Die letzten Texte des US-Autors F. Scott Fitzgerald wollte zu seinen Lebzeiten kaum jemand drucken – ein Fehler, wie der soeben erschienene Erzählband „Für dich würde ich sterben“ beweist.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - „Man bringt mich immer noch mit einem besonderen Faible für junge Frauen in Verbindung. Ich weiß, was von mir erwartet wird, aber der Brunnen ist am Versiegen und ich halte es für klüger, ihn nicht weiter auszuschöpfen. “ So formuliert der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald 1939, ein Jahr vor seinem Tod, gegenüber einem Zeitschriften-Redakteur sein Dilemma.

 

Jahrelang haben er und seine Frau Zelda, gerade mal Anfang Zwanzig, mit Short Storys über eben jene jungen Frauen (und Männer) eine Menge Geld verdient. Geld, das sie fluchs in Champagner und Aufenthalte an der Riviera investierten. Jetzt fällt ihm immer schwerer, das Lebensgefühl der 1920er zu feiern, die Exzesse einer verlorenen Generation zu protokollieren, wieder und wieder über flatterhafte Figuren zu schreiben, deren einzige Sorge zu sein scheint, bei einem Ball mehr als einen Foxtrott mit ein und der selben Person tanzen zu müssen.

Schauspielerinnen mit leinwandfest rosigen Wangen

Aber seine neuen Geschichten über Selbstmorde, Landstreicher oder Folterungen während des amerikanischen Bürgerkriegs passen nicht in die Fitzgerald-Schublade. Zudem sind Exzentrik und Alkoholismus allenfalls bei jungen strahlenden Paaren von zweifelhaftem Glamour, nicht aber bei einem Autor in den Vierzigern, der als Drehbuchautor in Hollywood arbeitet und dessen Frau die meiste Zeit in psychiatrischen Anstalten verbringen muss. Fitzgerald ist nicht mehr in Mode und steht im Ruf, nicht mehr schreiben zu können.

Der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe hat sich die Rechte an denverschmähten Texten gesichert. 14 noch nie in Buchform gedruckte Geschichten und Filmexposés – samt ausführlichem Nachwort und Erläuterungen – erscheinen jetzt unter dem Titel „Für dich würde ich sterben“ (491 Seiten, 25 Euro) gleichzeitig in einem Dutzend Länder und sogar noch einige Tage bevor sie im englischen Original veröffentlicht werden. Allerdings ist es nicht so, dass man keine späten Texte von Fitzgerald gelesen hätte – denkt man etwa an die „Pat Hobby Stories“ über einen englisch-irischen Drehbuchschreiber in Hollywood, die Harry Rowohlt für den Diogenes-Verlag übersetzt hat. Dennoch: „Für dich würde ich sterben“ ist ein Fund. Ein Glück. Und natürlich begegnen einem nicht nur in der Titelgeschichte „Für dich möchte ich sterben“ immer noch flirrende, vor lauter Lebenshunger zu Tode erschöpfte Gestalten, Schauspielerinnen die „leinwandfest rosige Wangen und seelenruhig verheißungsvolle Schlafzimmeraugen besitzen, die man aus Romanen wie „Der große Gatsby“ kennt.

F. Scott Fitzgerald schreibt mit mitleidloser Lakonie

Die Geschichten sind aber sarkastischer, dunkler. „Ihr Herz war leer und sie zahlte mit wertloser Währung“: Mit mitleidloser Lakonie wird in „Abseits“ vermerkt, wenn eine junge Dame ihren ersten Herzschmerz erleidet und danach teilnahmslos neue Liebschaften eingeht. Und Fitzgerald neigt mehr noch als in frühen Texten zum hibbelig Exaltierten: „Liebe kostet Nerven“, einer Art Agentenstory, handelt von einem hübschen Mädchen mit einem wohlhabenden Großvater, das eine Granate in einer Tasche findet. In „Die große Frage“ soll sich ein junger Arzt um eine hypochondrische reiche Frau kümmern, hat dann aber mit einem Jungen zu schaffen, der zu viele Gangsterfilme gesehen hat. In „Gracie auf See“ erhält ein Werbefachmann, der seinen Job eigentlich aufgeben will, den Auftrag, eine täppische reiche junge Dame heiratswilligen Herren anzupreisen.

Geschenkt, dass das Happy End ebenso voraussehbar ist wie in „Das Ehepaar“. Zwei Leute, die sich ein Jahr lang die Hölle heißgemacht haben und sich trennen wollen, finden im Kampf gegen ein Butler-Ehepaar wieder zueinander. Ein brillanter komischer Text mit Porträtpreziosen selbst die Haustiere betreffend – „Twine war ein winziger Pudel mit spärlicher Behaarung und den Augen eines schweren Trinkers“ – und mit hinreißenden Aphorismen über Paare, die nie in der Öffentlichkeit streiten: „Das sind die gefährlichsten Partnerschaften“, bemerkte Barker, „das bedeutet nämlich, dass sie zu Hause streiten, Und das ist ein Laster wie heimliches Trinken.“

Tohuwabohu wie bei Franz Kafka

Texte wie „Die Frauen im Haus“ spiegeln im Ton den „verzweifeltem Übermut“ ihrer Helden. In der in einer Hollywood-Villa spielenden Verwechslungsgeschichte geht es drunter und drüber. Ein bizarres Tohuwabohu wie bei Franz Kafka samt herausgerissener Treppenstäbe, sich in Hausflur drängender Leute, Geschrei, Hysterie. „Es war wie in einem dieser unerfreulichen Albträume, in denen man staunend und schaudernd Zähne aus seinem Mund holt“.

So sehr der Erzähler mit dem lapidaren „unerfreulich“ vor dem Wort Albtraum eine distanzierende Ironie herstellen mag, ahnt man doch, das von schriller Lustigkeit überdeckte Taumeln des Helden ist von erschreckender Haltlosigkeit. 1939 ist die Geschichte entstanden, man mag nicht daran denken, was von dem Schriftsteller noch zu erwarten gewesen wäre. F. Scott Fitzgerald aber, der Alkoholiker und große Autor, starb ein Jahr später, mit 44 Jahren am 21. Dezember 1940 in Hollywood, an einem Ort, der für ihn eher Trauma- als Traumfabrik war.

Chronist der goldenen Zwanziger

Auch wenn dies einer der letzten Textbeweise dafür ist, dass der Autor gut daran getan hatte, sich nicht mehr nur auf junge Liebe zu kaprizieren, wird er der Autor der goldenen Zwanziger bleiben, die so golden ja nie waren. In „Auszeit von der Liebe“ ist es nachzulesen, Mary „trug einen Gürtel mit ausgestanzten Sternen, sodass die Sterne vorhanden und doch nicht vorhanden waren“. Sie stimmen ihren Geliebten melancholisch: „Für einen Augenblick wünschte er, er wäre weniger erfolgreich und Mary wäre nicht so begehrenswert, wünschte, sie wären beide ein wenig unglücklich und müssten sich aneinander festhalten. Den ganzen Abend über stimmte es ihn etwas traurig, die nicht greifbaren Sterne zu sehen.“ Einige dieser Sterne immerhin sind nun, zwischen zwei Buchdeckel gepresst, zu bestaunen.

Noch eine Literatursensation: Texte von Fitzgeralds Gattin

Noch mehr Lust auf Neuentdeckungen? Der Manesse-Verlag hat „Himbeeren mit Sahne im Ritz“ (24,95 Euro) herausgegeben – unter dem Namen Zelda Fitzgerald. Denn viele Erzählungen, die unter dem Namen von F. Scott Fitzgerald erschienen, wurden von Zelda geschrieben. Die Texte zeigen, was auch der Lektor in einer neuen Fernsehserie über Zelda Fitzgerald sagt: Die Frau hat etwas zu sagen.

Dem glamourösen Paar Zelda und F. Scott Fitzgerald widmet sich zudem eine Fernsehserie, die von Amazon produziert wird – „Z – wie alles begann“ ist auch auf Deutsch zu sehen. In einer Szene sieht man der jungen Frau, gespielt von Christina Ricci, bei einem auch im Wortsinn haarsträubenden Vorgng zu: Sie hat ihr sorgfältig zusammengebundenes Haar gelöst, sich kurz geschüttelt wie eine von Wasser bespritzte Katze, ein Schere genommen und das lange Haar abgeschnitten. Die Toilettenaufseherin in dem feinen Etablissement bekommt einen Schreck, doch die junge Frau fragt nur, wo sie jetzt einen guten Friseur finden könne. Eine markante Szene in dem jüngsten filmischen Werk, das sich Zelda Sayre Fitzgerald (1900-1948) widmet, der Ehefrau von F. Scott Fitzgerald (1896-1940).

Viele Biografien sind über das literarische Glamourpaar erschienen, geplant ist auch ein Film über die Frau mit Jennifer Lawrence als Zelda, die 1948 in einer Klinik verbrannte, nachdem sie sich die Nerven im Zusammenleben mit ihrem Gatten ruiniert hatte.

Die Szene mit den Haaren markiert den Moment, in dem Zelda sich selbst erfindet. Sie ist kurz zuvor aus Montgomery, Alabama, nach New York gekommen, um den literarischen Shootingstar F. Scott Fitzgerald zu heiraten. Doch er schämt sich hier für ihre Südstaatenzuckrigkeit mit vielen Rüschen und Schleifen und schickt sie zum Einkaufen. Eine erste Demütigung von vielen. Sie beklagt sich nicht, doch wie alle anderen in strengem Schwarz umhergehen, das kommt nicht in Frage. Also trägt sie fortan Bubikopffrisur und halbdurchsichtige Kleider und wird zu einer amerikanischen Ikone der zwanziger Jahre.

Christina Ricci spielt Zelda Fitzgerald

Christina Ricci hat die Serie mitproduziert, verständlich, dass sie sich die Hauptrolle gesichert hat. Dass sie der schmaläugigen Zelda wenig ähnelt, stört nicht, denn es geht ja um die Aura der Figur und Ricci hat

schon früh Figuren verkörpert, die eigenwillig und wie aus der Welt gefallen scheinen, in Barry Sonnenfelds „Addams Family“ oder Tim Burtons„Sleepy Hollow“.

Sie hat kein „Hochglanzgesicht“, eine Bezeichnung puppenhaft langweiliger Mädchen, die Zelda Fitzgerald in einer ihren Erzählungen verwendet, die in dem Buch „Himbeeren mit Sahne im Ritz“ versammelt sind. Eigentlich ist Ricci also eine passende Besetzung, allerdings eher für die nächsten Staffeln, sollten noch welche gedreht werden. Staffel eins beschränkt sich auf die Zeit von 1918 bis 1921. Zu Beginn ist Zelda also süße 18 Jahre, mehr als doppelt so alt ist Christina Ricci. Zumindest in den ersten Folgen merkt man Ricci und den Kameraleuten an, wie sorgsam sie darum bemüht sind, jegliche Alterspuren durch geschickte Beleuchtung zu tilgen (wobei sie mutig genug oft auf Nahaufnahmen setzen). Dennoch wirkt das unglücklich, weil die Figur selber so von ihrer Jugend besessen ist und nichts will, als ewig jung bleiben, wie sie sagt. Ricci zeichnet Zelda zunächst als affektiertes Gör, reichlich manieriert den Südstaatendialekt zelebrierend. Eine Provinzprinzessin, die aber auch sehr ehrgeizig ist. Bevor F. Scott nicht seinen ersten Roman beendet und veröffentlicht hat, will sie ihn nicht heiraten. Bei aller Exzentrik und Wildheit kann sich Zelda außerdem nie ganz von dem konservativen Big Daddy lösen.

Öffentlich zelebrierte Exzesse

Der ist im übrigen mit David Stathaim deutlich attraktiver besetzt als F. Scott Fitzgerald. Der wird von David Hoflin als unsicherer Typ interpretiert, der ohne die kapriziöse und fordernde Zelda wohl nie mit seinem Roman fertig geworden wäre. In der Beziehung zwischen Scott und Zelda folgt die Serie also dem Urteil der meisten Biografen, dass nämlich Fitzgerald seine begabte Ehefrau unterdrückt hat und sich von ihren Aufzeichnungen nicht nur inspirieren ließ, sondern die Veröffentlichung ihrer Texte verhinderte – in der Serie betont er gerne, dass die von ihr geschriebenen Geschichten mehr Geld einbrächten, wenn sie unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Da die beiden ein extrem verschwenderisches Leben führten ein schlagendes Argument. Man sieht allerdings auch oft, wie Zelda einfach nichts macht. Und dies, während andere – bis in die kleinsten Nebenrollen fein besetzte – Damen durchaus Karriere als bildende Künstlerinnen, Dichterinnen oder Schauspielerinnen machen. Abgesehen von dieser leisen Kritik feiert die kostümschwelgerische, mit dunklem Glanz gefilmte Serie sehr romantisch die Liebe und zeigt sich dabei ein bisschen naiv. Wie viel Eigenwerbung und Berechnung in dieser Liaison und den öffentlich zelebrierten Exzessen steckte, bleibt außen vor. Liest man die Geschichten von Zelda Fitzgerald über Paare, die „wie mit einem sanften Goldbraun bestäubt“ durch die Welt gehen, aber innerlich hohl sind, merkt man wie viel schärfer der Blick auf dieses berühmte Paar hätte ausfallen können.