Erziehung Wenn Kinder zu Dieben werden

Was ist das? Kann ich das gebrauchen? Kinder müssen erst lernen, dass es Mein und Dein gibt. Sowohl in der Familie als auch in einem Laden.Foto: Adobe Stock/Viktor Osipenko Foto:  

Warum Klauen in der kindlichen Entwicklung dazugehören kann und wie Eltern richtig darauf reagieren.

„Das war meine Schokolade du verfressener Dieb!“ Die große Schwester brüllt, der kleine Bruder heult. Auf frischer Tat ertappt sitzt der Dreijährige mit schokoladenverschmiertem Gesicht im Zimmer seiner Schwester. Und sagt: „Ich war das nicht!“ Die Zehnjährige ist fassungslos. „Jetzt lügt der auch noch.“

 

Doch so einfach ist das mit dem Klauen und Lügen bei Kindern nicht. „Wenn kleine Kinder merken, dass sie etwas getan haben, was nicht auf Begeisterung stößt, dann wollen sie das auch um keinen Preis gewesen sein und glauben dann auch, dass es so war“, sagt die Erziehungsberaterin Eva Kessler, die auch mehrere Ratgeber geschrieben hat (unter anderem „Von der Kunst, liebevoll zu erziehen. Sinnvoll Grenzen setzen und gute Laune bewahren“, C. H. Beck-Verlag).

Und die Sache mit dem Eigentum müssen sie auch erst lernen. „Wir sind in Europa sehr besitzorientiert, weshalb Klauen eine Straftat ist und moralisch stark verurteilt wird“, sagt Eva Kessler. Solche gesellschaftlichen Werte verstehen Kinder aber erst nach und nach und lernen sie auch durch Versuch und Irrtum und durch Überschreiten von Grenzen. „Und gerade im familiären Umfeld ist es ja auch sehr schwer zu begreifen, dass es Dinge gibt, die allen gehören, und Dinge, die nur für ein Familienmitglied bestimmt sind“, sagt Eva Kessler.

Dazu kommt die fehlende Selbstkontrolle von Kindergartenkindern. Sehen sie etwas, das ihnen gefällt, wie ein Spielzeugauto, ein Schmuckstück oder eben eine Schokoladentafel, müsse sie es einfach haben.

Kinder entdecken ständig Dinge, die sie gebrauchen können

„Kinder sind kleine Forscher, die überall Dinge entdecken, die sie gebrauchen können. Deshalb ist Stehlen ein Bestandselement der kindlichen Entwicklung“, sagt Barbara Neuhold, Psychologin aus Hamburg. Sich in die Gefühle der Person hineinzuversetzen, der man etwas weggenommen hat, das lernt ein Kindergartenkind erst langsam.

„Sie sehen im Moment der Tat nur sich selbst und ihr sehr großes Verlangen, etwas haben zu wollen“, so Neuhold. Man könne aber versuchen, ihnen mit viel Verständnis und vielleicht in einem Rollenspiel zu zeigen, welche Gefühle beim Beklauten entstehen, wenn ihm beispielsweise der geliebte Teddy fehlt.

Das Verlangen, etwas unbedingt haben zu wollen, dem man manchmal nicht widerstehen kann, begleitet Kinder ihre ganze Kindheit über. Es erklärt, warum nicht nur kleine Kinder, sondern auch Grundschüler und Jugendliche hin und wieder stehlen. Auch wenn es dann etwas komplizierter wird, weil ältere Kinder die moralischen Werte kennen und auch wissen, dass sie jemand traurig machen, enttäuschen oder verärgern, wenn sie etwas wegnehmen. „Aber Grundschüler entwickeln auch immer bessere kognitive Fähigkeiten und das bedeutet: sie können gut tricksen, Geschichten erzählen und bewusst lügen, um einen Diebstahl zu vertuschen“, sagt Neuhold.

Buhlen um Aufmerksamkeit?

Ab dem Grundschulalter kann Stehlen aber auch ein Zeichen dafür sein, dass im Beziehungsgefüge der Familie etwas nicht stimmt. „Kinder klauen manchmal, um zu zeigen, dass ihnen etwas fehlt“, sagt Eva Kessler. Bei einem Geschwisterkind kann das zum Beispiel zu wenig Aufmerksamkeit sein – Stehlen ist dann der Versuch, auch mal im Mittelpunkt zu stehen. „In Trennungsfamilien nutzen Kinder klauen auch als Versuch, die Eltern wieder zusammen zu bringen.“

Bei Jugendlichen kommt das Stehlen häufig dann vor, wenn das Verhältnis zu den Eltern ohnehin schon belastet ist. „Die Jugendlichen wissen ja, dass sie die Eltern mit dem Verhalten enttäuschen. Wer ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat und mit seinen Bedürfnissen gesehen wird, riskiert das eher ungern“, sagt Eva Kessler.

Trotzdem kann es auch dann vorkommen, dass Jugendliche klauen – auch mal das Geld ihrer Eltern. „In dem Alter haben einfach sehr viele das Gefühl, nur dazuzugehören, wenn sie bestimmte materielle Dinge haben“, erklärt Barbara Neuhold. Eltern könnten nur versuchen, den Kindern frühzeitig zu vermitteln, dass ihre Wertigkeit von ganz anderen Dingen abhängt und ihr Selbstwertgefühl stärken.

„Zu strafen bringt nie etwas“

„Wenn es trotzdem passiert, dürfen Eltern nicht vergessen, dass die Kindheit eben 18 Jahre lang andauert und auch dazu da ist, mal Scheiße zu bauen und Begehrlichkeiten nicht immer unterdrückt werden können“, sagt Eva Kessler. Oft reiche gerade im familiären Umfeld ohnehin ein enttäuschter Blick, um den Kindern zu zeigen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung war.

„Was eigentlich nie etwas bringt, ist autoritär sein und die Kinder bestrafen, wenn sie geklaut haben“, meint Psychologin Neuhold. Manche würden zwar danach nie wieder etwas stehlen – aber aus Angst vor der Strafe und nicht, weil sie es moralisch verstanden haben. „Viele klauen trotzdem weiter, werden aber eben noch geschickter darin nicht entdeckt zu werden und beim Lügen“, sagt Barbara Neuhold.

Die Psychologin empfiehlt, ein offenes und empathisches Gespräch, um herauszufinden, warum geklaut wurde – und sich dann gemeinsam Wege zu überlegen, wie man das künftig vielleicht besser lösen könnte.

Erziehungsberaterin Eva Kessler weist darauf hin, dass man bei Kindern ab einem Alter von etwa 10 Jahren ohnehin besser zusammen mit den Kindern Lösungen sucht. „Hier finde ich einen Familienrat ein tolles Instrument, um solche Themen zu besprechen“, rät Eva Kessler. „Ziel sollte es immer sein, die Familie als Team zu sehen, in der jeder seinen Platz hat und gesehen und gehört wird.“

Was schon kleine Kinder lernen können, ist, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. „Für ein Kindergartenkind reicht es, dabei zu sein, wenn die Eltern geklaute Dinge zurückgeben und sich entschuldigen“, sagt Barbara Neuhold. Ältere Kinder dagegen seien selbst in der Lage, sich Wege zu überlegen, einen Diebstahl wieder in Ordnung zu bringen.

Die rechtliche Seite

Das Jugendstrafgesetz
behandelt Diebstahlsdelikte bei Kindern oder Jugendlichen in Abhängigkeit von der Schwere des Diebstahls und des Alters. Bei Diebstählen, die zur Anzeige kommen, wird das Jugendamt informiert, das sich dann mit den Eltern in Verbindung setzt – und als erste Maßnahme meist beratend zur Seite steht. Kinder unter 14 Jahren sind noch nicht strafmündig. Kinder ab 14 Jahren können rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Strafen
Kommt es zu einer Verhandlung mit abschließender Verurteilung, dann werden meist Arbeitsstunden im sozialen Bereich verhängt. Allerdings ist dies meist erst dann der Fall, wenn es sich um Wiederholungstaten handelt. Wird ein Kind zum ersten Mal erwischt, bleibt es meist bei einer Verwarnung, es sei denn, es geht um ein schweres Diebstahlsdelikt. Bei wiederholtem Diebstahl sind Jugendarrest oder eine Jugendstrafe möglich.

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