Erwin Staudt blickt ein halbes Jahr nach dem Aus entspannt auf seine VfB-Präsidentschaft zurück. Er findet, seine VfB-Ära sei gerecht bewertet worden.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - An den Abend des 5. Februar 2011, an diesen "ekelhaft kalten und windigen Wintertag", wird sich Erwin Staudt zeitlebens erinnern. Damals ist er im Borussenpark von Mönchengladbach gegen 19.15 Uhr mit seinem Bruder nur kurz in den wärmenden VIP-Raum gegangen. "Er hat dort mehrfach zu mir gesagt: ,Iss doch was!' Aber ich konnte nicht", erzählt Erwin Staudt. Denn sein VfB lag zur Pause mit 0:2 zurück - und war virtuelles Schlusslicht der Fußball-Bundesliga. "Es war der absolute Tiefpunkt meiner Amtszeit", sagt Erwin Staudt, "da hab ich gedacht: Jetzt gehen bei uns die Lichter aus!"

 

Am Ende ist alles doch noch gutgegangen. Der VfB hat das Spiel in Mönchengladbach umgebogen, 3:2 gewonnen - und ist am Saisonende nicht wie befürchtet zum zweiten Mal in seiner Geschichte aus der Bundesliga abgestiegen, was für Staudt "ein ganz großes Trauma" gewesen wäre.

Staudt kümmert sich ums Ehrenamt

Ein knappes halbes Jahr nach dem Ende seiner Präsidentenamtszeit im Juli sitzt der Mann, der Württembergs mitgliederstärksten und populärsten Sportverein zwischen 2003 und 2011 acht Jahre lang geführt hat, deshalb entspannt vor einem großen Apfelsaftschorle im Restaurant des Theaterhauses Stuttgart.

Inzwischen kümmert sich der 63-Jährige neben einigen Aufsichtsrats- und Beiratsposten auch verstärkt um das Ehrenamt. Am Abend steht die Premiere des Stückes "Die zwölf Geschworenen" an. Doch zuvor muss Staudt, der dem Kuratorium des Ensembletheaters im Stuttgarter Norden angehört, noch seiner Aufsichtspflicht nachkommen - und wird unter anderem über die Mittelverwendung und das geplante Bühnenprogramm wachen.

Zum VfB geht er immernoch

Erwin Staudt ist in den vergangenen Wochen zu einem IT-Kongress nach Washington gereist und hat an der Seite seiner Ehefrau Vilja die Biennale in Venedig besucht, um zu erforschen, "was die Künstler dieser Welt über diese Welt denken". Zum VfB geht er natürlich immer noch - wenn er es auch bisher nur zu den Heimspielen geschafft hat. "Ich bin emotional überhaupt nicht weg", sagt der Familienvater, dessen drei Kinder längst aus dem Haus sind. "Im Gegenteil: ich bin weiter mit dem ganzen Herzen dabei, aber doch komplett anders." Alles sei sehr viel entspannter, "weil ich nicht mehr in der Verantwortung stehe und nach Niederlagen nicht mehr die schlechte Stimmung abfedern muss".

Der Platz in der zweiten Reihe gefällt Erwin Staudt daher ausgezeichnet. Das öffentliche Urteil sei gefällt, die Bilanz seiner Amtszeit sei ohnehin schon längst gezogen. Erwin Staudt findet, seine Ära beim VfB sei alles in allem gerecht bewertet worden. "Wer die Mercedesstraße entlangfährt, der kann links sehen, was den VfB ausmacht", sagt der Ex-Präsident, der das Carl-Benz-Center, die Jugendakademie, die VfB-Rehawelt, das Fanzentrum, den Umbau des Clubhauses mit neuem Kabinentrakt inklusive der Rasenheizung und nicht zuletzt das neue Stadion auf seiner Habenseite verbucht.

Kapitel beendet

"Was wir unter meiner Führung als Team beim VfB gemacht haben, das war erste Sahne", sagt Staudt, um gleich einem weit verbreiteten Vorwurf entgegenzutreten: "Das Stadion hat überhaupt keinen Einfluss auf das laufende Geschäft. Das ist finanziert." Die aktuellen finanziellen Engpässe beim VfB seien derweil allein eine Folge des Umstandes, dass man diesmal nicht im internationalen Geschäft dabei sei. "Da entsteht dann eine Lücke. Das ist logisch."

Den Schlussstrich nach seinem letzten, "dem Seuchenjahr", hat Erwin Staudt bewusst gezogen. In jedem Vereinsleben, das sagt er ganz nüchtern, gebe es nun einmal Kapitel, die von bestimmten Personen geprägt werden. Seines sei nun beendet - nach acht Jahren mit sieben Teilnahmen im Europapokal, einer Deutschen Meisterschaft und einem DFB-Pokalfinale.


"Es ist auch gut für die VfB-Mitarbeiter", sagt Erwin Staudt, "dass ich in Gerd Mäuser einen Nachfolger habe, der die Dinge offensichtlich anders angeht." Doch auch Staudt, der ehemalige IBM-Deutschlandchef und Workaholic, der gerne in großen Dimensionen denkt, hat in den vergangenen Monaten einiges neu lernen müssen. Seinen PC und den Wireless-Internetanschluss hat ihm seine Frau installiert ("Obwohl die der Meinung war, dass ich das nach 30 Jahren im Computergeschäft eigentlich selbst draufhaben müsste"); ein Hotelzimmer oder ein Flugticket kann der 63-Jährige inzwischen eigenständig buchen.

"Dafür hatte ich ja sonst immer meine Mitarbeiter", sagt er fast entschuldigend. Doch stolz ist Erwin Staudt, der demnächst Großvater von drei Enkeln sein wird, vor allem darauf, dass es in seinem Leben weiterhin keine Leere gibt.

Leben folgt klaren Strukturen

"Ich hatte nie Probleme damit, mich zu beschäftigen", sagt er. Inzwischen habe er sich sogar, gegen innere Widerstände zwar, erfolgreich klarmachen können, dass "auch ich das Recht habe, mal gar nichts zu tun. Also lege ich mich auch tagsüber mal hin - und döse ein wenig." Früher, da sei das undenkbar gewesen. Aber auch heute folgt Staudts Leben weiter klaren Strukturen. Fast täglich joggt der gebürtige Leonberger morgens um sieben Uhr um den Stuttgarter Bärensee.

Dann genießt Staudt dort auch die Ruhe. Fernab der "unangenehmen Leute", die er vor allem in seiner letzten Saison zuhauf kennenlernen musste. Darunter waren sehr viele VfB-Fanatiker, die unter dem Fußball nicht dasselbe verstehen wie er. "Für mich ist das ein wunderschönes Spiel", erzählt Erwin Staudt, "aber für einige andere ist es der ganze Lebensinhalt. Die packen da sämtliche Emotionen rein, von Liebe bis Hass - und Hass gehört nicht zum Fußball." Einige E-Mails, auch das gehört zum VfB-Präsidentenjob in Krisenzeiten, hat Staudt daher gleich an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Trompeter mit Entertainerqualitäten

"Wenn das letzte Jahr ein sportlich überragendes gewesen wäre, wäre ich in meiner Entscheidung aufzuhören wackelig geworden", erzählt der Mann, der am 4. August nach Dr. Fritz Walter und Gerhard Mayer-Vorfelder der dritte Ehrenpräsident des VfB wurde. "Aber so fiel es mir leicht, denn ich bin nicht derjenige, an dem alles abprallt."

VfB-Präsident, dieses Amt würde der einstige Linksaußen des Leonberger Stadtteilclubs TSV Eltingen rückblickend aber jederzeit wieder übernehmen. Es sei zwar nicht immer ein Traumjob, aber doch eine sehr schöne Aufgabe. "Ich bin keiner fürs Hinterzimmer, sondern einer für das Schaufenster", das hat Erwin Staudt, der passionierte Trompeter mit den Entertainerqualitäten, einmal über sich gesagt. Dass er inzwischen Gefallen an seinem neuen Leben in der zweite Reihe gefunden hat, klingt dennoch glaubhaft. Seine Heimatverbundenheit kommt dem einstigen Spitzenmanager, der in Berlin, Paris und New York gearbeitet hat, dabei zugute. "Ich war der IBM-Chef und der VfB-Präsident", sagt Staudt, "aber für die Leute in Leonberg war ich immer der Erwin."