Viele Erstsemester haben zur Feier in der Stuttgarter Liederhalle ihre Eltern mitgebracht – „als Übergang aus dem heimischen Nest“, wie es ein angehender Architekt formuliert.

Stuttgart - Für Britt Albrecht ist es Ehrensache, dass ihre Eltern und ihr Bruder zum Erstsemesterabend „Avete Academici“ der Uni Stuttgart im Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle mitgekommen sind. „Ich hab sie gefragt, ob sie mitwollen“, erklärt die 20-Jährige, die sich in Sportwissenschaft eingeschrieben hat, aus der Pforzheimer Gegend kommt und täglich pendeln will. „Ich möchte, dass meine Eltern wissen, was ich mache.“ Die Uni hat sich auf diese im Vergleich zu früher veränderte Situation eingestellt. Man muss sich offenbar daran gewöhnen, dass Eltern ihre volljährigen Kinder einschreiben und diese bei der Uni nachfragen, wen sie denn zur Erstsemesterfeier mitbringen dürfen. Noch vor einigen Jahren sei niemand auf die Idee gekommen, die Eltern zu einer Univeranstaltung mitzubringen. Man habe die Personenzahl der mitgebrachten Gäste sogar auf drei je Ersti, wie die Erstsemester genannt werden, reduzieren müssen, berichtet Claudia Berardis von der Hochschulkommunikation.

 

Ein einschneidendes Erlebnis – die Eltern sollen dabei sein

Auch eine angehende Mathe- und Biolehrerin aus Ludwigsburg wollte, dass ihre Eltern sie zu der Feier begleiten: „Es ist was Neues, ein einschneidendes Erlebnis, da möchte ich gern, dass sie dabei sind“, erklärt die 19-Jährige, die vorhat, in geraumer Zeit selbst vor einer Klasse zu stehen und Elternabende zu gestalten. Die Mutter der 19-Jährigen räumt allerdings ein: „Von selber wär ich nicht darauf gekommen. – und ich würde auch nicht auf die Idee kommen, mein Kind in die Uni zu fahren und es wieder abzuholen“, sagt sie schmunzelnd. Und der Vater berichtet, im Geschäft hätten die Kollegen schon ein wenig ungläubig geschaut, als er ihnen davon erzählt habe.

Ein angehender Architekt aus Gerlingen hat bei diesem wichtigen Ereignis ebenfalls die Mama dabei – „so als Übergang aus dem heimischen Nest“, sagt er. Doch dieses wird er, wie auch viele seiner Kommilitonen, vorerst jedenfalls nicht verlassen, sondern von daheim täglich zur Uni pendeln. Für viele spielt dabei auch der teure Wohnungsmarkt in Stuttgart eine Rolle.

Rektor empfiehlt Studienanfängern, Netzwerke zu schaffen

Unirektor Wolfram Ressel begrüßt neben den „lieben Studierenden“ als zweites die „lieben Eltern“ und gratuliert beiden zur fabelhaften Wahl des Studienortes. Dass es diesmal mehr als 5500 Studienanfänger sind, finde er „sehr verblüffend, weil der doppelte Abijahrgang schon durch ist“ – damals seien es knapp 5000 Erstsemester gewesen. Doch trotz dieses Ansturms – „unsere Studienplätze sind eben heiß begehrt“ – und der Gesamtzahl von fast 27 000 Studierenden verspricht Ressel den Erstis „gute Rahmenbedingungen für Ihr Studium“. In der Mehrzahl sind es Studierende der Luft-und Raumfahrttechnik, gefolgt von Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Architektur und Stadtplanung sowie Fahrzeug- und Motorentechnik. Aber auch Geschichtslehrer am Gymnasium wollen etliche werden. Ihnen allen ruft er zu: „Wir werden Sie unterstützen“ – mit Mintkolleg und Schreibwerkstatt könnten eventuelle Lücken geschlossen werden. Das wird auch die Eltern freuen. Zugleich empfiehlt der Rektor den Studienanfängern, sich neue Netzwerke zu schaffen – durch die Mitarbeit in den Fachschaften oder in den studentischen Gruppen.

Bürgermeister rät: Mischen Sie sich ein

Dann wirbt Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) für die grüne Stadt, meint das durchaus doppeldeutig und räumt Nachholbedarf beim bezahlbaren Wohnraum ein. Er lobt das vielfältige Angebot der Uni, das nur deshalb so vielfältig geblieben sei, weil sich viele eingemischt hätten. „Wir sind die Hauptstadt der Demonstrationen – einmischen lohnt sich, mischen Sie sich ein“, rät er seinen Zuhörern und meint wohl die Neustudenten. Zwei Studierendenvertreter raten denen: „Nutzt die Freiräume, geht euren eigenen Weg.“ Zunächst allerdings marschieren Nachwuchs und Eltern ins Foyer und lassen sich gemeinsam über die vielen Angebote für Studierende beraten. Wie viele Eltern anschließend zur Erstiparty auf den Campus mitkommen, ist nicht überliefert.