Für den Führerschein sind sie noch zu jung, für den Hörsaal aber nicht. Jessica Itterheim und Thorsten Hack haben ihr Studium an der Hochschule der Medien in Stuttgart mit 16 Jahren begonnen.

Stuttgart - Sie haben weder einen Führerschein noch dürfen sie einen Mietvertrag unterschreiben, einen Bürgermeister wählen oder Hochprozentiges serviert bekommen. Aber sie dürfen studieren. Jessica Itterheim und Thorsten Hack haben ihr Studium an der Hochschule der Medien (HdM) im Wintersemester bereits mit 16 Jahren begonnen. Jessica hat sich dabei unter mehr als tausend Mitbewerbern einen der 70 Bachelorplätze für Medienwirtschaft gesichert, Thorsten studiert Medieninformatik. Und die Eltern mussten dank der Änderung des baden-württembergischen Hochschulgesetzes am 14. Juli dieses Jahres nicht mal unterschreiben. Hürden gab es trotzdem.

 

„Bei der Online-Bewerbung war der Jahrgang 1995 nicht vorgesehen“, berichtet Thorsten, während er sich die gefüllten Paprika mit Nudeln und Tomatensoße in der Mensa schmecken lässt. Beworben hat er sich dennoch. „Ich habe das Formular ausgedruckt und von Hand korrigiert.“ Jessica lacht. Sie hat es genauso gemacht. Denn wenn es auch noch ein bisschen umständlich geht: auch sich einschreiben, zu Prüfungen anmelden oder exmatrikulieren dürfen sie sich als minderjährige Studierende hierzulande allein.

Wohnung bei Verwandten

Doch wie lösen sie das Wohnproblem? „Eine WG kommt nicht in Frage, weil die keine 16-Jährigen wollen“, sagt Jessica, deren Familie in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Sie ist sie bei Verwandten in Schwaikheim untergekommen und pendelt mit der S-Bahn zum Campus nach Stuttgart-Vaihingen. Auch Thorsten nutzt die S-Bahn. So kann er daheim in Kirchheim/Teck wohnen bleiben.

„Was gar nicht ging, war das Studiticket online“, sagt Thorsten. Bei der Bestellung scheiterte er wieder am Jahrgang: „1995 ging nicht. Dann hab ich 1994 reingeschrieben, aber das ging auch nicht.“ Schließlich habe er „denen“ eine Mail geschrieben, jedoch ohne Erfolg. „Obwohl ich denen gesagt habe, dass ich Jahrgang 95 bin, haben die gesagt, ich existier nicht und soll mich an die Schufa wenden“, erzählt Thorsten. Doch das tat er nicht, sondern marschierte ins Reisezentrum der Bahn und ließ sich das Ticket per EC-Karte raus.

Und nun wird kräftig studiert. Beide haben sich ihren Studienort, aber auch das Fach mit Bedacht ausgesucht. Jessica will zwar „eigentlich in die Filmbranche“ gehen, aber „nur Film“ war ihr zu riskant. „Deshalb hab ich mich für Medienwirtschaft entschieden“. Eine Bewerbung an der Filmakademie in Ludwigsburg wäre schon daran gescheitert, dass man Praktika oder Berufserfahrung hätte nachweisen müssen, sagt sie. „Aber das geht mit 16 noch nicht.“ Dass sie nun an der HdM „Dramaturgie nach Konzeption“ als Pflichtfach belegt und sich freiwillig in die Veranstaltung „Buchmarketing“ setzt, obwohl die eigentlich für höhere Semester vorgesehen sei, entspreche einfach ihren Interessen.

Denn die 16-Jährige hat mit ihrer Mutter im Sommer ein Fantasybuch „Schloss der Engel“ veröffentlicht; den ersten Teil einer Trilogie. Die beiden anderen Teile sollen nächstes Jahr erscheinen, geschrieben wird neben dem Studium. Schon in der Schule habe sie Geschichten geschrieben, wenn der Unterricht zu langweilig gewesen sei, sagt die gerade 17 Jahre gewordene Studentin, die mit fünf eingeschult worden ist und wie Thorsten eine Grundschulklasse übersprungen hat. „Ich will in die Filmproduktion“, sagt Jessica. „Wenn ich schreibe, läuft stets ein Film in meinem Kopf ab. Den möchte ich abbilden.“ Eigentlich hätte sie nach dem Abi gern eine Weltreise gemacht. „Aber mit 16 man darf ja nichts: nicht Auto fahren, nicht jobben, nicht in ein Hotel einchecken und kein Flugzeug buchen.“

Mehr Freiheit als in der Schule

Für Thorsten war früh klar, dass er etwas mit Mathematik machen würde. Auch ihn langweilte der Unterricht, die Zeit vertrieb er sich damit, seinen Taschenrechner zu programmieren. „Die Befehle hab ich mir selbst ausgedacht.“ Doch Informatik sei für ihn nicht in Frage gekommen. „Die riesigen Hörsäle, das Unpersönliche, das hat mir nicht zugesagt“, erklärt er. An der HdM gefällt ihm, dass die Studiengänge recht klein seien – und dass man ziemlich schnell jeden kennt“. Allerdings könne es im Studium „mehr zur Sache gehen“, sagt Thorsten. Zum Teil werde nur Schulstoff wiederholt.

Auch Jessica hat gedacht, „dass der Unterricht gleich losgeht und schneller in die Tiefe führt“. Stattdessen würden zunächst aber nur Grundlagen vermittelt. Dennoch genießt sie die neue Freiheit. „Man hat viel mehr Zeit als in der Schule und kann vor allem selber entscheiden, was man tut und wann man es tut. Und die Fächer sind das, was ich machen möchte.“

Partys gehören natürlich dazu. „Ich war immer dabei“, sagt Jessica. Dass sie jünger sei, falle den anderen nicht auf. Und Alkohol? „Jeder ist für sich selber verantwortlich“, sagt Jessica. Dass sie in der Einliegerwohnung erstmals selber kocht, einkauft, putzt, das gefällt ihr. „Das Selbstständigwerden und Erwachsenwerden gehört zum Studentenleben dazu.“

Eine Klasse übersprungen

Auch die HdM muss sich noch an die neue Situation gewöhnen. „Wir haben zum ersten Mal minderjährige Studierende“, sagt Mathias Hinkelmann, der Prorektor Lehre. Noch ist die Gruppe überschaubar: zwölf waren es bei den Bewerbern, vier haben sich tatsächlich eingeschrieben. Alle hätten eine Klasse übersprungen, sagt Hinkelmann. „Die Zahl der minderjährigen Studierenden wird steigen.“ Für diese habe man nicht nur einen Ansprechpartner benannt, sondern sie mit den Eltern auch zu einem Informationsabend eingeladen.

„Es ist uns wichtig, dass wir im normalen Hochschulalltag keine Unterscheidung machen“, sagt Hinkelmann. Allerdings müsse man noch überlegen, wie man das mit der Aufsichtspflicht bei mehrtägigen Exkursionen regele. Diese kommen im Sommersemester auf Jessica und Thorsten zu. Eine raschere Vertiefung der Studieninhalte sei jedoch nicht möglich, so Hinkelmann. Denn dann, so befürchtet der Prorektor, hätten bald die Studienanfänger Probleme, die vom Berufskolleg kämen.