Gewerkschaft und Wirtschaft streiten über die Folgen des Arbeitsmarktes für Altersarmut. Immer mehr Rentner sind erwerbstätig – oftmals aber nicht wegen finanzieller Nöte.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Im Bundestagswahlkampf gewinnt die Frage nach der Altersarmut an Gewicht. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherung sind bundesweit fast 2,8 Millionen Vollzeitbeschäftigte nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht. Demnach verdienen 13 Prozent der Vollzeitbeschäftigten weniger als 2050 Euro brutto im Monat – allein in Stuttgart betreffe dies 6,5 Prozent oder 19 000 Beschäftigte.

 

Paradebeispiel Hotel- und Gaststättengewerbe

Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe gebe es wegen der Tarifflucht, so die NGG, Nachholbedarf, um die Einkommen armutsfest zu machen. Laut der Bundesagentur für Arbeit erhielten 267 000 von 476 000 Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe weniger als 60 Prozent des bundesweit mittleren Monatseinkommens von 3427 Euro. Im Südwesten würden 31 700 von 60 100 Vollzeitbeschäftigten diese Schwelle nicht erreichen.

Armutsgefährdungsquote im Alter wächst

Nach Angaben der Bundesregierung gegenüber der Linksfraktion im Bundestag steigt die Armutsgefährdungsquote im Alter stetig an. Demnach waren 2005 noch 11,0 Prozent der mindestens 65-Jährigen davon betroffen (8,7 Prozent der Männer, 12,7 Prozent der Frauen). Bis 2019 kletterte der Anteil auf 15,7 Prozent (13,5 und 17,4) an. Die Armutsgefährdungsquote ist der Anteil der Menschen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Werts (Median) in der Bevölkerung beträgt.

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Gemessen am Bundesmedian ist die Quote im Südwesten niedriger als im Bundesdurchschnitt. Legt man allerdings den Landesmedian zugrunde, ist der Anteil der mindestens 65-Jährigen, die von Armut bedroht sind, größer: Betroffen sind dann jede fünfte Frau (20,3 Prozent) und mehr als jeder sechste Mann (15,5) – insgesamt 18,2 Prozent.

Viele Menschen im Rentenalter verdienen weiter Geld

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat sich mit der steigenden Zahl von Menschen befasst, die im Rentenalter erwerbstätig sind. Der Analyse zufolge seien 2019 schon 1,3 Millionen Menschen oder 7,8 Prozent der über 64-Jährigen einer Tätigkeit nachgegangen. Dies sei auf die Anhebung der Regelaltersgrenze und die erhöhte Erwerbsneigung der Älteren zurückzuführen.

Die Hälfte der erwerbstätigen Rentner verdiene höchstens 450 Euro brutto, liege also im Bereich von Minijobs. Ein Viertel verdiene mehr als 1800 Euro, die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher erzielen 4200 Euro oder mehr. Der Durchschnitt der Verdienste liegt bei 1574 Euro. Wenn die These stimmen würde, dass Rentner eine Erwerbstätigkeit vor allem wegen existenzieller Nöte ausüben, müsste die Rente der Erwerbstätigen als vorrangige Einkommensquelle unterdurchschnittlich sein, so das IW. Tatsächlich sei bei der Rentenhöhe zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen kein Unterschied erkennbar. „Das Bild des armen Rentners, der aus Not in die Arbeit getrieben wird, kann empirisch nicht bestätigt werden“, sagt Studienautor Holger Schäfer.