Beim Eurovision Song Contest gewinnt die
Österreicherin Conchita Wurst mit „Rise like a Phoenix“. Der Popwettbewerb schreibt damit Geschichte – und setzt in einer Zeit grassierender Engstirnigkeit ein Zeichen für Toleranz.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Kopenhagen - Irgendwann nachts so gegen halb zwei – draußen gießt es wie aus Eimern wie schon die ganze windige-verregnete Woche in Kopenhagen über – wiederholt sich beim Eurovision Song Contest die Geschichte. Ihr eigenes Glück kaum fassend, betritt die sichtlich ergriffene Conchita Wurst das hell erleuchtete Podium des Pressekonferenzzentrums, nach wie vor wie aus dem Ei gepellte aussehend. Wunderschönes eng anliegendes Abendkleid, dreiwettertaftig ondulierte Frisur, makellose Haut, grazile Fingernägel und blendend getrimmter Vollbart.

 

Vollbart? Jawohl! Hinter der Dragqueen mit dem hervorragend schräg gewählten Namen verbirgt sich der Österreicher Thomas Neuwirth, der soeben überragend den Song Contest gewonnen hat und einerseits beiläufig zeigt, dass unser Nachbarland nicht nur aus Post-Jörg-Haider’schem Gedankengut besteht. Anderseits macht er klar, dass hier in Kopenhagen, seit die transsexuelle Dana International aus Israel 1998 beim Song Contest triumphierte, abermals Geschichte geschrieben wird. In einem für den Kontinent wirklich wichtigen Moment.

„Wir passen auf, und wir sind unbremsbar“

Zumal Conchita Wurst sich mit beruhigend sanfter Stimme keinesfalls der entsprechenden Stellungnahmen enthielt. Sie wisse zwar nicht, ob Wladimir Putin am Abend zugesehen habe, „aber ich sage das deutlich: wir passen auf, und wir sind unbremsbar.“Der Titel „Rise like a Phoenix“ wurde in Österreich übrigens nicht in einem Vorentscheid ausgewählt, sondern direkt vom Fernsehsender ORF bestimmt. Ein schönes Zeichen für Toleranz ist allein dies. Es setzt sich fort mit Platz vier, auf den die weißrussischen Zuschauer Conchita Wurst in ihrem nationalen Televoting wählten – und damit ein Fanal setzten gegen jene Kampagne im Vorfeld, mit der die Herrschenden in diesem Land zuvor die Drag Queen Wurst vom Wettbewerb als Gefährdung der Kinder des Landes ausschließen lassen wollten. Es setzt sich abermals fort in der toleranten Offenheit sehr vieler der geschätzt 180 Millionen TV-Zuschauer, die so viel Zuspruch auf Conchita Wurst einprasseln ließen, dass sie schon deutlich vor dem Ende der Auszählung uneinholbar vorne lag.

„We are a Unity of Respect and Tolerance“, meinte die sichtlich gerührte Conchita Wurst in sanftem Tonfall, als sie nachts um halb zwei das Podium der von jubelnden Journalisten aus aller Herren Länder überrannten Pressekonferenz betrat. Auch wenn’s pathetisch klingen mag: Conchita Wursts Sieg ist ein vielleicht nur kleiner, aber umso feinerer Triumph über Engstirnigkeit und wütenden Nationalismus in so hässlichen Zeiten wie diesen.

Russland auf Platz sechs

Wer da ausgebremst werden sollte, war vor dem ESC ja eigentlich klar: der böse Ivan, noch im Halbfinale mit Pfiffen ins Finale verabschiedet, derweil die armen Ukrainer befeiert und befeuert werden sollten. Am Ende landeten Russland und sein umkämpfter Nachbar schiedlich-friedlich auf den Rängen sieben und sechs, ohne dass es zu sonderlichen Eklats gekommen wäre – womöglich auch dies ein Zeichen dafür, dass hier nicht irgendwer für irgendwas abgestraft geworden ist.

Und wo blieben da die Deutschen - und bei all der Politik die Kunst? „Eigentlich müsste ganz Europa diesen Titel lieben“, hatte der ARD-Kommentator Peter Urban im Vorfeld des Wettbewerbs gesagt – und er sollte mit der bewusst kryptisch gehaltenen Aussage Recht behalten. Denn eigentlich ist „Is it right“ ein gutes Lied. Aber die Gesichter bei Elaiza wurden am späten Samstagabend länger und länger, als es in Kopenhagen im „Green Room“ um das Salz in der Suppe eines jeden Song Contests ging: um die Punktevergabe. Mal bröckelte hier ein Pünktchen für das deutsche Teilnehmertrio hinein, mal fiel dort ein Brosamen ab. Meist gab es aus den 37 Ländern aber nichts.

Enttäuschung über Platz 18

Platz 18 sollte es am Ende werden. Das ist eine herbe Enttäuschung. Woran lag’s? Vielleicht am deutschen Geschmack an sich, der etwa dazu führte, dass die deutsche Fachjury in ihrer Abstimmung Conchita Wurst nur auf dem elften Rang sah? Nein, die Ausrede wäre zu billig. Elaiza hatte sich vielmehr vergaloppiert. Mit dem Tempo des Songs, der weder Ballade noch flotter Popsong ist, weder Fisch noch Fleisch, haben sie offenbar haarscharf daneben gezielt.

Mit ihrem gelben Ballonkleid sah die Sängerin Elzbieta Steinmetz auf der Bühne weitaus stämmiger aus, als sie dies ist, die Jacke dazu mit den nach billigem Kunstleder aussehenden Applikationen fiel krass ab gegenüber den edlen Abendroben der anderen Starter. Die Präsentation des Songs wirkte nicht souverän. Vor allem aber ist „Is it right“ viel zu stark aufgemotzt und in der Nachbearbeitung vollgepfropft worden: man höre sich zum Vergleich bei Youtube die wunderbar puristische Akustikversion des Songs. Wären sie dabei geblieben, der Band Elaiza wäre vielleicht das Schicksal erspart hätten, im gleichen Topf wie Cascada, Lou, Gracia oder Michelle zu landen – allesamt Damen, die auch schon mal für Deutschland beim Grand Prix antraten.

Zurückhaltende Nummer der Niederländer

Wie man ein schön reduziertes Songwriterlied viel besser umsetzt, hätte sich Elaiza bei den holländischen Nachbarn abgucken können. Das Duo The Common Linnets präsentierte seine gute Nummer zurückhaltend dezent, aber ausdrucksstark. Die zwölf Punkte aus Deutschland dafür sind hoch verdient, aber auch aus vielen anderen Ländern regnete es jede Menge Zuspruch. Platz Zwei in der Gesamtwertung ist mithin verdient - wie auch der dritte Rang für Schweden und der vierte für Armenien.

Verblüffend ist das gute Abschneiden des Ungarn, wie umgekehrt auch der schwache zwanzigste Platz für das sowohl eingängige wie auch bestens präsentierte Lied der Griechen überrascht. Kein Wunder ist schließlich, dass Ralph Siegels extrem blasse Nummer für San Marino mit dem drittletzten sowie der enervierende Gesang des Montenegriners Sergej Cetkovic mit dem vorletzten Platz gesegnet wurden. Letzte wurden die einzigen tatsächlichen Freaks im Feld: Twin Twin aus Frankreich, deren selbstverständlich in der Heimatsprache dümmliches und albern vorgebrachtes Stück „Moustache“ sich, wie es der Zufall so will darum dreht, dass sie gerne einen Bart hätten.

Tja, mit Bart wären sie womöglich auch weiter vorne gelandet. Dort sonnt sich nun der 25-jährige Thomas Neuwirth aus Gmunden im Salzkammergut, der nicht nur weiß, wie man stilsicher Outfits kombiniert – sondern auch, wie man die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Mit einem bezaubernden Abendkleid nebst wohlgetrimmtem Vollbart. Mit einem perfekt vorgetragenen und überragend inszenierten Song, der so gut ist, dass er immer wieder mit den James-Bond-Titelmelodien verglichen wird. Mit in jeder Hinsicht großen Gesten.

Russland und die Ukraine liegen eng beieinander

Endergebnis
Auf Platz 1 des Eurovision Song Contest kam Conchita Wurst aus Österreich mit 290 Punkten. Danach folgten: 2. The Common Linnets/Niederlande (238 Punkte); 3. Sanna Nielsen/Schweden (218 Punkte); 4. Aram Mp3/Armenien (174 Punkte); 5. Andras Kállay-Saunders/Ungarn (143 Punkte); 6. Maria Yaremchuk/Ukraine (113 Punkte); 7. Tolmachevy Sisters/Russland (89 Punkte). Das Trio Elaiza landete mit 39 Punkten auf Platz 18.

Punktemix
Alle Wertungen werden gleichwertig bestimmt vom Urteil einer Fachjury in den Ländern und von einer Telefonabstimmung der Zuschauer – wobei pro Telefonanschluss höchstens 20 Anrufe gewertet werden.