In seinem viereinhalbstündigen Plädoyer bezeichnet der Staatsanwalt Gerrie Nel den angeklagten Oscar Pistorius als Lügner. Der beinamputierte Sportler habe seine Freundin vorsätzlich ermordet. Beweisen kann Nel dies nicht, doch es gibt viele Indizien.

Pretoria - Der Pitbull kann nicht nur bellen, er weiß auch wohlbedachte Worte zu finden. Bei seinem Plädoyer im Prozess gegen Oscar Pistorius zeigte der Staatsanwalt Gerrie Nel im Gerichtssaal GD des Landgerichtes von Pretoria, dass er nicht nur Zeugen im Kreuzverhör auseinanderzunehmen vermag. Er kann seine Gedanken auch in eingängige bildhafte Sprache verpacken. Pistorius habe bei seiner Aussage den „Staffelstab der Wahrheit“ aufgenommen, formulierte Nel in einer für den behinderten Leichtathleten passenden Allegorie. Pistorius habe den Stab jedoch noch während des Laufs fallen gelassen.

 

Immer wieder griff der Staatsanwalt auf Bilder zurück, um die Darstellung des Angeklagten von jener schicksalhaften Nacht am 14. Februar 2013 ad absurdum zu führen. Der 27-jährige Olympionike, der seine 29-jährige Freundin Reeva Steenkamp aus Versehen erschossen haben will, habe ein „Mosaik“ geschaffen, das während des Prozesses „Steinchen um Steinchen zusammenbrach“ – bis am Schluss nur noch eine „verschmierte Leinwand“ übrig geblieben sei.   Statt sein 109-seitiges Plädoyer Wort für Wort vorzutragen, konzentrierte sich Nel in seinem viereinhalbstündigen Vortrag auf einzelne Aspekte des Verfahrens, die seiner Auffassung nach am besten illustrieren, dass Pistorius’ Version der Ereignisse nicht nur „unwahrscheinlich“, sondern schlicht „unmöglich“ sei. Nach Auffassung des Staatsanwaltes hat das gefallene Sportidol seine Freundin mit voller Absicht nach einem Streit umgebracht. Um seine Version den während des Verfahrens bekannt gewordenen Einzelheiten anzupassen, habe Pistorius seine ursprüngliche Darstellung im Zeugenstand verändert und sich immer wieder auch widersprochen. „Er war ein betrügerischer Zeuge“, so Nel.

Mehr Fragen als Antworten

Im Einzelnen konzentrierte sich der Staatsanwalt auf einen angeblichen Dialog, den Pistorius mit Steenkamp im Bett gehabt haben will und von dem während der Kautionsverhandlung vor mehr als einem Jahr keine Rede gewesen sei. Außerdem würden Fragen aufgeworfen, die Pistorius’ Version nicht beantworten können: warum Reeva angezogen und mit dem Handy auf die Toilette ging und die Tür hinter sich verschloss; warum sie nicht antwortete, als Pistorius angeblich ihren Namen rief; warum sie hinter der Tür stand und nicht auf der Toilette saß; warum sie Essensreste im Magen hatte, die darauf hindeuten, dass sie kurz vor ihrem Tod noch etwas zu sich genommen hatte – und nicht, wie Pistorius behauptet hatte, bereits um 22 Uhr schlafen gegangen war. Pistorius’ Version seien „Schneebälle von Lügen“, formulierte Nel. Es gebe keine andere Möglichkeit, als ihm vorsätzlichen Mord vorzuwerfen.

Scharf ging der Staatsanwalt auch mit mehreren Zeugen der Verteidigung ins Gericht, die trotz ihrer vermeintlichen Professionalität viel zu wünschen übrig gelassen hätten. Er habe noch nie „derartig schlechte Zeugen vor einem Landgericht“ gesehen, sagte Nel, der bereits seit mehr als 30 Jahren seinen Beruf ausübt.

Glaubt die Richterin dem Staatsanwalt?

Die Richterin Thokozile Masipa folgte dem Plädoyer mit ausdrucksloser Miene. Nichts verriet, ob sie die Darstellung des Staatsanwalts für glaubwürdig hält, sie stellte auch nur selten Verständnisfragen. Da Nel über keinen unwiderlegbaren Beweis verfügt, der Pistorius des geplanten Mordes überführen würde, hängt die Zukunft des Angeklagten davon ab, ob die Richterin tatsächlich keine „vernünftigen Zweifel“ an Nels Darstellung sieht. In diesem Fall muss Pistorius mit bis zu 25 Jahren Gefängnis rechnen.

Pistorius zeigt kaum Emotionen. Foto: AFP

Erstmals während des seit März dauernden Verfahrens war Pistorius’ Vater im Gerichtssaal. Die beiden haben ein angespanntes Verhältnis. Auch Reeva Steenkamps Vater ließ sich zum ersten Mal blicken. Er hatte in den zurückliegenden Monaten zwei Schlaganfälle erlitten. Beide Familien verfolgten Nels Plädoyer mit versteinerten Mienen. Auch Pistorius selbst gab sich Mühe, seine Anspannung zu verbergen. Auf dem Weg zur Toilette von einem Reporter nach seinem Befinden befragt, antwortete er sichtlich angeschlagen: „Alright.“ Zumindest in diesem Fall hat der Angeklagte wohl etwas geflunkert.