Die SPD blickt fassungslos auf den drohenden Zerfall der Union. Selten hat man so mit Merkel gelitten, denn Neuwahlen wären, so die feste Überzeugung, für alle Regierungsparteien eine Katastrophe.

Berlin - Zusammenhalt ist unsere Stärke, steht in großen Lettern in der SPD-Lobby auf der Fraktionsebene der Bundestags. Und in der Tat: Verglichen mit dem beispiellosen Hauen und Stechen, das sich wenige Meter weiter nördlich in getrennten Sitzungen von CDU und CSU abspielt, ist ausgerechnet die sonst so krisenanfällige SPD in diesen Tagen tatsächlich ein Ausbund an Stabilität. „Ein völlig neues Lebensgefühl“, kommentiert Parlamentsvize Thomas Oppermann sarkastisch den drohenden Zerfall der Union. Freuen kann sich bei den Genossen aber keiner. Einem Kabinettsmitglied, das sich auf dem Balkon eilig Nikotin in die Lungenflügel pumpt, ist überhaupt nicht nach Häme zumute, dazu sei „die Situation viel zu gefährlich“. Wie die SPD sich verhalten werde, wenn Merkel die Vertrauensfrage stellt? Die knappe Antwort: „Darüber spekuliere ich jetzt nicht.“

 

Plätzlich erscheint die SPD als Ausbund an Stabilität

Fassungslos verfolgen die Genossen in diesen Stunden Tickermeldungen und Flurfunk. Viele Szenarien werden durchgespielt, alles scheint möglich, auch ein Rücktritt von Kanzlerin Angela Merkel. Offen will darüber keiner reden. Fraktionschefin Andrea Nahles hat in einer Sondersitzung der Fraktion eindringlich appelliert, nicht durch unbedachte, spitze Kommentare noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. In einem kurzen Statement erinnert sie an all die konkreten Verabredungen zum Thema Migration und Integration im Koalitionsvertrag: „Dazu stehen wir ausdrücklich.“ Seehofers Idee, Flüchtlinge schon an der Grenze abzuweisen, wenn sich eine Registrierung in einem anderen EU-Staat nachweisen lässt, gehört nicht zu ihrer Aufzählung. Die SPD ist in dieser Frage näher bei Merkel, sagt das aber nicht allzu deutlich. Weil es Merkel wohl eher schaden würde, heißt es. Und weil sich die Union außerdem meisterhaft darauf verstehe, Attacken der SPD zu nutzen, um von eigenem Streit abzulenken.

Die Union lässt doch nicht „den Laden hochgehen“, oder?

Ein „Theaterstück im Dienst der Landtagswahl in Bayern“ sei das, dem Ernst der Lage nicht angemessen, sagt Nahles. Dann sucht sie das Weite. Müde sieht sie aus. Und die Sorge steht ihr ins Gesicht geschrieben, die CSU, siebtstärkste Partei im Bundestag, könnte diese Regierung zu Fall bringen. Eine Regierung, in die sich die SPD gerade erst unter Aufwendung der letzten Nerven und finanziellen Ressourcen geschleppt hat. Aus Sicht der SPD darf das alles deshalb einfach nicht wahr sein. Einige Abgeordnete sprechen sich unverdrossen Mut zu. Einer sagt, die Union sei doch nicht bekloppt, die lasse doch nicht den Laden hochgehen. Die Konservativen doch nicht, die glaubten, ein ewig gültiges Abo aufs Kanzleramt gebucht zu haben.

Keiner weiß, worüber eigentlich konkret gestritten wird

Andere Genossen spekulieren schon über einen Konsenskandidaten. Für den Fall, dass Merkel hinwirft. Wolfgang Schäuble wird genannt. Der würde wohl gehen, sagen die einen. Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier nennen die anderen. Leute, die einem auf die Schnelle so einfallen. Nur eines kann man sich bei der SPD gar nicht vorstellen: dass die Union, die in diesem Moment keine mehr ist, allen Ernstes Neuwahlen riskiert. „Dann können wir der AfD gleich 24 Prozent der Stimmen schenken“, sagt ein Genosse.

Völlig irrational und absurd sei diese Lage, heißt es. Keiner wisse, worüber eigentlich konkret gestritten wird. Angeblich habe ja nicht einmal CDU-Fraktionschef Volker Kauder den sogenannten Masterplan Seehofers je zu Gesicht bekommen, geschweige denn die SPD-Spitze. Trotzdem ist Feuer unterm Dach und kein Löschgerät in Sicht. Ein Abgeordneter aus Niedersachsen beruft sich darauf, wie Gerhard Schröder die Lage bereinigt hätte: Minister rauswerfen, Vertrauensfrage gestellt, fertig.