Der österreichische Popsänger Thomas Neuwirth will mit seiner Kunstfigur Conchita Wurst gegen Homophobie protestieren. Am Samstagabend gewinnt der Österreicher damit den ESC in Kopenhagen. Tim Schleider erklärt Neuwirths Konzept.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Conchita Wurst trägt einen Bart. Thomas Neuwirth dagegen trägt keinen. Der 25-jährige junge Popsänger mit Wohnsitz in Wien ist in der Provinz aufgewachsen, in Bad Mittendorf in der Steiermark. Zwei Dinge prägten seine Jugend: ein starkes musikalisches Talent und sein schwules Coming-Out im Alter von 14. Das Talent machte ihn 2006 zum Publikumsliebling der Castingshow „Starmania“ im österreichischen Fernsehen ORF. Seine Homosexualität ließ ihn 2011 eine Kunstfigur erfinden: Conchita Wurst. Und das ist mehr als ein Travestienummer. Es ist auch ein politisches Konzept.

 

Wer im Internet die Webseite von Conchita Wurst aufruft, wird von den zwei Schlagworten „About“ und „Tolerance“ empfangen. „Mir fiel es nicht leicht, in der Schule mit meinem Schwulsein zu bestehen“, erklärt Neuwirth sein Programm. „Deswegen will ich mit meinem Auftreten Menschen zum Nachdenken über sexuelle Orientierung und das Anderssein anregen“. Sein Wunsch: Jugendliche sollen es in ihrer Orientierungsphase leichter haben als er selbst, „egal, aus welchem Grund sie anders sind“. Deswegen die Entscheidung zum Vollbart: es ist eine bewusste Verfremdung, um nicht in die Falle der von vornherein beliebten und heimlich doch begehrten Grande Dame zu tappen. Und deswegen auch der komische Nachname Wurst, „weil es eben wurscht ist, woher man kommt und wie man aussieht.“

Kunstfigur mit Biografie

Neuwirth hat seiner Kunstfigur eine komplette Biografie geschrieben – mit Geburt „in den Bergen von Kolumbien“, einer Kindheit in Deutschland und zwei großen Lebenszielen: dem Gewinn eines Grammys und dem Sieg beim Eurovision Song Contest. Seit zwei Jahren arbeitet Conchita Wurst auf dieses Ziel hin, durchlebt und durchleidet PR-Auftritte im Trash-TV („Die härtesten Jobs Österreichs“, „Wild Girls“). Mit dem Grammy wird es vielleicht noch etwas dauern. Aber mit dem Auftritt und dem Sieg bei ESC hat es nun geklappt: „Es gibt einfach kein besseres Forum, um in Europa gegen Ausgrenzung und Homophobie zu demonstrieren. Die Menschen sollen sehen, wer wir sind und für was wir stehen.“

Nachdem der ORF im vergangenen Herbst bekannt gegeben hatte, Conchita Wurst zum Song Contest nach Kopenhagen zu schicken, hagelte es in den Medien und in den Blogs harsche Kommentare. Heinz-Christian Strache, der Chef der rechtsgerichteten FPÖ, nannte Conchita Wurst „lächerlich“. Der Kabarettist Alf Poier empfahl Neuwirth eine „Psychotherapie“. Auf einer Facebook-Seite sammelten Gegner 38 500 Stimmen gegen den Auftritt von Conchita Wurst. Die TV-Sender in Weißrussland und Aserbeidschan drohten mit ESC-Boykott.

Viele Punkte von den anderen europäischen Ländern

Gekippt ist diese negative Stimmung erst in der vergangenen Woche – dank eines grandiosen Auftritts beim Halbfinale am Donnerstag. Dank seiner musikalischen Fähigkeiten gelang es Neuwirth, in drei Minuten die Geschichte der Conchita Wurst einem ganzen Kontinent zu erzählen. Das ist Pop. Bei der Punktewertung am Samstagabend regnete es Höchstpunktzahlen etwa aus Schweden, England, Irland, Portugal, Griechenland, Spanien, Italien. Und selbst in jenen vier Ländern, in denen das schlechte Urteil der offiziellen Fachjurys zu schwer wog, erntete Conchita beim Telefonvoting der Zuschauer beste Ergebnisse: Platz 4 in Weißrussland und Polen, Platz 3 in Russland, Platz 2 in Armenien.

„Rise like a Phoenix“ heißt der Siegertitel von Conchita Wurst. Ihre Europa-Kampagne hat Erfolg gehabt. Ein ganzer Kontinent sprach eine Nacht lang über ein Thema: Warum trägt diese Frau, die so hübsch ist und so gut singen kann, einen Bart? Die Antwort Conchitas lautet: weil es Wurst ist.