgen. Vorangegangen ist auch das Justizministerium. Die Bürger haben jetzt auch die Möglichkeit, selbst beim Staatsgerichtshof zu klagen.

Start nahezu vergoldet

Was die Einkünfte angeht, war der Start nahezu vergoldet. Die Steuern sprudelten nur so, als Grüne und SPD ihre ersten Haushalte aufstellten. Zweimal gelang das, ohne neue Schulden zu machen. Die Mammutaufgabe ist jedoch unausweichlich, sie heißt Schuldenbremse und erfordert, dass die Regierung bis 2020 eine Deckungslücke von 2,5 Milliarden Euro schließt. Habhafte Vorschläge gibt es bis jetzt nicht. Aber eine „Kommission für Haushalt und Verwaltungsstruktur“ hat der Ministerrat eingesetzt, und auch ein modernes Haushaltscontrolling wird eingeführt.

Dass Einsparungen nicht möglich sind, ohne dass die Landesbeamten davon betroffen sind, hat der Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) wiederholt deutlich gemacht und sich damit gellende Proteste eingehandelt. Nun schlagen die Staatssekretäre Ingo Rust (SPD) und Klaus-Peter Murawski (Grüne) vor, 10 000 Stellen im Landesdienst zu streichen, statt an den Einkünften der aktuellen Beamten zu kürzen. Im Sommer soll ein Konzept vorliegen, um den Dauerkonflikt mit den Beamten zu entschärfen. Das Geld fehlt allenthalben, vor allem im Straßenbau, wie die Bürgermeister klagen.